Von Geo-Daten zu intelligenten Zielgruppenmodellen
Anton Priebe, 13. November 2025Interview mit Richard Wagner, Beintoo
Die cookiebasierte Reichweite schrumpft weiter und Advertiser suchen nach neuen Wegen zur präzisen Zielgruppenansprache. Während viele Marken auf den Aufbau von First-Party-Daten setzen, gewinnen Geo-Targeting-Ansätze zunehmend an Bedeutung. Im Gespräch mit ADZINE erklärt Richard Wagner, Head of Sales bei Beintoo DACH, warum standortbasierte Daten weit mehr leisten als nur regionale Aussteuerung, wie KI und Machine Learning anonymisierte Bewegungsdaten in performante Zielgruppenmodelle verwandeln und weshalb Footfall-Measurement gerade vom Reporting-Werkzeug zum strategischen Steuerungsinstrument avanciert.
ADZINE: Richard, jahrelang war der “Tod” der Third-Party-Cookies Dauerthema – nach Googles Hin und Her scheint Cookieless-Targeting in den Hintergrund geraten zu sein. Dennoch sinkt die adressierbare Reichweite über Cookies kontinuierlich. Kann die hiesige Werbeindustrie in deinen Augen gute Alternativen für genaue Zielgruppenansprache liefern?
Richard Wagner: Die Branche hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei cookielosen Alternativen gemacht und nicht nur im Bereich First-Party-Daten, sondern vor allem durch innovative, datenschutzfreundliche Geo- und Contextual-Targeting-Lösungen sowie probabilistische Modelle. Für viele Werbetreibende liefern hyperlokale, verhaltensbasierte Zielgruppen auf Postleitzahl- oder Stadtebene heute bereits präzisere, relevantere und oftmals performantere Ergebnisse als klassisches Cookie-Targeting. Dank KI-gestützter Segmentierung und Machine-Learning lassen sich aus anonymisierten Bewegungs-, Kontext- und Verhaltensdaten stabile Zielgruppen bilden, die nachweislich auf Kampagnen reagieren, ganz ohne persönliche Profile und damit DSGVO-konform.
Die Zukunft liegt für mich in einem modularen, plattformunabhängigen Targeting. Marken können unterschiedliche Datenquellen flexibel anreichern und ihre Paid-Media-Strategien mit maximaler Präzision auch ohne Third-Party-Cookies fortführen. Das schafft Transparenz, Planungssicherheit und ein praxisnahes Werkzeug für Mediaplaner, das Datenschutz und Performance gleichermaßen abdeckt.
ADZINE: Wie können Location-Daten bei der präzisen Ansprache konkret helfen? Kannst du ein paar greifbare Beispiele für Daten geben, die dabei ins Spiel kommen?
Wagner: Die Grenzen zwischen physischen und digitalen Kanälen verschwimmen zunehmend und gerade Standortdaten bieten Marken einen wertvollen Schlüssel, um das Offline-Verhalten von Konsument: innen zu verstehen und daraus umsetzbare Erkenntnisse für digitale Strategien abzuleiten. Dabei geht es nicht nur darum, wo sich jemand gerade befindet, sondern darum, wie häufig bestimmte Orte besucht werden, welche Bewegungsmuster sich zeigen und welche Konsumverhalten regional typisch sind.
Für eine bekannte Automarke konnten wir zum Beispiel mittels Location Intelligence Nutzer identifizieren, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums mehrere Autohäuser besucht hatten, was ein klarer Hinweis auf ein konkretes Kaufinteresse ist. In Kombination mit Online-Interest-Daten wurde die Kampagne an eine äußerst präzise Zielgruppe ausgespielt, das Budget effizienter eingesetzt und die Wirkung der Kampagne deutlich gesteigert.
ADZINE: Letztens hieß es in der Presse, dass der Markt ein “Geo-Targeting-Problem” habe. Stimmst du der Aussage zu? Wie beurteilst du die Qualität der Geo-Targeting-Daten in Deutschland?
