Opt-out, aber on air: Neue Wege im Data-Management für Bewegtbild
Anton Priebe, 18. June 2025
Verbraucher:innen hinterfragen zunehmend, welche Daten sie preisgeben – und wem. In Deutschland, wo der Datenschutz einen hohen Stellenwert genießt, entscheiden sich viele Nutzer:innen gegen das Tracking und die Profilbildung für Werbezwecke. Das hat spürbare Auswirkungen auf den digitalen Werbemarkt und betrifft damit besonders auch die stark wachsende Disziplin Bewegtbild. Publisher, Broadcaster und Adtech-Anbieter sind gefordert, neue Strategien im Data-Management zu entwickeln, um Reichweite und Relevanz mit Datenschutz in Einklang zu bringen. Gloria Eichler, Chief Product Officer von RTLs Adtech-Schmiede Smartclip, beleuchtet im Interview, wie hoch die Opt-out-Raten hierzulande tatsächlich sind und welche technischen Alternativen sich daraus ergeben. Sie erklärt, wie Broadcaster Daten schützen und managen sowie gleichzeitig Targeting mit Mehrwert liefern können.

ADZINE: Gloria, wie hoch ist die Opt-out-Rate zur Profilbildung für Werbezwecke in der Bewegtbildwerbung?
Gloria Eichler: Der Anteil an Nutzerinnen und Nutzern in Europa, die ihre Privatsphäre durch Opt-out oder direkt in den Browser-Einstellungen schützen wollen, hat für den Werbemarkt definitiv eine relevante Größe erreicht.
Ein großer Teil der Nutzerinnen und Nutzer individualisiert heute, welche Daten sie per Cookie teilen wollen. Laut dem französischen Research-Unternehmen Behavioural Insights Team schränkt fast die Hälfte der befragten Nutzerinnen und Nutzer die Funktion von Cookies zumindest teilweise über TCF-konforme Banner und Privacy-Einstellungen ein. Zwar lehnt nur ein relativ kleiner Teil der Befragten Cookies in den Einstellungen komplett ab, dafür stellen aber 42 Prozent individuell ein, welche Daten per Cookie geteilt werden dürfen.
Hinzu kommt, dass viele Menschen bereits in den Browsereinstellungen die Nutzung von Cookies einschränken. Den Angaben von Eurostat zufolge haben 36 Prozent der europäischen Nutzerinnen und Nutzer zwischen 16 und 74 Jahren 2023 die Verwendung von Cookies über ihre Browsereinstellungen eingeschränkt oder verhindert.
Mit Blick auf unsere Daten können wir diese Größenordnungen bestätigen. Allerdings sehen wir auch große Unterschiede in den verschiedenen europäischen Märkten. Je nach Land und Publisher können die Anteile um bis zu 20 Prozentpunkte variieren.
In Deutschland ist der Anteil derer, die Cookies im Browser einschränken, laut Eurostat mit 45 Prozent zum Beispiel relativ hoch. Betrachtet man nur die Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren, liegt sogar der europaweite Anteil bei 45 Prozent.
Vor dem Hintergrund, dass die relevanten jungen Zielgruppen Cookie-Tracking besonders häufig einschränken, wird deutlich, wer für Werbung weiterhin ganz auf Daten von Drittanbietern setzt, riskiert, große Teile der Verbraucher zu verlieren.
ADZINE: Wie sieht es speziell im Bereich CTV aus?
Eichler: Da das Consent Handling auf Smart-TVs weniger standardisiert ist als in anderen digitalen Umfeldern, ist es deutlich schwieriger, ein übergreifendes Bild zu zeichnen. Ein Teil des Opt-out-Traffics wird beispielsweise gar nicht zur Vermarktung freigegeben. Bei Ad Servern und SSPs geht in diesen Fällen somit nicht immer ein Ad Request ein. Wir sehen ähnliche Trends, wobei die Zustimmungsraten auf dem Big Screen im Schnitt merkbar höher sind als auf anderen Kanälen. Es ist deshalb wichtig, das Vertrauen der TV-Zuschauer zu pflegen und sorgfältig mit Nutzerdaten umzugehen.
