KI in Adtech: Zwanzig Jahre algorithmische Evolution
Jan Heumüller, 13. Oktober 2025
Während andere Branchen erst seit Kurzem ihre ersten Gehversuche mit Künstlicher Intelligenz (KI) machen, läuft Adtech bereits seit zwei Jahrzehnten einen Automatisierungsmarathon. Die Industrie baut auf Daten, Geschwindigkeit und Skalierung auf und bietet damit den perfekten Nährboden für die Evolution der Algorithmen. In diesem Artikel werfen wir einen Blick zurück auf die lange Geschichte der KI-Innovationen in Adtech und schauen, wohin die Reise als Nächstes geht.
2005: Klick-Prognosen mit algorithmischen Tricks
Pay-per-Click-Werbung entwickelte sich in den Anfangsjahren des Internets zu einem Milliardenmarkt, als Google, Yahoo und Ask noch um die Vorherrschaft in der Suchmaschinenwerbung rangen. Die Prognose von Klickraten war damals essenziell – möglich wurde sie durch die ersten Experimente mit Machine Learning (ML), das Mitte der 2000er bis Anfang der 2010er den Weg in die Werbewelt fand.
Die so entstandenen Modelle konnten Terabytes an Daten aus den Suchergebnisseiten analysieren und Muster in Nutzerreaktionen und Suchanfragen erkennen. So ließen sich Faktoren isolieren, die die Wahrscheinlichkeit eines Klicks oder einer Conversion erhöhen.
Ähnliche Modelle fanden bei Facebook Einsatz, wo noch größere Datenmengen zusammenliefen. Unternehmen wie Criteo übertrugen ML-basierte Klick-Prognosen schließlich auf die Display-Welt, was kein Selbstgänger war. Denn hier musste nicht nur eine Plattform berücksichtigt werden, sondern zahlreiche Domains und Kontexte.
2015: Von kleinen zu riesigen Audiences
Rund um 2015 hielt ML Einzug in die Analyse von Zielgruppen. Die rasante Verbreitung von Smartphones und Apps führte zu einer stark fragmentierten Medienlandschaft. Um konsistente Nutzerprofile über Geräte und Plattformen hinweg zu erstellen, kamen ID-Graphen ins Spiel. ML-Modelle verknüpften IP-Adressen, E-Mail-Adressen, Geräte-IDs und weitere Identifier. Allerdings nicht ohne Datenschutzbedenken, die bald regulatorische Grenzen setzten.
Auch die Planung und Aktivierung von Zielgruppen veränderte sich. Kleine Seed-Audiences konnten probabilistisch erweitert werden, sodass Marken deutlich größere Zielgruppen gezielt ansprechen konnten. Dieses Vorgehen erwies sich als besonders hilfreich, als mit dem Inkrafttreten der DSGVO 2018 die Regeln strenger wurden. Datenpools mit gültigem Consent konnten für Modellierungen genutzt werden, ohne die gesetzlichen Vorgaben zu verletzen.
2020: Ein Bewusstsein für die Maschinen
Bis 2020 hatten Computer Vision und Large Language Models (LLMs) KI menschlicher gemacht, allerdings immer noch mit übermenschlicher Geschwindigkeit und Skalierbarkeit. Computer Vision half dabei, den Inhalt visueller Medien zu erkennen (teilweise durch CAPTCHAs trainiert), während LLMs Texte auf Basis von Semantik statt einfacher Keywords interpretierten.
Dieses tiefere Verständnis verhalf insbesondere dem Contextual Advertising zu einem neuen Durchbruch. Bisher war es wegen ungenauer manueller Tagging-Verfahren nur schwer skalierbar. In Kombination mit Predictive-Modellen ließ sich erstmals die Wirksamkeit von Creatives anhand visueller und textueller Elemente vorhersagen.
2022: ChatGPT katapultiert KI in den Mainstream
Generative KI (GenAI) kehrt das Prinzip um: Sie nutzt die Erkenntnisse aus Computer Vision und LLMs nicht zur Interpretation, sondern zur Erstellung von Medien. Anfangs sorgten Tools wie Midjourney für Aufsehen, weil sie aus simplen Texteingaben hochwertige Bilder erzeugten. Doch erst mit dem Launch von ChatGPT im November 2022 rückte KI endgültig in den Mainstream.
Die Vorteile sind offensichtlich: In einer Branche, die enorme Mengen an kreativen Assets produziert, ist alles, was Prozesse beschleunigt, für Marken und Agenturen direkt hochattraktiv. Gleichzeitig können Plattformen nun über natürliche Sprache statt über komplexe Klickpfade gesteuert werden.
Der Hype brachte jedoch auch Hysterie mit sich. Plötzlich standen Aspekte des Machine Learning, die zuvor ohnehin Teil der unsichtbaren Werbe-Infrastruktur waren, im Zentrum vermeintlich „KI-getriebener“ Transformationen. Diese sprachliche Verwässerung erschwert es, echte Innovationen von bloßem Rebranding jahrzehntealter Technologien zu unterscheiden.
2025: KI-Agenten sind bereit – aber sind wir es auch?
KI treibt das Wachstum in Adtech seit jeher voran. Doch eine Innovation könnte dieses Wachstum in neue Dimensionen katapultieren: Agentic AI.
Im Kern arbeiten KI-Agenten, indem sie Aufgaben sequenziell über spezialisierte Komponenten ausführen, die jeweils auf ein bestimmtes Ergebnis hin optimiert sind. In der Werbung können sie etwa Zielgruppen identifizieren, passendes Inventar finden, Creatives dynamisch anpassen und Kampagnen-Performance in Echtzeit optimieren.
Doch Agentic AI geht einen Schritt weiter: Anstatt nur vordefinierten Abläufen zu folgen, kann sie eigenständig Lösungen konzipieren, verschiedene Ansätze testen und optimale Strategien auswählen. Denkbar wäre ein einziges agentisches System, das autonom Kampagnen über mehrere Plattformen hinweg aufbaut, permanent überwacht und ohne menschliches Eingreifen optimiert.
Damit Agentic AI jedoch mehr hervorbringt als vereinzelte Tools, braucht es die Zusammenarbeit zwischen Adtech-Anbietern, Agenturen, Publishern und Plattformen. Denn sie wird die Kräfteverhältnisse der Branche neu ordnen, Demand- und Supply-Side-Unternehmen auf Links drehen und womöglich Zwischenhändler ausmerzen.
Ob das nächste Kapitel der algorithmischen Evolution in Adtech geschrieben wird, hängt daher weniger von der Technologie ab als von einem Umdenken hin zu Zusammenarbeit und Interoperabilität. Das könnte allerdings die bisher größte Herausforderung für Adtech insgesamt darstellen.
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