Wagner: Wenn von einem “Geo-Targeting-Problem” gesprochen wird, geht es meistens um die Qualität und Verlässlichkeit der Daten. Werden diese nicht mit der nötigen Sorgfalt verarbeitet, besteht das Risiko ungenauer oder unvollständiger Informationen, die dann selbst die beste Strategie untergraben kann.
Ich sehe da eher das Problem der jeweiligen Datenbasis. In Deutschland und anderen europäischen Märkten ist die Signalverfügbarkeit grundsätzlich hoch. Entscheidend ist, wie diese Daten validiert und normalisiert werden und beispielsweise Geräte ausgeschlossen werden, die sich dauerhaft an einem Ort befinden, weil sie dort „wohnen oder arbeiten“, oder indem geografische Signale mit soziodemografischen und verhaltensbezogenen Informationen angereichert werden. So entstehen deutlich verlässlichere Segmente.
Unter dieser Voraussetzung kann die Qualität von Geo-Daten in Deutschland als sehr hoch gelten, sofern man mit Partnern arbeitet, die über transparente und methodisch saubere Prozesse verfügen. Für mich ist das also weniger ein Problem als eine Herausforderung: große Datenmengen in umsetzbare, datenschutzkonforme Insights zu verwandeln.
ADZINE: Mit welchen Informationen verknüpft ihr eure Location-Daten, um sie aufzuwerten? Für welche Art von Kampagnen kommt diese Kombination insbesondere zum Einsatz? Und zahlt dieser Ansatz auch auf Omnichannel-Kampagnen ein?
Wagner: Wir verfolgen seit jeher einen datengetriebenen Ansatz: Wir reichern Geo-Daten mit Verhaltens-, soziodemografischen und Online-Interest-Insights oder auch Abverkaufsdaten an, um immer präzisere Nutzercluster für unsere Kunden zu bilden. So gehen wir über die reine geografische Nähe hinaus und gewinnen ein tieferes Verständnis für Interessen, Routinen und Konsumenten. In Awareness-Kampagnen erreichen wir Zielgruppen, die inhaltlich und kulturell zur Marke passen; in Drive-to-Store-Kampagnen wiederum sprechen wir Personen mit relevanten Kaufintentionen an und messen die Effektivität anhand realer Store-Visits.
Der größte Mehrwert zeigt sich jedoch im Omnichannel-Kontext: Durch die Integration von Geo-Signalen über Mobile, Desktop, DOOH und Social Media entsteht eine konsistente Kommunikation entlang der gesamten Customer Journey, wobei digitale und physische Touchpoints nahtlos ineinander greifen.
ADZINE: Einzelhändler, wie beispielsweise Filialisten oder Autohäuser, greifen auf Footfall-Measurement zurück, um den Erfolg ihrer Kampagnen zu bewerten. Dabei spielen natürlich auch Geo-Daten eine Rolle. Welche Innovationen siehst du auf diesem Gebiet derzeit?
Wagner: Footfall-Measurement geht heute weit über das reine Zählen von Ladenbesuchen hinaus. Die spannendsten Entwicklungen liegen in der Verknüpfung von Besuchen mit qualitativen Kennzahlen wie Besuchshäufigkeit, Verweildauer oder sogar Absatzwirkung. So lässt sich der tatsächliche Return on Advertising Investment präziser ermitteln und die Kampagnenwirkung besser verstehen.
Wir setzen auf Modelle und Tools, die genau solche erweiterten Indikatoren abbilden und über kurzfristige KPIs hinausgehen. Die Richtung ist klar: Footfall-Measurement entwickelt sich von einer taktischen Messgröße zu einem strategischen Steuerungsinstrument mit echten Insights, die nicht nur den Erfolg einer Kampagne sichtbar machen, sondern auch helfen, zukünftige Mediaplanungen zu verbessern.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Richard.
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