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MEDIA

Mehr Vielfalt statt Plattformdominanz im Mediaplan!

Anton Priebe, 8. Mai 2025
Bild: Denise Chan – Unsplash

Google, Meta und Amazon verschlingen die Hälfte der deutschen Werbegelder. Die großen Plattformen punkten vor allem mit ihrer bequemen Nutzung und gewaltigen Reichweite. Die Adressier- und Messbarkeit der Werbemaßnahmen über verschiedene Kanäle hinweg fällt ihnen leicht, denn ihre eingeloggten User versorgen sie mit dem nötigen Datenstrom. Doch der Ruf nach mehr Vielfalt im Mediaplan wird lauter. Dafür sorgen Diskussionen rund um (Daten-)Unabhängigkeit, Transparenz sowie Nachhaltigkeit und Verantwortung. Ein buntes Mediaökosystem ist nicht zuletzt für die Erhaltung der Demokratie notwendig. Stärkere Investitionen in die heimischen Medien und damit eine ausgewogenere Verteilung der Werbegelder sind jedoch kein Selbstgänger. Die Frage, wie dies gelingen kann, wird auch auf der ADZINE CONNECT eine entscheidende Rolle spielen. Mithilfe von Branchenexpertinnen und -experten, die bei der Veranstaltung mitwirken, haben wir uns dieser Frage im Vorfeld der Konferenz bereits angenommen.

Warum Vielfalt im Mediaplan notwendig ist

Bild: Groupm Nadja Schick, Groupm

“Vielfalt im Mediaplan ist keine optionale Ergänzung, sondern eine strategische Notwendigkeit. Unsere Gesellschaft ist vielfältig, und Marken, die relevant bleiben wollen, müssen dies in ihrer Kommunikation widerspiegeln”, betont Nadja Schick, Managing Partner vom Groupm Competence Center. Die Agenturfachfrau setzt sich schon lange vehement für einen bunteren Mediaplan ein. Schließlich ist Medienpluralismus in ihren Augen ein wichtiger Aspekt für Agenturen und Gesellschaft. “Nur wer vielfältig plant und auch kleinere Medienpartner einbezieht, erreicht die gesamte Gesellschaft, vermeidet Stereotype und stärkt eine demokratische Medienlandschaft.”

Dabei darf vor allem nicht in Vergessenheit geraten, dass Werbung für viele Medien ein existentielles finanzielles Standbein ist. Wenn Marken ihr Werbegeld fast ausschließlich in die Hände weniger Plattformen geben, entziehen sie dem unabhängigen Journalismus wichtige Finanzierungsgrundlagen. Die Folgen sind verheerend: “Qualitätsmedien verlieren Einnahmen, müssen Redaktionen abbauen, Inhalte einschränken – und mit ihnen verschwinden oft auch investigative Recherchen, lokale Berichterstattung und kritische Stimmen. Das gefährdet nicht nur die Medienvielfalt, sondern auch die demokratische Meinungsbildung”, sagt Schick. Medienvielfalt sichert Multiperspektivität und damit die Möglichkeit, gesellschaftliche Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und zu diskutieren. “In einer pluralistischen Demokratie brauchen wir journalistische Angebote, die verschiedene soziale, kulturelle und politische Realitäten abbilden und einordnen”, meint Schick. Diese Vielfalt verhindere Monopole der Meinungsmacht und biete Schutz gegen Desinformation und Polarisierung. “Medienvielfalt ist Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, demokratische Teilhabe und Resilienz”, ist Nadja Schick überzeugt.

Wie kann eine Balance hergestellt werden?

Allerdings werden besonders kanalübergreifende Kampagnen abseits der Mega-Plattformen seit jeher zur Herausforderung. Es gilt, ein komplexes Puzzle aus unterschiedlichen Fragmenten der Medienlandschaft und ihren Datensätzen sowie der für den Zugang notwendigen Tech-Infrastruktur zusammenzusetzen. Werbetreibende begeben sich im Open Web auf die Suche nach Reichweite für ihre Multichannel-Kampagnen, pochen aber auch auf die Messbarkeit und Adressierbarkeit ihrer Maßnahmen. Entsprechend ist eine funktionierende Tech-Infrastruktur des offenen Werbemarkts eine der Grundvoraussetzungen für mehr Vielfalt im Mediaplan.

