Das digitale Werbe-Ökosystem ist äußerst komplex und benötigt sowohl diverse Technologie als auch das entsprechende Know-how, um ihm gerecht zu werden. Mittlerweile bauen sich nicht nur Spezialagenturen einen eigenen Techstack zum Mediaeinkauf auf, sondern auch viele Werbetreibende. Dabei stellt sich die Frage nach dem Inhousing-Ansatz und dem richtigen Tool – oder vielmehr den Tools, denn der Markt ist fragmentiert und unübersichtlich. Naturgemäß fängt man hier bei sich selbst an, denn Rahmenbedingungen wie das Budget, der Einsatz eigener Daten oder Branding- gegenüber Performance-Ansätze grenzen die Tool-Auswahl bereits entscheidend ein. Im Folgenden haben wir die Lehren aus einer ADZINE Live Session gesammelt, die Alexander Schott, seines Zeichens ausgewiesener Adtech- und Ad-Ops-Experte, aus den Referenten zu genau diesem Thema herauskitzeln konnte.
Drei Markttypen für digitalen Mediaeinkauf
Heute wird Media im Rahmen von drei verschiedenen Markttypen gehandelt, stellt Dominik Heck von Digital Control, einer Plattform für Kampagnenmanagement, eingangs fest. Er unterscheidet zwischen dem offenen Markt, dem “semi-offenen” Markt und den Walled Gardens. Der Open Market lässt eigene Daten zu und die Buy-Side kauft hier mit Demand-Side-Plattformen (DSP) auf der Grundlage von I/O oder Programmatic ein. Dabei merkt Heck an, dass Advertiser ihre I/O-Buchungen oftmals auch heute noch per Excel-Tabellen und Mails “steuern”. Dieser aufwendige, manuelle Prozess werde jedoch zunehmend automatisiert.
Der halb offene Markt mit Kandidaten wie Criteo, Teads Taboola und Outbrain oder Playern aus dem Retail-Media-Sektor lässt ebenfalls I/O-Buchungen zu. Auktionen auf Inventare finden hier jedoch in geschlossenen, vom Publisher kontrollierten Systemen statt. Daher kann man nicht von Programmatic in Reinform sprechen, auch wenn eigene Daten immer noch beschränkt Einsatz finden. Oft sind Einkäufer in dem halboffenen Markt auf den Self-Service-Plattformen der Anbieter unterwegs. In den Walled Gardens bei Google oder Facebook beispielsweise gibt es die Daten dann nur noch vom Betreiber selbst und Auktionen sind eher schwer nachvollziehbar.
Wer braucht einen eigenen Techstack?
Ein Techstack beschränkt sich natürlich nicht nur auf eine Technologie zum Einkauf. Werbetreibende können per API zusätzlich etwa Adserver, Demand-Side- oder Customer-Data-Plattformen, Technologie zur Qualitäts- oder Zielgruppenkontrolle oder Brand-Safety-Tools aufsetzen. Wünschenswert ist am Ende eine Aggregation und Analyse der Datenquellen. “Aus diesen Tools entstehen unterm Strich Datentapeten, die ich versuchen muss zusammenzuführen”, so Dominik Heck. “Aus meiner Sicht ist dies genauso nötig wie die zentrale Steuerung in der Planung und Ausführung. Ansonsten bleibt es beim allseits bekannten ‘Reporting-Montag’, an dem ganze Horden von Activation Managern und Praktikanten versuchen, in Excel-Tabellen Daten zusammenzuführen.” Tools wie das eigene Intelligence Cube oder Adverity könnten hier helfen, meint Heck.
Einen kompletten Techstack benötigt bei weitem nicht jeder. “Klassischerweise sind die Advertiser, die mit kleinerem Budget unterwegs sind, zunächst einmal daran interessiert, die Nachfrage abzuschöpfen”, erklärt der Experte. Das könnten die Walled Gardens am besten, in denen beispielsweise Retailer gut aufgehoben wären. Je größer das Budget und weiter oben im Funnel, umso mehr verlagert es sich in den semi-offenen Markt und damit in Richtung der Native-Anbieter. Schließlich landet man bei den Reichweitenmedien wie Spiegel oder T-Online, auf denen Advertiser mit größerem Budget Nachfrage generieren können. Dann stellt sich immer noch die Frage, ob man eine DSP selbst betreibt oder sich auf I/O-Buchungen konzentriert.
