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SEARCH MARKETING

Online-Marketing integriert Telefonie

Karsten Zunke, 3. November 2005

Noch immer gibt es Firmen, die keine eigene Website haben, E-Commerce ignorieren und Online-Marketing nur vom Hörensagen kennen. Letzteres soll sich gründlich ändern – wenn es nach dem Willen der Vermarkter geht. Erste Keyword-Advertiser weiten deshalb ihr Online-Geschäftsmodell auf die Telefonie aus. Zahlen muss der Werbekunde dann nicht für Klicks, sondern für eingehende Anrufe.

Das Web-Marketing brummt wie nie zuvor: In Deutschland wird mit einem Gesamt-Bruttoumsatz von 750 Millionen Euro für 2005 ein Rekordjahr erwartet – das ist gut ein Drittel mehr als 2004. Bleibt das Wachstum auf diesem Niveau, nähert sich der Online-Werbemarkt 2006 hierzulande der Milliarden-Grenze. Doch damit nicht genug: Künftig sollen auch die letzten Internet-Werbemuffel Anzeigen schalten.

Dank Keyword-Advertising einer neuen Art, wie es in den USA seit etwa einem Jahr und in Großbritannien seit gut sechs Wochen buchbar ist. Dazu wird die anonyme Suche im Internet mit dem persönlichen telefonischen Kontakt gekoppelt. Pay-Per-Call heißt das Zauberwort, das viele Erwartungen schürt und für das potenzielle Werbekunden keine eigene Homepage benötigten. Genau genommen müssen sie nicht einmal einen Computer besitzen, um vom Web-Marketing zu profitieren.

Vor allem kleine, lokale Anbieter sollen damit angesprochen werden. Aber auch Unternehmen mit Produkten, die sich online schwer verkaufen lassen – beispielsweise beratungsintensive Finanzprodukte – rücken nun ins Visier der Online-Vermarkter.

Das Prinzip ist einfach: Genau wie beim bekannten Pay-Per-Click bestimmen die Werber über ein Gebotssystem den Preis und die Position ihrer Anzeige in den Suchtreffern. Allerdings wird bei Pay-Per-Call nicht auf Keywords, sondern auf Kategorien geboten. Wenn ein potenzieller Kunde beispielsweise eine Lebensversicherung abschließen möchte und entsprechende Begriffe in den Suchschlitz tippt, werden ihm passende Anzeigen mit einer für ihn kostenfreien Telefonnummer eingeblendet. Zahlen muss der Werbetreibende dann für jeden Anruf, der auf dieser Nummer eingeht.

UK als Testmarkt für Europa

Der aus der findWhat.com-Gruppe und Espotting hervorgegangene Vermarkter Miva bietet Pay-Per-Call bereits seit Herbst 2004 in den USA an. Mitte September dieses Jahres startete der Dienst erstmals in Europa – in Großbritannien. Als nächstes dürfte Deutschland auf der Agenda stehen. „Da von den etwa 3,5 Millionen deutschen Unternehmen nur etwa eine Millionen über eine Website verfügen, sehen wir auch in Deutschland riesiges Potenzial für Pay-Per-Call“, erklärt Wolfhart Fröhlich, Country Manager von Miva. Doch wann genau diese Welle von der Insel zu uns schwappt, ist unklar. Noch sei man hierzulande mit keiner Agentur im Gespräch, heißt es in der deutschen Niederlassung in Hamburg.

Britische Zeitungen sprechen bereits euphorisch von einer „Search Marketing Revolution“. Potenzial scheint die Lösung auch hierzulande zu haben. Eine eigene Umfrage des Vermarkters soll dies belegen. Von den befragten 183 Direktkunden und Media-Agenturen glauben 68 Prozent der Marketing-Entscheider, dass Pay-Per-Call auch auf dem deutschen Markt erfolgreich sein könnte – jetzt oder in ein, zwei Jahren. Vor allem für die Reisebranche, Finanzdienstleister und regionale Handwerksunternehmen könnte es demnach ein sinnvolles Marketing-Tool werden.

