Warum die Supply Chain in Programmatic neu geordnet werden muss
Anton Priebe, 3. September 2025
Mit Open Path will The Trade Desk die programmatische Lieferkette verschlanken und mehr Transparenz in den Markt bringen. Direktanbindungen wie jüngst mit Waipu TV sollen Publishern höhere Erlöse und Werbetreibenden effizienteren Zugang zu Inventaren ermöglichen, ohne klassische Supply-Side-Plattformen zu verdrängen. Im Gespräch mit ADZINE erläutert Sven Hagemeier, General Manager Inventory Development EMEA bei The Trade Desk, warum er die Zukunft des Programmatic Advertising noch immer im offenen Internet sieht und weshalb dazu die vorherrschenden Incentive-Strukturen für die Marktteilnehmer dringend neu justiert werden müssen.

ADZINE: Sven, inwiefern hat sich die Rolle der Demand-Side-Plattformen im Programmatic Advertising in den letzten Jahren verändert?
Sven Hagemeier: Es muss aktuell eine gewisse Weichenstellung geben. Wohin entwickelt sich das offene Internet im Vergleich zu den Walled Gardens? Wir sehen uns in der Verantwortung, hier als Vorreiter aufzutreten. Unser Ziel ist, Transparenz, Effizienz und damit Performance im Open Internet zu steigern. Die Supply Chain ist über die Jahre sehr komplex geworden, mit vielen Akteuren, wobei leider nicht alle mehr Wert schaffen, als sie entziehen. Wir wollen diese Strukturen verschlanken, zugunsten von Werbetreibenden wie Publishern. Als unabhängige DSP ohne eigenes Inventar sind wir darauf angewiesen, dass das offene Internet wettbewerbsfähig bleibt.
ADZINE: Ihr habt kürzlich Waipu angeschlossen – dabei handelt es sich um eine direkte Anbindung. Was steckt hinter dieser Integration und warum gerade Waipu? Damit bewegen wir uns ja aus dem Web heraus in Richtung Connected TV.
Hagemeier: Mit Open Path wollen wir möglichst viele direkte Verbindungen zu Premium-Publishern schaffen, ob Web oder Connected TV. Dabei handelt es sich um eine zusätzliche Integration zu den SSP-Integrationen, über die wir weiterhin zugreifen. Der Publisher erhält direkten Zugriff auf unsere Gebote und macht sein eigenes Yield Management. Waipu war unser erster großer CTV-Partner hierfür in Deutschland. Über die direkte Anbindung sehen wir genau, welche Signale, Floorpreise oder Bid-Requests der Publisher tatsächlich sendet, unverändert und beispielsweise ohne Duplizierung. So können wir besser entscheiden, welcher Pfad der performanteste ist. Open Path ist also eine Art „Source of Truth“, die uns mehr Transparenz und Effizienz im Markt bringt.
ADZINE: Das hört sich jetzt alles ganz nett an, aber Kritiker sagen, dass ihr damit die SSPs aus der programmatischen Kette schmeißt. Denn die SSPs werden sich sicherlich nicht freuen, dass sie nicht mehr Teil dieser speziellen Auktionen bei Waipu sind. Wie begegnet ihr diesem Vorwurf?
Hagemeier: Das war anfangs ein Vorwurf, als wir Open Path 2022 gelauncht haben. Doch heute zeigt sich, dass kein großer negativer Effekt für die SSPs entsteht. Wir kaufen ja weiterhin über sie ein. Open Path wird nie der einzige oder primäre Weg sein, über den wir einkaufen, sondern dient als Vergleichs- und Kontrollinstanz. Viele SSPs entwickeln dadurch neue Lösungen für Publisher. Manche profitieren sogar direkt von Open Path, weil wir erkennen, welche Pfade wirklich effizient und fair sind. Entscheidend sind die Incentives im Markt. Wenn es sich lohnt, transparent und fair zu agieren, gewinnen alle. Die Incentive-Strukturen im Programmatic Advertising waren leider viel zu lange darauf ausgerichtet, den Markt zu manipulieren, um mehr Geld zu verdienen.
ADZINE: Das heißt, die Algorithmen der SSPs finden so wieder auf den “richtigen” Weg zurück? Sie kommen zur effizientesten Lösung und nicht zu der, die ihr erfahrungsgemäß am meisten Geld bringt?
Hagemeier: Genau.
ADZINE: Warum gibt es überhaupt duplizierten Traffic? Gab es ein konkretes Marktversagen, der diese Direktanbindungen, wie ihr sie tätigt, nötig macht?
Hagemeier: Das war eine Marktlogik. Publisher konnten mehr Umsatz erzielen, wenn sie denselben Traffic über möglichst viele SSPs und Header-Bidding-Lösungen, in denen im Zweifel die gleichen SSPs integriert waren, vermarktet haben. DSPs bieten dadurch mehrfach auf dieselbe Impression. So wurde aber die Supply Chain künstlich aufgebläht. Dahinter steckt kein böser Wille, sondern eher eine Evolution des Markts, wenn unabhängig voneinander optimiert wird. Doch heute führt das zu Ineffizienz und Wettbewerbsnachteilen gegenüber den Walled Gardens. Open Path soll diese Strukturen umdrehen, hin zu faireren Auktionen und direkterem Geldfluss ins offene Internet. Große Advertiser fordern das von uns ein. Sie erwarten, dass wir als Plattform die Lieferkette effizient halten, wie ein Supermarkt, der für Qualität bis ins Regal verantwortlich ist.
