Zunächst erging im Dezember in Österreich ein Urteil, wonach der Einsatz von Google Analytics nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Die französische Datenschutzbehörde CNIL weist wenig später einen französischen Website-Manager an, die DSGVO einzuhalten und gegebenenfalls die Nutzung dieses Dienstes unter den aktuellen Bedingungen einzustellen. Und die niederländische Aufsichtsbehörde AP warnt: “Achtung: Die Verwendung von Google Analytics könnte bald verboten werden.” Wenn es tatsächlich so kommt, müssen Konzepte neu gedacht und Marketingstrategien umgeschrieben werden.
Dieses Urteil könnte nicht nur einen Stein ins Rollen gebracht haben, sondern das digitale Marketing insgesamt unter Zugzwang setzen: Im Januar wurde eine Entscheidung der österreichischen Datenschutzbehörde (DSB) publik. Darin heißt es unter anderem: “Nach Auffassung der Datenschutzbehörde kann das Tool Google Analytics (jedenfalls in der Version vom 14. August 2020) somit nicht in Einklang mit den Vorgaben von Kapitel V DSGVO genutzt werden.”
Datenschutzbehörden schlagen Alarm
Im Kern der Sache geht es um eine Verletzung der allgemeinen Grundsätze der Datenübermittlung gemäß Art. 44 DSGVO. Die Standardschutzklauseln, die der Websitebetreiber mit Google abgeschlossen hatte, bieten laut österreichischer Behörde kein angemessenes Schutzniveau, da Google als Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste der Überwachung durch US-Geheimdienste gemäß 50 U.S. Code § 1881a (FISA 702) unterliege. Auch die zusätzlich getroffenen Maßnahmen seien nicht effektiv, “da diese die Überwachungs- und Zugriffsmöglichkeiten durch US-Nachrichtendienste nicht beseitigen”, hieß es weiter. Es war die erste Entscheidung von insgesamt 101 Musterbeschwerden, die Noyb in ganz Europa eingereicht hat. Noyb ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Wien und engagiert sich für die Durchsetzung des Datenschutzes innerhalb der Europäischen Union.
Wenige Wochen später folgte ein Beschluss der französischen Datenschutzbehörde (CNIL) der Entscheidung aus Österreich und forderte einen französischen Websitebetreiber auf, die Nutzung von Google Analytics zu stoppen. “Langfristig brauchen wir entweder einen angemessenen Datenschutz in den USA, oder wir werden am Ende getrennte Produkte für die USA und die EU haben. Ich persönlich würde einen besseren Schutz in den USA bevorzugen, aber das ist Sache des US-Gesetzgebers”, kommentierte Noyb-Initiator Max Schrems die aktuelle Entwicklung. Schrems ist österreichischer Jurist und Datenschutzaktivist.
Wichtig, aber nicht unverzichtbar
Noch immer ist Google Analytics das dominierende Tracking-Tool. Je nach Quelle wird es von geschätzt 50 bis 80 Prozent aller Websites eingesetzt. Die klassische Version – die für KMU ausreichend ist – wird kostenlos angeboten. Allein aus diesem Grund wäre eine Nichtnutzung unbequem. “Aber unverzichtbar ist Google Analytics nicht”, sagt Maren Seitz, Senior Director von Analytics Partner. Die Urteile und Warnungen sind nach Einschätzung der Expertin ernst zu nehmen. “Seitenbetreiber sind hier in der Pflicht, und sollten sich dringend informieren und Maßnahmen ergreifen.” Dazu gehöre beispielsweise, einen entsprechenden Auftragsverarbeitungsvertrag abzuschließen, IP-Anonymisierung zu aktivieren, Consent Tools einbinden, und so weiter. “Auch auf Google-Seite ist damit zu rechnen, dass das Unternehmen auf zunehmenden Druck reagieren wird“, sagt Seitz. Die tatsächliche Frage ist aus ihrer Sicht allerdings eine ganz andere – welche und wie viele Daten bleiben am Ende übrig, um tatsächlich noch zuverlässiges Targeting und Wirkungsmessung zu erlauben? Wie verlässlich und nützlich sind die Ergebnisse?