First-Party-Daten – der eigene Tech-Stack auf dem Prüfstand

Bild: Utiq Norman Wagner, Utiq

Dazu gehört ein Blick der Advertiser auf ihren eigenen Tech-Stack. “Wer als Advertiser im offenen Internet auch künftig wirkungsvoll werben will, kommt um ein zentrales Gedankenexperiment nicht herum: Wie funktioniert meine Kampagnenausspielung, wenn ich nicht mehr auf die Infrastruktur von Google & Co. setzen könnte?”, gibt Norman Wagner, Managing Director Germany von Utiq, zu bedenken. So werden die Abhängigkeiten deutlich.

Diese Abhängigkeiten gilt es aufzulösen. “Wer sich als Marke von Plattformabhängigkeiten lösen will, muss bei der Infrastruktur ansetzen. Der erste Schritt ist ein Adtech-Stack, der nicht auf Plattform-Logins, Third-Party-Cookies oder US-zentrische Identifikatoren angewiesen ist. Stattdessen braucht es Lösungen, die auf europäischen Datenschutzstandards basieren”, betont Wagner. Dabei ist die Arbeit mit First-Party-Daten unabdingbar. Ein zukunftsfähiger Tech-Stack müsse dazu in der Lage sein, First-Party-Audiences aufzubauen, in Echtzeit anzusprechen und medienübergreifend zu aktivieren – unabhängig von einem Login. Norman Wagner sieht ein entscheidendes Puzzleteil in skalierbaren ID-Lösungen.

Bild: Adality Florian Bole, Adality

Beim Datenspezialisten Adality rät man zu einer zentralen Datenplattform. Eine Customer-Data-Plattform (CDP) ermögliche die einheitliche Sammlung und Segmentierung von First-Party Daten, erklärt Florian Bole, Head of Digital Data & Services bei der Bertelsmann-Tochter. Zudem sei ein Data Clean Room als Aktivierungs- und Measurementplattform für die ID-Resolution und anschließenden Cases über alle Plattformen und Kanäle hinweg notwendig, erörtert Bole weiter. “Ein erfolgreiches ID-Matching erhöht signifikant die Cross-Media-Reichweite für sowohl Targeting als auch Measurement und macht so sämtliche Cases erst relevant”, gießt er Wasser auf die Mühlen von Norman Wagner. Laut Bole lohnt sich ein Blick der Advertiser auf den Retail-Media-Bereich: “Die Verknüpfung von hochrelevanten Daten mit stabilen Login-Reichweiten hat bekanntermaßen ein riesiges Potenzial für Multichannel-Kampagnen und deren Measurement.” Hier ist Amazon unter dem Gesichtspunkt der Vielfalt offensichtlich keine Option. Vielmehr sollten sich Werbetreibenden auf die hiesigen Händler zugehen.

Der Utiq-Manager Wagner appelliert weiterhin, dass ein isoliertes System wenig nützt. ”Die Infrastrukturfrage ist kein Nebenschauplatz mehr – sie ist der Hebel für mediale Souveränität.” Mögliche Fragen, die Advertiser klären sollten, lauten: Funktioniert meine DSP mit der ID? Kann meine DMP oder CDP diese Daten verstehen? Ist mein Tech-Stack anschlussfähig an ein Ökosystem jenseits der Walled Gardens?

Measurement – ohne Panels geht es nicht?

Bild: Audienceproject Sedat Polat, Audienceproject

Neben der Ansprache der Zielgruppe ist die von Bole bereits angedeutete kanalübergreifende Erfolgsmessung eine der harten Nüsse, die es für Advertiser zu knacken gilt. In diesem Bereich existieren viele unterschiedliche Anbieter, die sich dieser Herausforderung mit jeweils eigenen Ansätzen, Methoden und Lösungen stellen. Audienceproject ist einer von ihnen. Für Sedat Polat, Solution Director des dänischen Marktforschungsunternehmens und Messdienstleisters, ist die Sache klar: “Wir halten die Fähigkeit, Kampagnenkontaktdaten über verschiedene Kanäle hinweg zu sammeln, zu vereinheitlichen und zu deduplizieren, für eine Grundvoraussetzung einer effektiven crossmedialen Kampagnenmessung.” Er empfiehlt daher unter anderem auf kanalspezifische Identifier zu verzichten.