ADZINE: Wer sind in Deutschland weitere Open-Path-Partner?
Hagemeier: Neben globalen Playern wie Spotify oder Waipu haben wir inzwischen zahlreiche deutsche Vermarkter an Bord, die entweder bereits live sind oder in den kommenden Wochen live gehen: Axel Springer/Media Impact, United Internet Media, IQ Digital, BCN, Funke Digital, Traffective, Netpoint Media, Highfivve, Dazn, Promiflash, Wetter Online, Activision Blizzard. Uns war wichtig, besonders unabhängigen Journalismus zu stärken. Die Performance der Publisher, die Open Path nutzen, hat sich klar verbessert – eine Win-win-Situation für Werbekunden und Publisher.
ADZINE: Schöne Liste. Was hältst du von dem Gegenentwurf der SSPs, die ebenfalls Ansätze zur Direktvermarktung entwickeln?
Hagemeier: Das ist legitim. Jeder Marktteilnehmer sucht seine Positionierung. Wir arbeiten nur auf der Buy-Side, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Wenn man sowohl Buy- als auch Sell-Side optimieren will, kommt die Frage auf, ob man noch im Interesse der Kunden arbeitet. Es gibt viele Wege, sich als SSP zu differenzieren, und das ist eben einer der Wege.
ADZINE: Die Antwort ist sicherlich bewusst vage gehalten. Aber spinnen wir den Faden mal weiter. Wenn jeder große Marktteilnehmer künftig eigene Direktanbindungen baut, fragmentiert das den Markt am Ende eher, anstatt ihn zu vereinfachen. Die Grundidee von Programmatic ist ja, einen freien, einheitlichen Markt zu schaffen. Wie wirkt ihr dieser Entwicklung hin zu vielen kleinen Ökosystemen entgegen?
Hagemeier: Wir streben keine Exklusivität an. Publisher können ihre Inventare weiterhin über verschiedene Pfade anbieten. Uns geht es um Offenheit und Unabhängigkeit. Nur so können Werbetreibende objektiv die beste Impression zum besten Preis einkaufen. Exklusivdeals bergen Interessenkonflikte, die wir bewusst vermeiden. Langfristig wird sich ein möglichst offener Markt durchsetzen. Walled Gardens funktionieren nur mit globalem Monopol.
ADZINE: Lange Zeit galt für Publisher bei der Integration von SSPs die Devise “viel hilft viel”. Daher wurde auch beträchtlich in die Integrationen investiert. Schaffen diese direkten Pfade nun neuen Innovationsdruck für Publisher?
Hagemeier: Publisher sollten regelmäßig prüfen, welche Partner echten Mehrwert liefern. In der Vergangenheit wurden oft sehr viele SSPs angebunden, die teils nur als „Pipe“ dienten und hohe Take Rates kassierten. Mit Open Path zum Beispiel können Publisher testen, ob sie zusätzliche Gebote und höheren Umsatz erzielen. Für sie ist es ein „No-Regret-Move“. Parallel dazu müssen wir ineffizienten, duplizierten Traffic reduzieren. Das ist auch eine Nachhaltigkeitsfrage. Mehr Transparenz durch Felder wie GPID oder Transaction ID, oder auch neue Informationen, auf die optimiert werden kann, wie die Ads-to-Content-Ratio, helfen dabei, effizienten, sauberen Traffic und bessere User Experience zu belohnen. Unser Ökosystem hat die Publisher schließlich lange Zeit belohnt, wenn sie möglichst viel integriert und so viel Werbung wie möglich auf ihre Seite gepackt haben. Am besten noch mit zwei Videoplayern, die gleichzeitig laden.
ADZINE: Wie werden sich die Strukturen im Programmatic Advertising deiner Meinung nach künftig weiterentwickeln?
Hagemeier: Transparenz bleibt das Schlüsselthema. Mit der Übernahme von Sincera haben wir sehr viele der dort gesammelten Informationen als Open Sincera öffentlich und kostenfrei für jeden zugänglich gemacht. Mit Deal Desk wollen wir auch die Arbeit mit Deal IDs massiv vereinfachen. Aktuell wird zu viel Zeit mit Deal-Troubleshooting vergeudet. Künftig werden Advertiser, Agenturen und Publisher mehr Einblick in die Performance ihrer Deals und ihres Inventars bei uns erhalten. Es gilt, die Blackbox aufzulösen und Publishern direkt zu zeigen: Welche Signale erhöhen den Umsatz, welche nicht? Das schafft bessere Incentives und ein gesünderes Ökosystem.
ADZINE: Danke für das Interview, Sven!
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