Hauptargument der Befürworter: Ein Telefonkontakt erhöht die Verkaufschance. Aber es gibt auch Skeptiker: 14 Prozent der Befragten glauben, dass Pay-Per-Call in Deutschland floppt. Als Hauptgrund nannte über die Hälfte der Zweifler (53 Prozent) eine geringe Akzeptanz des neuen Abrechnungssystems, aus Angst der User vor „überteuerten“ Telefonnummern und Dialern. Als weiteres Hemmnis könnte sich auch die fehlende Infrastruktur in den Unternehmen entpuppen, um eingehende Anrufe zu bearbeiten, fürchten die Pessimisten.

Miva selbst gibt sich optimistisch und entschlossen, den deutschen Markt zu erobern. In den USA sei Pay-Per-Call bereits sehr erfolgreich und auch in UK sei die Nachfrage von Partnern und Werbekunden bereits groß, so Fröhlich. Den Umsatz von Pay-Per-Call hat das Unternehmen in den USA in diesem Jahr im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Jahresviertel nach eigenen Angaben verdoppelt. Großbritannien fungiert nun als Testmarkt für Europa. „Zahlreiche Media-Agenturen wie I-Level, Starcom, MGOMD, Media.Com, Diffiniti, All Response Media und The Search Works haben bereits gebucht beziehungsweise Interesse gezeigt“, erklärt Fröhlich gegenüber ADZINE. Zudem befinde sich Miva momentan in Verhandlungen mit renommierten Webportalen, die Pay-Per-Call-Anzeigen einbinden möchten, so Fröhlich. Wenn sich dieses Modell weiter so gut entwickle, sei er optimistisch für einen baldigen Start in Deutschland.

30 Dollar pro Anruf

In den USA engagieren sich neben Miva bereits Yahoo und AOL im lukrativen Geschäft mit dem bezahlten Anruf. Wird das Modell von den Kunden angenommen, könnte Online-Marketing weltweit einen gewaltigen Schub erfahren. Denn anders als beim bekannten Pay-Per-Click muss der Werbende generell tiefer in die Tasche greifen. Durchschnittlich fünf US-Dollar zahlen Miva-Werbekunden in den USA für einen Call. Im Bereich Finanzen und Versicherungen sind die Preise für einen Anruf mit bis zu 30 US-Dollar am höchsten.

In Großbritannien liegt schon das Mindestgebot bei zwei Pfund. Miva rechnet dank neuer Kunden und Distributionspartner sogar mit einem weiteren Anstieg des Durchschnittspreises pro Anruf. Für Unternehmen scheinen solche Werbeangebote trotz Medienbruch und hoher Preise durchaus lukrativ zu sein. Laut einer Studie der Kelsey Group liegt die Conversion-Rate bei eingehenden Telefonkontakten bei durchschnittlich 45,1 Prozent. Beim klassischen Pay-Per-Click sind es hingegen nur rund 3,6 Prozent. Außerdem können Werbetreibende den eingehenden Anruf auf eine beliebige Firmennummer umleiten – beispielsweise ins eigene Call-Center oder direkt in den Vertrieb.

Zwei aktuelle Entwicklungen könnten dem neuen Geschäftsmodell zusätzlich zu ungeahntem Rückenwind verhelfen: Zum einen ist das klassische Pay-Per-Click-Modell in letzter Zeit verstärkt in die Schlagzeilen geraten. Denn immer öfter lassen Betrüger Softwareprogramme klicken – solange, bis das Tagesbudget des Werbenden erschöpft ist. Zum anderen würde mit der immer beliebteren Internet-Telefonie auch der Medienbruch beseitigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand seinen TFT-Bildschirm verlassen muss, „nur“ um eine Versicherung oder ein beratungsintensives Finanzprodukt zu ordern, sinkt damit rapide.

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