Fragen über Fragen bei der Tool-Auswahl
Jana Kordt von der Agentur Mediaplan stellt sechs Kriterien vor, die Advertiser oder Agenturen bei der Entscheidung für ein Tool prüfen sollten: Ziele, Kanalauswahl, Budget, Daten, Manpower und Praktikabilität. So eignen sich für Awareness-Kampagnen etwa Sage+Archer mit Fokus auf Digital-Out-of-Home (DOOH) oder Hawk, die zudem auf eine starke Mobile-Expertise zurückgreifen können. Für Performance-Ziele kommen hingegen besser DSPs zum Einsatz, die die Verwendung von First-Party-Daten unterstützen und darauf basierend Retargeting abwickeln oder Advertiser Lookalikes direkt auf der Plattform bilden lassen. The Trade Desk zum Beispiel bedient diesen Performance-Gedanken laut Kordt sehr gut.
Für Mobile-First-Strategien sticht wiederum Hawk heraus, weil in der Technologie aufmerksamkeitsstarke Werbemittel erstellen werden können. Bei Adressable TV kommt man wiederum an Active Agent nicht vorbei, mit Blick auf Kino und Print hat die Virtual-Minds-Tochter ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Auch Kooperationen bedingen die Wahl für Technologien hinsichtlich bestimmter Kanäle, insbesondere im Bereich Big Screen: So arbeitet Netflix mit Xandr zusammen und Disney mit The Trade Desk. Wer im Connected TV werben möchte, sollte diese teils exklusiven Partnerschaften im Hinterkopf behalten.
Das Kriterium Daten ist nicht zu unterschätzen. Neben angeschlossenen Third-Party-Datenanbietern – The Trade Desk und Active Agent sind hier stark – kommt es oft darauf an, ob der Advertiser First-Party-Daten mitbringen darf, oder inwiefern diese verknüpft werden können. “Das ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Fragestellungen, die man sich im Entscheidungsprozess stellen sollte”, sagt Jana Kordt. Ein weiterer Punkt sind etwaige Measurement-Partner. Wichtig ist das beispielsweise zur Messung von App-Installs oder um Brand Safety sicherzustellen. An der Stelle kommen einem Anbieter wie Double Verify oder Integral Ad Science in den Sinn.
Wer sein Hauptaugenmerk auf das verfügbare Budget legt, der sollte sich fragen, ob eine DSP einen Mindestumsatz voraussetzt. Damit einher geht die Frage, ob man sich überhaupt Spezial-DSPs leisten kann, oder nur Budget für eine hat. Dann muss diese dazu in der Lage sein, möglichst viele Bedürfnisse abzudecken. Fees spielen hier ebenfalls eine Rolle. Das Thema Man Power vs. Praktikabilität sei nicht zu unterschätzen, mahnt Kordt. Jeder DSP gehe ein langer Onboarding- und Lernprozess voraus. Sie empfiehlt stets einen Demozugang, um die Technologie auf eigene Bedürfnisse zu prüfen.
“Es gibt keine All-in-One-Solution am Markt, sondern viele kleine Puzzleteile, die das Adstack in jeder Agentur vervollständigen”, erklärt Jana Kordt. Jede DSP bringt ihren USP mit. Es sei daher nie die Entscheidung für eine, sondern eher für zwei bis drei. Tim Purkayastha vom Berater Future Marketing schlägt in die gleiche Kerbe: “Der Markt fragmentiert sich immer weiter. Ich glaube nicht, dass es eine All-fits-One-Lösung jemals geben wird – im Gegenteil.” Sowohl Advertiser als auch Agenturen werden mehrere Plattformen im Einsatz haben müssen. In dem Punkt sind sich alle einig. “Jeder, der eigene Daten hat, versucht einen Walled Garden zu bauen”, ergänzt Dominik Heck. Das sei ein normaler Marktmechanismus, der sich nicht ändern, sondern nur verstärken werde.
