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Brauchen neue Werbekanäle neues Programmatic?

Karsten Zunke, 20. Juni 2022
Bild: Mike van den Bos – Unsplash

Außenwerbung, TV, Print, Kino: Die Idee des Programmatic Advertising hält in immer mehr Kanälen Einzug. Zwar unterscheiden sich die Formate, doch Spezialtechnologien werden nicht benötigt – übergreifende Standards schon. ADZINE hat bei Programmatic-Vorreitern nachgefagt, wie der Anschluss der neuen Kanäle voranschreitet und vor welchen Herausforderungen die Marktteilnehmer stehen.

Bild: Yieldlab Nicole Mortier, Yieldlab

„Was programmatisch erschlossen werden kann, wird programmatisch erschlossen werden. Das gilt für Medien und Kanäle ebenso wie für Märkte und Geschäftsmodelle“, sagt Nicole Mortier, stellvertretende Vorsitzende der Fokusgruppe Programmatic im BVDW und SVP Account Management & Platform Solutions Yieldlab. Programmatic durchdringt auch klassische, lineare Medien wie TV, Radio und Kino. “Programmatic” bedeutet für diese neuen Kanäle im ersten Schritt Automatisierung und Effizienz in der Kampagnenabwicklung von der Buchung bis zu Reporting und Ausspielung. Aus Sicht der Expertin werden damit nicht nur zusätzliche Reichweiten programmatisch sichtbar: Vielmehr können auf diese Weise auch klassische lineare Medien den digitalen Brückenschlag vollziehen und eine hohe Reichweite zusammen mit adressierbaren Zielgruppen anbieten.

Ein aufstrebender Programmatic-Kanal ist beispielsweise Print. Werbe-Technologien sorgen mittlerweile dafür, dass Printanzeigen online gebucht werden – immer öfter auch programmatisch. „Mit Pryntad schließen wir die letzte große Lücke der programmatisch buchbaren Medien“, sagt Pryntad-Gründer und -Geschäftsführer Philipp Wolde. Pryntad ist ein Marktplatz, über den Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen geschaltet werden können. Über 300 Millionen Kontakte sind darüber so einfach buchbar wie im Online-Marketing: über Targeting und per Gebot. Mittlerweile funktioniert dies auch programmatisch via Demand-Side-Plattform (DSP). Der Marktplatz bietet den Betreibern zufolge umfangreiche cookiefreie Targeting-Optionen, Audience Buchungen und Brand Safety.

Etablierte Plattformen statt neuer Insellösungen

Bild: Marius Engels Philipp Wolde, Pryntad / Bild: Marius Engels

Gemeinsam mit der One Tech Group hat es das Hamburger Start-up geschafft, dass erstmals Print-Inventar über die SSP1 programmatisch zur Verfügung steht und über DSPs gebucht werden. Der erste Partner ist Active Agent. „Wir finden es passender, wenn etablierte DSPs und SSPs – wie unsere Partner – Print mit aufnehmen. Kunden sollten alle Kampagnen, Digital, Print, aber auch Out-of-Home, an einer Stelle buchen und verwalten können“, sagt Wolde. Nichtsdestotrotz gibt es Besonderheiten, wenn klassische Medien digital und insbesondere programmatisch buchbar gemacht werden. Die Herausforderung: Print ist ein analoges Medium. Die Buchung erfolgt in Echtzeit, die Auslieferung erfolgt jedoch zeitverzögert. „Diesen ‘time gap’ reduzieren wir bereits erheblich. Dennoch muss dieser Verzug programmatisch abgebildet werden“, so Wolde.

Eine weitere Besonderheit bei der „Programmatisierung“ neuer Kanäle sind die unterschiedlichen Werbeformate. Insofern braucht es Anpassungen, um verschiedene Formate in vergleichbarer Weise programmatisch buchbar zu machen. „Gleichzeitig ist der programmatische Auslieferungslayer im Grunde in allen Kanälen gleich, beziehungsweise basiert er auf den gleichen Marktstandards – zum Beispiel Open RTB“, erläutert Oliver von Wersch, Partner bei Nxt Statista. Eine neue Infrastruktur wird zwar nicht benötigt, aber die Vergleichbarkeit und auch die Messbarkeit müssen gewährleistet sein – insofern steht die Branche hier noch vor einer Herausforderung.

