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PROGRAMMATIC

Publisher-Studie mit Zündstoff: Schaden oberflächliche Analysen dem Adtech-Markt?

Jens T. Möller, Analyst, 7. Juni 2019
Bild: k_yu - Adobe Stock

Eine US-amerikanische Studie sorgt in der Werbebranche für Aufsehen. Demnach hat verhaltensbasiertes Targeting im Vergleich zu Werbung ohne Targeting nur einen minimalen Einfluss auf die Umsätze der Publisher. Was auf den ersten Blick für Medienunternehmen katastrophal klingen mag, hält einer kritischen Betrachtung jedoch nur wenig stand. Trotzdem bietet sie politischen Sprengstoff.

Die kürzlich veröffentlichte akademische Studie „Online Tracking and Publishers' Revenues: An Empirical Analysis“ kommt von drei US-amerikanischen Forschern und nimmt die Umsätze im Programmatic Advertising in den Fokus. Konkret wollte die Studie herausfinden, welchen Einfluss Targeting auf den Erlös der Publisher hat.

Ein erstaunliches Ergebnis

Der für die Studie verwendete Datensatz entstammt einem großen US-amerikanischen Medienunternehmen, das verschiedene Zeitungen und Magazine mit dazugehörigen Web-Auftritten besitzt – 60 unterschiedliche Webseiten. Die Daten beruhen auf Millionen von Werbetransaktionen und wurden während einer einwöchigen Periode im Mai 2016 generiert. Enthalten sind unter anderem Informationen zu dem Zeitpunkt der Transaktion, der Geo-Location des Verbrauchers, Werbetyp und -größe sowie die Information, ob das Werbemittel auf Cookie Targeting basierte. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Analyse von Open Auctions – durchgeführt von insgesamt rund 3.800 Advertisern.

Das Ergebnis der Analyse mag verblüffen: Publisher generieren für jede durch Targeting vermittelte Werbung lediglich vier Prozent mehr Umsatz als für nicht gezielt ausgespielte Ads. Das entspricht einem durchschnittlichen Anstieg von 0.00008 US-Dollar pro Ad Impression. Dieser Anstieg ist statistisch signifikant.

Viele Fragen bleiben offen

Der erste Blick auf dieses Ergebnis wirft die Frage auf, warum Publisher ihre Werbeflächen überhaupt mit entsprechenden Targeting verkaufen. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich jedoch, dass die Ergebnisse keine wirklichen Rückschlüsse auf die aktuelle Werberealität zulassen.
Die Autoren sind sich einiger Schwächen ihrer Analyse durchaus bewusst. So können die Ergebnisse nicht den generellen Wert von Targeting für das gesamte Werbeökosystem erklären. Vielmehr bezieht sich die Analyse nur auf einen Marktteilnehmer/Publisher. Die Ergebnisse sind dementsprechend nicht repräsentativ.

Weitere kritische Aspekte werden von den Autoren nicht beachtet. Einer der schwerwiegendsten umfasst den Zeitraum der Datenerhebung. Der Datensatz stammt aus 2016. Ganze drei Jahre sind zwischen Datenerhebung und Veröffentlichung der Studie vergangen. Im akademischen Umfeld mag das normal sein, das digitale Advertising hat sich in dieser Zeit jedoch immens weiterentwickelt. Große Veränderungen und Weiterentwicklungen haben innerhalb der vergangenen Jahre stattgefunden, die den Markt geprägt und gewandelt haben. So zum Beispiel die Cookie-Löschung bei Safari, die Umstellung auf First-Price-Auktionen und die Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 – um nur einige zu nennen. Der Programmatic-Markt in den USA hat laut eMarketer dabei in diesem Zeitraum ein Wachstum von über 50 Prozent erfahren. Die Daten von 2016 werden demnach wohl kaum die aktuellen Verhältnisse für Publisher widerspiegeln.

Weiterhin verrät die Studie wenig über die technologische und wirtschaftliche Situation des Publishers. Welchen Adtech Stack nutzt er? Hat er direkte Deals, die parallel laufen? Welche Header-Bidding-Partner sind angeschlossen? All diese Fragen lässt die Studie offen.

Auch welche Art von Cookie für das Targeting genutzt wird, ob First- oder Third-Party, erwähnen die Autoren nicht. Diese beiden Cookie-Arten können in der Praxis unterschiedlicher nicht sein. Bei der Verwendung von First-Party Cookies sind Rückschlüsse auf das User-Verhalten kaum möglich. Solange also die verwendete Cookie-Art nicht bekannt ist, können keine signifikanten Schlussfolgerungen über den Wert von verhaltensbasiertem Targeting gezogen werden. Dies ist ein gewichtiger Punkt, der die Studienergebnisse äußerst fragwürdig erscheinen lässt. Eventuell nutzt der betrachtete Publisher seine vorhandenen Daten aber auch nicht effektiv. All diese Faktoren haben am Ende jedoch einen starken Einfluss auf die Performance eines Publishers.

Einfluss auf die Politik nicht zu unterschätzen

Auch wenn die Studie aus Branchensicht einige Lücken aufweist, so besteht berechtigte Gefahr, dass sie maßgeblichen Einfluss auf die Politik nimmt. So sagte Ashkan Soltani, ein Autor des neuen kalifornischen Datenschutzgesetzes, dass der Studienbefund für die Regulierungsdebatte von großer Bedeutung sei. Er sieht den angeblich "großen Wert" der personalisierten Werbung für die Verleger damit als nicht gerechtfertigt. Daher ist es umso wichtiger, dass Verbände mit fundierten Studien Aufklärungsarbeit betreiben.

Haben Publisher eine Entscheidungsfreiheit?

Die Untersuchung legt nahe, dass Publisher durch verhaltensbasiertes Targeting nur minimal mehr Umsatz erzielen, als für eine nicht gezielt ausgespielte Werbung. Dabei könnte die Frage aufkommen, ob Publisher im Werbeökosystem hierbei eine Entscheidungsfreiheit besitzen, auf diese Art von Targeting zu verzichten. Für Werbetreibende ist Werbung, die auf Cookie-Informationen basiert, schon längst unverzichtbar geworden und die Personalisierung von Werbung wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Viele Verbraucher erwarten von Werbung, dass diese relevant und persönlich auf sie abgestimmt ist. Ein Publisher, der darauf verzichtet, verhaltensbasiertes Targeting anzubieten, beraubt sich seines eigenen Umsatzes. Die kleine Umsatzsteigerung als Gegenargument ist also wenig wert, wenn die Alternative lautet, gar nicht mehr am Markt zu sein.

Takeaways

  • Laut einer amerikanischen Studie generieren Publisher für jede durch Targeting vermittelte Werbung lediglich vier Prozent mehr Umsatz als für eine nicht gezielt ausgespielte Ad.
  • Kritisch sind hierbei allerdings der Zeitpunkt der Datenerhebung, fehlende Informationen zu Header-Bidding-Partnern, zu anderen Deals und zu der Art der verwendeten Cookies sowie die Betrachtungsweise des Publisher-Marktes durch ein einziges Medienunternehmen.
  • Cookie-Targeting wird durch Politik und Browser-Einstellungen zunehmend erschwert. Dies geht zu Lasten von kleinen und mittelgroßen Publishern.

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