“Echtes” vs. “unechtes” Inhousing
Eine Entscheidung für eine Buying-Technologie ist nicht gleichzusetzen mit Inhousing. Jedoch machen sich inzwischen nicht nur die großen Advertiser, sondern auch Mittelständler Gedanken über ihren Techstack, verrät Tim Purkayastha. Er unterscheidet verschiedene Stufen von Inhousing.
“Echtes” Inhousing meint demzufolge nicht nur die Technologie, sondern auch den kompletten Planungs-, Einkaufs- und Abrechnungsprozess über ein Team im eigenen Unternehmen zu haben. Das bietet zweifellos viele Vorteile, ist aber auch mit großen Herausforderungen verbunden. So sind die Profile der dazu nötigen Fachkräfte schwer zusammenzubekommen und Fluktuation stellt das Unternehmen vor ernsthafte Probleme. Selbst ein Mittelständler müsste im Endeffekt mindestens fünf zusätzliche Personen einstellen, um ein Team inhouse abzubilden. Zudem müssen dann zwischen dem Team fürs digitale Advertising, das inhouse betrieben wird, und den Agenturen saubere Schnittstellen existieren. Denn Agenturen planen oft weiterhin die klassischen Kanäle Print und TV.
Eine Alternative ist das seichtere, “unechte” Inhousing. Hier kauft ein Unternehmen über seine eigene Technologie ein – mit selbst aufgesetzten Verträgen – und verfügt dementsprechend über seine eigenen Kampagnendaten. Eine Agentur arbeitet mit diesen Daten lediglich. Am Anfang steht grundsätzlich die Frage: Habe ich überhaupt das Mediabudget, sodass sich eine eigene Technologie lohnt? Selbst eine halbe Million Euro im Jahr sei zwar viel Geld für Werbung, aber in Relation zum Mindestbuchungsvolumen auf Technologieseite sehe es anders aus, ergänzt Heck.
Inhousing braucht Zeit und eine durchdachte Datenstrategie
Nach der Entscheidung pro Inhousing ist die First-Party-Daten-Strategie der erste Schritt. Laut Tim Purkayastha sollte der Fokus vor allem darauf liegen, in der Kommunikation mit den potenziellen Kunden den Consent einzuholen, um die Daten auch weiterverarbeiten zu können. Dabei geht es nicht nur um die Wiederansprache von bestehenden Kunden, sondern auch um die Modellierung von potenziellen Kunden im Schulterschluss mit der Supply-Seite, um den Marketing-Funnel zu erweitern. Hier spielen künftig weniger demographische Merkmale, als vielmehr Verhaltensdaten eine Rolle, so der Berater. “Wenn ich nicht dazu in der Lage bin, mein ideales Kundenprofil herauszuarbeiten, dann kaufe ich en gros ein und bin relativ blind in der Media. Dann stellt sich die Frage, ob ich dafür eine Tech-Fee aufwenden muss.” Denn an der Stelle ginge es nicht um den programmatischen Ansatz, sondern breiten Einkauf von Media, meint Purkayastha.
Der Einkauf auf Profilen werde stets eine Spitze des Mediaeinkaufs bleiben. “Die gute Nachricht für die Publisher-Seite: Dafür werden die Advertiser hohe TKPs zahlen. Der Mittelbau wird aber der spannende Teil.” Contextual-Targeting-Anbieter würden hier versuchen, Audiences mit Modellen zu bauen. Alternativ sei man schnell in dem unteren Inventarbereich, der einfach nur günstig sei und man darauf hoffen müsse, die richtigen Leute zu treffen. “Das würde ich vermeiden. Data ist also ein Schlüssel zum Erfolg”, schließt Tim Purkayastha.
Ein typischer Anfängerfehler beim Inhousing ist übrigens, sich ein, zwei Anbieter einzuladen, einen Salespitch anzuhören und für einen der beiden zu entscheiden. Es gilt sich die nötige Zeit zu nehmen und einen Anforderungskatalog herunterzuschreiben. “Keine Angst vor Wechsel!”, appelliert Dominik Heck zum Ende hin. “Das Tool, was ich mir heute kaufe, kann ich auch in einem Jahr wechseln. Der Wechselschmerz ist nie so groß, wie man denkt.” Bei der Vertragsschließung sollte allerdings stets darauf geachtet werden, “dass man alles mitnehmen kann”.
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