Adzine Top-Stories per Newsletter
ONLINE VERMARKTUNG

In den I/O-Prozessen liegt großes Potenzial brach

Karsten Zunke, 16. Juni 2025
Bild: Alexander Grey – Unsplash

Im Digital Advertising wurde in der Vergangenheit viel auf Publisher-Seite optimiert und automatisiert – doch meist in Silos. Aus Sicht von René Plug, CRO von Gotom, ist es daher höchste Zeit, diese Silos zu verbinden. Besonders große Potenziale sieht er in der Modernisierung der Steuerung der I/O-Prozesse, was sowohl die Umsätze als auch die Margen der Publisher im wichtigen Direktgeschäft deutlich heben könnte. Wo den Publishern aktuell der Schuh drückt, welche Lösungen es gibt und wohin die Reise auf der Sell-Side geht – darüber haben wir mit ihm im Interview gesprochen.

Bild: Gotom René Plug, Gotom

ADZINE: René, klassische Medienhäuser stehen überall unter Druck, effizienter zu arbeiten. Wie schätzt du die aktuelle Lage ein?

René Plug: Der Druck auf die traditionellen Medienhäuser hat sich bereits in den vergangenen zehn Jahren stark erhöht. Und er erhöht sich massiv weiter. Es wird für die klassischen Publisher immer schwieriger, die Aufmerksamkeit der Zuschauer und Leser zu gewinnen. Durch den stetig wachsenden Einfluss der sozialen Netzwerke nimmt der Wettbewerb um die Leseraufmerksamkeit und die dazugehörigen Werbeeinnahmen exponentiell zu. Dadurch gerät der Marktanteil für die klassischen Medienhäuser unter Druck und ein Wachstum über den Umsatz wird schwieriger. Für Publisher geht es darum, kompetitiv zu bleiben, sowohl kommerziell als auch in der Performance und bei der User Experience. Um genauso agil im Markt aufzutreten wie ein Tiktok oder eine Meta muss ein Publisher automatisieren.

ADZINE: Welche manuellen Prozesse auf der digitalen Vermarktungsseite bremsen Unternehmen aktuell am meisten aus?

René: Die Darstellung eines komplexen Produktportfolios ist oft inflexibel und limitiert, und wird außerhalb des Buchungsprozesses gemanagt. Auch die mehrstufige Preis- und Rabattgestaltung sowie wichtige Kundenvorgaben können meist nicht abgebildet werden oder sind unflexibel und zu wenig detailliert. Hinzu kommt, dass Angebote oft 48 Stunden warten müssen, weil Verfügbarkeiten manuell gecheckt werden müssen von Kollegen in anderen Systemen. Außerdem müssen die Kunden-Aufgaben nach der Buchung – zum Beispiel Screenshots senden – losgelöst über verschiedene andere Systeme und Workarounds erledigt werden. Und nicht zuletzt muss das Finanz-Team die monatliche Abrechnung erledigen, ohne eine strukturierte Sicht auf alle kunden- und produktspezifische Regeln und Vorgaben zu haben. Das sind nur einige Beispiele – es gibt noch viel mehr Prozesse, die momentan manuell umgesetzt werden müssen, aber viel effizienter und auch vor allem viel effektiver gemacht werden können.

ADZINE: … und was ist die Konsequenz?

René: Die Konsequenz ist, dass der klassische I/O-Prozess als komplex, unmodern, fehleranfällig, ineffizient und schwerfällig wahrgenommen wird. Dadurch hat Programmatic stark an Bedeutung gewonnen, obwohl direkter, garantierter Verkauf immer noch ein sehr wichtiger Kanal für Kunden und Publisher ist. Die neue Generation Publisher – also die Social Networks – hat das verstanden und bietet völlig automatisierte Offerten und Buchungsmechanismen an. Auch für direkte, garantierte Kampagnen. Klassische Publisher verstehen, dass die Prozesse dahinter komplex sind und immer komplexer werden – aber es gibt keinen Grund, warum sie nicht eine vergleichbar agile und flexible Buchungslogik anbieten könnten.

ADZINE: Hat sich die Sell-Side bisher zu viel mit Kunden- und Yield-Optimierung beschäftigt, anstatt auf die internen, manuellen Prozesse zu schauen?

René: Ja, das kann man sagen. Die Sell-Side hat sich stark mit dem Yield- und Optimierungsthema beschäftigt und sich intensiv mit ihrem programmatischen Ökosystem auseinandergesetzt, um mehr Werbedruck über programmatische Kanäle zu erzeugen. Während die Publisher sich vermehrt für diese programmatische, offene Yield-Optimierung geöffnet haben, haben die großen Techs ihre Walled Gardens gebaut, für direkte, automatisierte Buchungen. Moderne Publisher übernehmen diese gleiche Logik, müssen dafür aber ihre internen, manuellen Prozesse automatisieren. Also, der Yield-Fokus hat Sinn gemacht – aber jetzt ist es wichtig, in das direkte Business zu investieren.