ADZINE: Hat sich dies in den vergangenen Jahren geändert beziehungsweise wie wird sich das voraussichtlich entwickeln?
Eichler: Es ist auf jeden Fall zu beobachten, dass Nutzer und Nutzerinnen digitaler Angebote in den letzten Jahren restriktiver im Umgang mit ihren Daten geworden sind. Sie beobachten deutlich aufmerksamer, wo sie ihre Spuren hinterlassen. Dieser Trend wird sich aus unserer Sicht fortsetzen. Publisher, Broadcaster und Tech-Provider sind mehr und mehr gefordert, Transparenz und Kontrollmöglichkeiten zu gewährleisten.
Übermittelte Consent-Einschränkungen sind zudem nicht die einzigen Limitationen für Werbetreibende, denn auch Browser und Betriebssysteme beschränken die Nutzersignale immer mehr. Der Markt muss Alternativen und Lösungen für den Signalverlust und seine vielen Ursachen finden.
Das ist im Übrigen auch ein wichtiger Punkt in Sachen Nachhaltigkeit, denn Overexposure und das Ausspielen nicht relevanter Werbung führen zu unnötigem Datenverkehr und Energieverbrauch. Das ist nicht nur nervig für den User, sondern auch schlecht fürs Klima.
ADZINE: Ein User verweigert seinen Opt-in – welche datenschutzkonformen Alternativen eröffnen sich Videovermarktern und Broadcastern, um dennoch Targeting zu betreiben?
Eichler: Es gibt verschiedene Wege, mit denen wir relevante Werbung für die Nutzerinnen und Nutzer ausliefern können, ohne personenbezogene Daten zu verwenden. Wir sehen aktuell eine starke Bewegung hin zu kontextuellem Targeting, das primär auf den konsumierten Inhalten und Werbeumfeldern basiert. Das hat den Vorteil, dass Content und Werbebotschaft optimal aufeinander abgestimmt sind.
Im ATV-Bereich verknüpfen wir beispielsweise die etablierten TV-Paneldaten unseres Partners GFK, die wertvolle Einblicke in Einschaltquoten, Alterssegmente und Zielgruppen liefern, und Channel-Informationen der TV-Geräte mit dem laufenden Programm, um je nach Content spezifische Zielgruppen adressieren zu können. Darüber hinaus bieten wir verschiedene Möglichkeiten, digitale Werbeumfelder zu analysieren und die daraus gewonnenen Informationen in zielgerichtete Targetings zu überführen. Dies kann beispielsweise über ein Content Screening oder aus MRSS-Feeds, die mit dem Content an den Adserver geliefert werden, gewonnenen Metadaten erfolgen.
ADZINE: Birgt der Opt-out-Traffic Chancen für Advertiser, um ihn gezielt einzukaufen? Ist er also beispielsweise deutlich günstiger?
Eichler: Für Werbetreibende kann Opt-out-Traffic attraktiv sein, weil sie Zugang zu Audiences erhalten, die für sie extrem relevant, aber nur schwer erreichbar sind. Die Reichweite für Werbetreibende wächst enorm. Bei besonders kritischen, digitalaffinen Nutzer:innen ist dieser Anstieg überproportional groß. Gleichzeitig sind genau diese Opt-out-User — denen beispielsweise Datenschutz wichtig ist — für bestimmte Produkte die ideale Zielgruppe. Das können Software-Lösungen für eine verbesserte Privatsphäre sein, oder Produkte aus dem Multi-Media-Technologie-Segment, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Wir ermöglichen es Werbetreibenden, diese Zielgruppen auch ohne personenbezogene Daten gezielt anzusprechen, indem wir die Targeting Settings auf Optionen reduzieren, die ohne die Verarbeitung von PII-Daten auskommen. Das sind beispielsweise kontextuelle Targeting-Lösungen. Unsere privacy-centric Features sorgen dafür, dass nur nicht-personenbezogene Informationen genutzt werden und kein ungewolltes Profiling stattfindet. Dafür stellen wir technologisch sicher, dass bei vorliegendem User Opt-out keine personenbezogenen Daten gespeichert und aktiviert werden. Dieses Regelset kann nicht überschrieben werden und schützt somit den Widerspruch des Nutzers. Eine Werbeausspielung an Opt-Out-User erfolgt auch nicht automatisch oder zufällig, sondern kann individuell auf Kampagnenebene aktiviert werden.