“Immer mehr Nutzer möchten sich nicht nachverfolgen lassen, und so bröckelt die Basis für Messungen auf Nutzerebene schon lange“, sagt die Expertin. Der Trend hin zu immer stärkerem Schutz der Privatsphäre sei auch in der Rechtsprechung deutlich. Und mit dieser umfassenden Entwicklung wächst die Unsicherheit für Webseitenbetreiber weiter. Hinzu kommt, dass es für Websitebetreiber kein Vergnügen ist, sich permanent damit auseinanderzusetzen, ob eine gewählte Lösung den aktuellen oder womöglich kommenden Regelungen entspricht. Langfristige Rechtssicherheit wäre für alle Marktteilnehmer wünschenswert. Doch das scheint mit Google Analytics kaum noch möglich zu sein.
Vielfältige Verknüpfungen können zum Problem werden
Wenn der Einsatz von Google Analytics in der EU künftig illegal werden sollte, hätte dies nachhaltige Konsequenzen für das Online-Advertising. “Das wäre schon ein gewaltiger Impact auf die gesamte Digital-Branche“, sagt Markus Forster, Managing Director von Fusedeck. So sei zum einen der Einsatz von Google Analytics sehr weit verbreitet und zum anderen auch weitere Tools und Dienste betroffen, die unter ähnlichen Voraussetzungen funktionieren. “Das stellt die heutige Nutzung des Internets, und auch das Online-Advertising, wie wir es kennen, infrage und könnte grundlegende Veränderungen in Europa mit sich bringen.”
Ein weiteres Problem dürfte im Daily Business liegen. Google Analytics ist auch ein Teil der Google Marketing Plattform und bei Advertisern unterschiedlich tief mit anderen Lösungen verknüpft. Relativ einfach ist es laut Forster, wenn – wie so oft – Google Analytics für reines Web-Analytics benutzt wird. In diesem Fall wäre das Tool technisch unmittelbar mit anderen DSGVO-konformen Tools substituierbar.
Brüche in der Prozesskette drohen
Bei einer ganzheitlichen Verknüpfung mit allen Diensten der Google Marketing Plattform geht Forster jedoch davon aus, dass es bei einer Abschaltung von Google Analytics einen Bruch in der Media-Prozesskette geben wird, „der bei Advertisern zu einem umfangreichen Neu-Setup führen wird, wie etwa neue Tracking-Konzepte oder datenschutzkonforme Aggregierung der Daten.“
Alternativen zu Google Analytics einzusetzen, wäre also grundsätzlich möglich. Ein Umstieg ist nach den Erfahrungen von Fusedeck in der Regel problemlos machbar. “Der Übergang kann auch stufenweise erfolgen, sodass die Tools in einer Übergangszeit parallel nebeneinander eingesetzt werden“, sagt Forster. Bei der Auswahl empfiehlt der Experte, auf europäische Anbieter zu setzen, die keine Daten in sogenannte „unsichere Drittländer“ wie die USA transportieren.
Die Marketingstrategie zukunftssicher ausrichten
Eine zukunftssichere Marketingstrategie muss auch nach Einschätzung von Seitz nach Alternativen zum individuellen Tracking suchen. Waren viele Unternehmen zu Anfang noch „wie gelähmt“ von den Entwicklungen, sieht man bei Analytic Partners jetzt klare Handlungsbereitschaft und erlebt einen Boom im Interesse an modernen Marketing Mix Modellen, die es ermöglichen sollen, auch ohne Trackingdaten die Wirksamkeit von Aktivitäten zu bewerten. Dabei werden keine individuell identifizierbaren Daten verarbeitet, sondern Ausgaben, Impressionen und andere Metriken angewendet. Weiterhin helfen CRM-Daten sowie der Einbau von gezielten Experimenten.
„Aus unserer Sicht besteht also kein Grund zur Panik“, sagt Seitz. „Kurzfristig lassen sich Maßnahmen zur rechtlichen Absicherung ergreifen. Mittelfristig ist es ohnehin nötig, sich nach zukunftssicheren Messmethoden umzuschauen – die es durchaus auch gibt.“
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