ADZINE: Welche Routineaufgaben in der digitalen I/O-Werbevermarktung könnten komplett automatisiert werden?

René: Alle vorhin genannten Routinearbeiten lassen sich automatisieren – von der Preisgestaltung über Buchungsaufgaben bis zur Abrechnung. Im Zuge dessen sollten auch die Prozesse, die oft getrennt ablaufen, zusammengebracht werden. In vielen verschiedenen Systemen, zum Beispiel im CRM ERP, Adserver, BI oder in diversen Excel-Files, müssen Daten ausgelesen, übertragen und gemonitort werden. Das führt letztlich dazu, dass man sehr viele Arbeiten doppelt und im schlimmsten Fall fehlerhaft erledigt. Um einen Überblick zu erhalten, muss man ergänzend in mehreren verschiedenen Systemen arbeiten – häufig sogar in verschiedenen Abteilungen. Das ist ineffizient. Abhilfe kann hier nur eine Rev-Ops-Strategie bringen.

ADZINE: Was genau verstehst du darunter?

René: Eine Revenue-Operations-Strategie hat das Ziel, die umsatzgenerierenden Prozesse der Wertschöpfungskette zu verbinden und zu optimieren. Ein Order-Management-System ist in der digitalen Werbevermarktung das beste Beispiel für die Umsetzung einer Rev-Ops-Strategie.

ADZINE: Aber es wurde in der Vergangenheit doch bereits viel automatisiert. Was ist falsch gelaufen?

René: Es wurde in Silos und in Abteilungen automatisiert und optimiert. Sales hat automatisiert und verfügt über ein eigenes Sales-Operating-System, Finanzen ebenso, es gibt ein System für Business Intelligenz und so weiter. Was es braucht, ist ein System, das dies alles verbindet und die Silos durchbricht. Ein Rev-Ops-Konstrukt ist dafür da, dass das gesamte Ökosystem funktioniert. Aber diese übergreifende Betrachtung hat es auf der Sell-Side in der Vergangenheit nicht überall gegeben. Aber dies ändert sich grad.

ADZINE: Welche Entwicklung lässt sich aktuell beobachten?

René: Früher war eine große Ad-Ops-Abteilung nötig, in der sehr viel Arbeit händisch erledigt werden musste. Es mussten sehr viele Leute sehr konzentriert und sehr detailliert Daten heraussuchen und in verschiedene Systeme eingeben. Mittlerweile arbeiten viele Abteilungen dank automatisierter Abläufe immer effizienter.

ADZINE: Spätestens jetzt dürften bei einigen die Alarm-Glocken läuten. Was passiert mit den freien Ressourcen?

René: Die sich wiederholenden, manuellen Aufgaben – die von den Ad-Ops-Mitarbeitenden ohnehin nie geliebt wurden – fallen endlich weg. Sie können dadurch künftig mehr Verantwortung übernehmen. Statt lediglich stur Daten in Systeme einzutragen, müssen sie nun Prozesse überwachen, Optimierungen vorschlagen und Ergebnisse beurteilen. Und auch wenn künftig mehr automatisiert abläuft, sollten wichtige Entscheidungen immer von einem Menschen getroffen werden. Die Aufgabe wird für Ad-Ops-Mitarbeiter also zum einen abwechslungsreicher und spannender und die Medienhäuser profitieren zum anderen von einer höheren Effizienz und besseren Margen aus ihrem Mediageschäft. Der Job als solcher bleibt essenziell.

ADZINE: Welche neuen Technologien oder Automatisierungstrends erwartest du in den nächsten Jahren, insbesondere auch für das I/O-Geschäft?

René: Die Werbewelt wird strukturierter, es werden noch mehr Daten anfallen und entsprechend werden sich viele Prozesse mit künstlicher Intelligenz besser steuern lassen. Daher werden KI-Agents auch in den Ad-Ops-Teams Einzug halten und die Mitarbeitenden aktiv unterstützen. Gleichzeitig wird KI verstärkt für die Analyse von Daten und entsprechende Optimierungen eingesetzt werden. Als Drittes sehe ich, dass Prozesse weiter beschleunigt werden. Die Leute wollen nicht mit langen Wartezeiten konfrontiert werden, sondern sofort Ergebnisse sehen. Anfragen stellen, Feedback erhalten, Aufträge erteilen, ausführen – das alles wird künftig auch im I/O-Geschäft noch schneller erfolgen.

ADZINE: Vielen Dank für das Interview, René!

Tech Finder Unternehmen im Artikel

EVENT-TIPP ADZINE Live - SPOTLIGHT: CTV Innovation am 17. Juni 2025, 11:30 Uhr - 12:15 Uhr

In dieser SPOTLIGHT-Folge nehmen wir die Innovationen unter die Lupe, die für eine Vereinheitlichung in CTV sorgen sollen. Jetzt anmelden!

Events

Whitepaper