Situativ kann es auch sein, dass das Inventar deutlich günstiger ist. Das hängt aber eher vom Publisher ab als von uns als Adserver und SSP.
ADZINE: Welche Targeting- und Tracking-Infrastrukturen müssen Publisher und Broadcaster aufbauen, um Opt-out-Traffic effektiv zu monetarisieren und gleichzeitig den Wunsch der User nach Privatsphäre zu respektieren?
Eichler: Tracking und Opt-out-Traffic beißen sich natürlich auf den ersten Blick. Der erste und wichtigste Schritt ist, die Nutzerpräferenzen zu respektieren. Dazu bedarf es einer rechtskonformen Einholung des User Consents und der korrekten Verarbeitung und Weitergabe des Consent-Signals. Die Infrastruktur der Publisher sollte auf heterogene sowie granulare Consent-Szenarien reagieren können und das Tracking inklusive Datenweitergabe gezielt darauf abstimmen.
Fassen wir das Thema größer, müssen Medienhäuser erkennen, dass Datenschutz für sie oberste Priorität haben sollte. Nicht nur, weil sie so vor regulatorischen Eingriffen gefeit sind, sondern vor allem um ihre beiden höchsten Güter zu schützen: die Vertrauensbeziehung zu ihren Nutzerinnen und Nutzern und Daten als ihr zentrales Geschäftskapital in der Werbeindustrie.
Allerdings darf nicht ausgeblendet werden, dass auch bei einem vorhandenen Opt-in des Nutzers der Zugriff beispielsweise durch Browser-Einschränkungen limitiert sein kann. Hier können alternative Identifier und Targeting-Ansätze Erfolg versprechen.
Publisher und Broadcaster sollten zeitgleich immer hinterfragen, wann es sinnvoll ist, Nutzerdaten an Dritte weiterzugeben, auch wenn die Nutzerinnen und Nutzer der Datenverarbeitung zugestimmt haben — sowohl um die Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten als auch um die Privatsphäre ihrer Nutzer und Nutzerinnen zu schützen.
ADZINE: Wie können sie sicherstellen, dass sie die relevanten Daten mit ihren Partnern teilen und gleichzeitig die Kontrolle über diesen Datenfluss behalten?
Eichler: Medienhäuser brauchen eine Infrastruktur, mit der sie die Weitergabe von Daten an Partner in der Wertschöpfungskette in unterschiedlichen Abstufungen granular steuern können. So können sie eigene Standards an den Datenschutz anlegen, entscheiden, ob bestimmte Tracker anwendbar sein sollen oder blockiert werden und erhalten volle Kontrolle über Targeting und Datenweitergabe.
Gleichzeitig muss eine privacy-zentrische Infrastruktur ebenfalls sicherstellen, dass Wertschöpfungsketten nicht gekappt, sondern aufrechterhalten werden. Sie müssen so modifiziert werden, dass Werbeauslieferungen in bestimmten Fällen auch mit weniger oder keinen Nutzerdaten erfolgen können. Es ist deshalb wichtig, mit Partnern gemeinsame Lösungen zu entwickeln und sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Im Interesse der Medienhäuser müssen wir Adtech-Dienstleister, von DSPs über Adserver bis hin zu SSPs, eng zusammenarbeiten. Ein reibungsloser programmatischer Buchungsprozess ist für den Werbemarkt immens wichtig. Dafür müssen Lösungen wie unsere Tracking-Präventionsfunktionen zwischen allen Beteiligten eng abgestimmt werden.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Gloria!
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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