Seiner Meinung nach ist eine Plattform elementar, die diese Daten mit panelbasierten Zielgruppendaten kombinieren und auf die Grundgesamtheit projizieren kann. Dies ermögliche einen ganzheitlichen, datenschutzkonformen Überblick über die Reichweite und Kontakthäufigkeit von Kampagnen über ansonsten getrennte Kanäle. Von dem ungefilterten Einsatz der Daten, die in Richtung der Advertiser strömen, rät der Fachmann ab. “Ganz wichtig ist aus unserer Sicht, dass der Tech-Stack eines Werbetreibenden nicht bloß Rohdaten der Vermarkter und Publisher ungeprüft entgegennimmt, sondern diese nur nach vorheriger Validierung und mit einem standardisierten Ansatz zur Vereinheitlichung und Deduplizierung verwendet”, sagt Sedat Polat. Nur so könne es gelingen, Kampagnen auf der Grundlage der tatsächlichen Zielgruppenreichweite zu optimieren.

Multichannel – ein Blick auf die Medien

Die Hausaufgaben der Advertiser mit Blick auf ihren Tech-Stack scheinen enorm. Doch auch aufseiten der Medien kann etwas für mehr Vielfalt im Mediaplan getan werden. “Die Medienwelt muss sich von siloartigen Einzellösungen verabschieden und auf ein einheitliches Set an interoperablen und europäischen Technologien setzen”, ist Norman Wagner von Utiq überzeugt. Es brauche gemeinsame Standards und vernetzte Technologie.

Das ist keine neue Forderung und leichter gesagt als getan, doch Wagner präzisiert und nennt konkret einen gemeinsamen technischen Unterbau für Curated Deals. Dies sind Bündel aus Inventaren und Zielgruppen auf der Sell-Side, die gezielt und messbar ausgesteuert werden können. “Damit publisherübergreifende Curated Deals funktionieren, braucht es eine gemeinsame technologische Basis. Das bedeutet nicht, dass alle Publisher nur eine SSP unterstützen, wohl aber, dass ein Set an gemeinsam unterstützter SSP-Plattformen vorhanden ist, über die solche Deals realisierbar sind. Nur so kann ein konsistenter Zugang zu Inventaren geschaffen und eine einheitliche Reichweiten- und Frequenzsteuerung auf Basis stabiler IDs sichergestellt werden.” Das setzt natürlich auch voraus, dass die DSPs in der Lage sind, die Informationen zu verarbeiten.

Wagner ist sich sicher: “Die Medien verfügen über die Reichweite, die Marken brauchen – doch diese Reichweite muss technologisch orchestriert werden. Der Weg zu echter Vielfalt im Mediaplan führt also über Kooperation, technische Souveränität und gemeinsame Standards.”

Umdenken – alle Marktteilnehmer sind gefragt

Die technischen Voraussetzungen sind nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist das Verständnis der aktuellen Situation und der Wille, mehr Budgets abseits der Walled Gardens zu investieren. Nadja Schick von der Groupm glaubt, dass sich Marken der Konsequenzen der aktuellen Budgetverteilung bewusst werden müssen. Um die Situation zu ändern, hat sie einen ganzen Maßnahmenkatalog parat.

Zunächst müssen die Erfolgsmetriken erweitert werden – “weg von reiner Performance-Optimierung, hin zu nachhaltigem Markenaufbau und gesellschaftlicher Wirkung.” Zweitens sollten Medienpartnerschaften gestärkt werden. “Durch Direktbuchungen mit unabhängigen Medienpartnern, stärkere Berücksichtigung regionaler oder themenspezialisierter Angebote und bewusstes Budgetshifting zugunsten von Qualitätsjournalismus”, so Schick. Agenturen könnten zu Aufklärung und Dialog beitragen, indem sie Alternativen zu den Walled Gardens aufzeigen und als Impulsgeber Qualität mit den richtigen Tools sichtbar und steuerbar machen.

Schick sieht Agenturen ebenso wie Marken und Medienhäuser in der Pflicht. “Marken sollten sich bewusst machen, dass ihre Mediabudgets mit darüber entscheiden, welche Inhalte sichtbar bleiben. Medienhäuser müssen ihre Inhalte weiterentwickeln – zielgruppenrelevant, plattformgerecht und transparent in der Performance. Nur wenn Qualität mit Wirkung zusammengebracht wird, entstehen zukunftsfähige Modelle.” Doch auch die Politik entscheidet über Vielfalt im Mediaplan. “Wer einen funktionierenden Medienmarkt will, muss über Fairness im digitalen Werbemarkt sprechen – etwa durch Förderung unabhängiger Medien oder Regulierung marktbeherrschender Plattformen.”

Bei der Frage nach Vielfalt geht um mehr als eine gerechtere Verteilung der Werbegelder. “Letztlich geht es nicht nur um Reichweite, sondern darum, wo und wie die Branche ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt”, schließt die Expertin.

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