Alleingänge schaden

Bild: Raimar von Wienskowski Oliver von Wersch, NXT Statista / Bild: Raimar von Wienskowski

Nach Einschätzung des Experten von Wersch benötigen Werbetreibende vor allem vergleichbare Messstandards in allen Kanälen – in Bezug auf Reichweite, Attribution, Auslieferung, Sichtbarkeit, Consent. „Hier ist der Markt schon ein gutes Stück vorangekommen, aber es gibt offene Punkte, wie die flächendeckende Adaption von OM SDK oder ein wirklich überzeugendes TCF.“

Ähnlich sieht es auch Mortier. Die Grenzen zwischen One-to-Many und One-to-One verschwinden zunehmend und Programmatic ermöglicht in immer größerem Maße konvergente Kampagnenplanungen. „Das bringt mit sich, dass KPIs, die früher kanalspezifisch waren, zusehends holistischer und über alle Kanäle messbar werden“, erläutert Mortier. Gleichzeitig werde sich Programmatic als „Betriebssystem" neben den klassischen Fragen und Themen wie Effizienz, Qualität und Transparenz – insbesondere im Kontext von Daten – auch verstärkt mit Aspekten wie Purpose und Haltung oder Social Responsibility auseinandersetzen müssen. Das werde den bislang eher technologisch geprägten Markt vor neue, spannende Herausforderungen stellen, prognostiziert Mortier.

Tech-Experte von Wersch geht davon aus, dass die zentrale Herausforderung für Programmatic Advertising in den nächsten zwei Jahren sein wird, die regulatorischen Erwartungen an ein Privacy-freundliches Ökosystem und die Erwartungen an weitere Skalierbarkeit zusammenzudenken und entsprechende Lösungen zu entwickeln. „Dabei helfen nur Marktlösungen. “Alleingänge sind wenig hilfreich und werden eher die sie vorantreibenden Unternehmen in die Isolation führen“, warnt von Wersch.

Übergreifende Rahmenbedingungen für alle Kanäle wichtig

Die Erschließung weiterer Kanäle zeigt, dass Programmatic auf absehbare Zeit ein Wachstumsmarkt bleiben wird. Doch um sich insgesamt positiv weiterzuentwickeln, sind nicht nur passende Strategien gefragt. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Marktübergreifende Identifier-Lösungen, die in der Lage sind, Third-Party-Cookies zu ersetzten, stehen bei vielen Marketern ganz oben auf der Wunschliste. „Zudem benötigen wir dringend eine klare, eindeutige und Rechtssicherheit bietende Gesetzeslage, damit wir uns als Markt wieder auf unser Kerngeschäft und den Mehrwert sowie die Weiterentwicklung von Programmatic konzentrieren können“, sagt Mortier.

Bild: YOC Jan Gräwen, YOC

Auch technisch ist der Markt gefragt. Denn anders als im klassischen Display- und Videogeschäft gibt es bei neueren programmatischen Kanälen bisher keinen wirklich offenen Marktplatz. „Aufgrund der beschränkten Anzahl an Publishern gehen wir zumindest mittelfristig auch nicht von einer Entwicklung in diese Richtung aus und sehen die Zukunft eher in kuratierten, medienübergreifenden Marktplätzen mit Premium-Inventaren“, sagt Jan Gräwen, Geschäftsführer von YOC Mobile Advertising.

Nach Einschätzung von Mortier braucht es vorrangig aber nicht mehr Technologien, „sondern bessere Schnittstellen, um das Thema Omnichannel voranzutreiben und die Potenziale und Effizienzvorteile von Programmatic ganzheitlicher in eine erweiterte Marketingarchitektur integrieren zu können.“ Für die neuen Kanäle fordert sie die Schaffung übergreifender Standards und KPIs, besonders um One-to-Many-Medien sinnvoll programmatisch erschließen und in ganzheitliche Kampagnenkonzepte und Leistungsmessungen einbeziehen zu können. „Wir müssen raus aus den derzeitigen technologischen Silos hin zu ganzheitlichen, Komplexität reduzierenden Systemoptimierungsansätzen. Und wir benötigen konsensuale, globale ethische Leitlinien für die Nutzung von Daten, wenn wir Programmatic als digitales Marketingsystem erfolgreich weiterentwickeln wollen.“

Dynamisch und offen – das bleibt unverzichtbar

Werden diese Aufgaben nicht gemeistert, könnte dies im Worst Case den Walled Gardens in die Hände spielen. Sie besitzen schon heute die Daten, Technologien, Einwilligungen und große Reichweiten. Nicht zuletzt werden sie vor allem wegen ihrer überzeugenden Produkte von den Konsumenten geschätzt. „Gleichzeitig sollten wir insbesondere im Programmatic-Markt darauf achten, dass Marktmacht nicht ausgenutzt werden kann. Das offene Ökosystem ist für die digitale Wirtschaft wie die Luft zum Atmen“, sagt von Wersch. „Ich bin davon überzeugt, dass dies mittlerweile auch die Mehrheit der GAFA-Unternehmen – und sowieso die meisten Werbetreibenden – verstanden haben.“ Auch laut Mortier wird es immer Platz und Erfolgspotenziale für Unternehmen geben, die sich mit intelligenten digitalen Innovationen in Media, Technologie oder Daten komparative Wettbewerbsvorteile verschaffen. „Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft einen vielfältigen und dynamischen digitalen Werbemarkt erleben werden.“

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