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PROGRAMMATIC - Interview mit Andreas Neu, Doubleverify

Die Rolle der KI im programmatischen Mediaeinkauf

Karsten Zunke, 11. Juni 2025
Bild: Hesam Link – Unsplash

Die Werbeindustrie lotet seit geraumer Zeit das Potenzial von Künstlicher Intelligenz aus. Von der Kreation, über die Planung und den Einkauf von Media bis hin zur Auswertung von Kampagnen ergeben sich schier endlose Einsatzmöglichkeiten. Besonders das Programmatic Advertising sollte von Effizienzgewinnen profitieren. Doch wo genau liegen diese Effizienzpotenziale – und wo die Grenzen? Andreas Neu, Lead Integrated Solutions Director von Doubleverify, spricht im Interview über Automatisierung, Custom KPIs, hybride Zusammenarbeit und die neue Rolle des Media Buyers.

Bild: Raimar von Wienskowski Andreas Neu, Doubleverify / Bild: Raimar von Wienskowski

ADZINE: Andreas, KI treibt momentan die Entwicklung in allen Bereichen voran. Wie verändert KI-gestützte Automatisierung die Effizienz von Media-Einkaufsprozessen?

Andreas Neu: Die Automatisierung durch KI bringt einen enormen Effizienzschub – vor allem bei wiederkehrenden Aufgaben. Dazu muss man zwischen Machine Learning und echter Künstlicher Intelligenz unterscheiden. Machine Learning folgt festen Regeln und verarbeitet Daten eher linear, während Künstliche Intelligenz in der Lage ist, in Echtzeit zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern. Das ist der entscheidende Unterschied. Besonders im Media-Bereich zeigt sich das darin, dass KI laufend Kampagnenergebnisse auswertet und automatisch in die Optimierung einfließen lässt – etwa durch Anpassung der Gebotsstrategie oder kanalübergreifende Budgetverteilung. Dieser dynamische Lernprozess führt messbar zu besseren Ergebnissen und höherer Performance.

Digitale Kampagnen können von einer KI daher fortlaufend gemonitort und optimiert werden. Und das nicht nur einmal täglich, sondern mehrmals pro Tag. Nach unseren Erfahrungen haben Trader bisher rund 24 Prozent ihrer Arbeitszeit aufgewendet, um programmatische Kampagnen manuell zu optimieren. Dieser manuelle Aufwand kann durch KI übernommen werden. Das steigert nicht nur die Effizienz, sondern auch die Performance. Besonders bei großen Werbetreibenden mit zehn, 20 oder mehr Kampagnen gleichzeitig skaliert eine KI deutlich besser. Der Mensch hat nur eine begrenzte Arbeitszeit, die KI optimiert 24/7 – und das mit konstant hoher Qualität.

ADZINE: An welchen Systemen sollte KI im Mediaeinkauf ansetzen?

Neu: Der sinnvollste Ansatzpunkt ist die DSP selbst. Plattformen wie DV360 oder The Trade Desk bieten inzwischen offene Infrastrukturen für Custom Bidding. Da viele Kunden mittlerweile sehr individuelle KPIs verfolgen, haben DSPs das Thema BYOA – Bring Your Own Algorithm – in jüngster Zeit stark vorangetrieben. Kunden mit individuellen KPIs – etwa ein „Quality CPM“, der nicht nur auf Preis, sondern auf Attention, Viewability und Fraud-Freiheit zielt – können dadurch eigene Algorithmen in ihren Mediaeinkauf auf ausgewählten Plattformen und im Open Web integrieren. Wir setzen genau dort an und optimieren auf IO-Level innerhalb der Kampagnenstruktur. Das ermöglicht eine deutlich präzisere Aussteuerung, maßgeschneidert auf die Business-Ziele des Werbetreibenden und die unternehmenseigenen KPIs. In einem solchen Vorgehen steckt enormes Potenzial.

ADZINE: Wo siehst du aktuell die größten Effizienzpotenziale für KI – und wo die Herausforderungen?

Neu: Die Effizienz-Potenziale liegen ganz klar in der Skalierung und Automatisierung. Je komplexer und vielfältiger Kampagnen sind – zum Beispiel bei FMCG- oder Telko-Kunden – desto größer ist der Mehrwert durch KI. Eine Herausforderung ist jedoch, dass viele Lösungen in DSPs noch auf Standard-KPIs fokussiert sind. Für differenzierte, qualitative Metriken braucht es Custom Algorithmen – und dafür wiederum Expertise, Datenpartner und eine offene Infrastruktur.

ADZINE: Beeinflusst KI auch datengetriebene Entscheidungen im Mediaeinkauf?

Neu: Ja, sie macht sie präziser. Wir reden von Milliarden Ad Impressions – und die KI identifiziert genau die zwei Millionen, die für eine Kampagne relevant, sichtbar, brandsafe und performant sind. Dabei bleibt die Entscheidungshoheit beim Menschen. Der Trader definiert die Rahmendaten, die KI agiert innerhalb dieses Rahmens und liefert datenbasierte Empfehlungen. Diese hybride Zusammenarbeit ist letztlich der Kern künftiger programmatischer Media-Käufe: der Mensch als Gestalter und Entscheider, die KI als datengetriebener Co-Pilot. Diese Entscheidungshilfe beginnt also, bevor die Auslieferung startet.

ADZINE: … kannst du das bitte näher erläutern?

Neu: Bei smarten Pre-Bid-Entscheidungen prüft die KI im Vorfeld, welche Impressions wertvoll sind – also noch bevor überhaupt ein Gebot abgegeben wird. Sie trifft Entscheidungen auf Basis von Kriterien wie Brand Safety, Sichtbarkeit oder Geotargeting. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nur auf relevante, leistungsstarke Ad Impressions geboten wird. Dadurch wird jede Gebotsentscheidung präziser – was letztlich die Kosten senkt und die Wirkung jeder Werbeanzeige erhöht.

ADZINE: Und wie sieht es mit der Analyse und der langfristigen Kampagnen-Optimierung aus?

Neu: Auch hier spielt KI eine immer wichtigere Rolle, was sich letztlich wiederum ebenfalls auf den Mediaeinkauf auswirkt. Post-Bid-Analysen nutzen die enorme Menge an Datenpunkten, die nach Ausspielung der Kampagne anfallen. Die KI erkennt Muster und Potenziale. Die daraus resultierenden Erkenntnisse fließen in die zukünftigen Kampagnenplanungen und strategischen Entscheidungen ein. Unser Ziel ist aber, Optimierungen nicht nur rückblickend vorzunehmen, sondern in Echtzeit während der Kampagne – kontinuierlich und dynamisch zu optimieren.

ADZINE: Gibt bei einer zunehmenden Abhängigkeit von KI nicht auch Risiken – etwa bei der Entscheidungsfindung?

Neu: Nein, dieses Risiko sehe ich nicht – zumindest nicht für unsere Lösung. Transparenz ist hier der Schlüssel. In der DSP – etwa im sogenannten History-Tab – lässt sich genau nachvollziehen, was unsere KI getan hat: Hat sie den Bid erhöht, das Budget verschoben? Wir zeigen alles. Wenn KI im Media Buying eingesetzt wird, sollte es nicht darum gehen, Blackboxen zu schaffen, sondern dem Nutzer Kontrolle zu geben. Die Entscheidung, ob ein System verwendet wird, liegt immer beim Menschen. Hier hilft es, verschiedene Lösungen zu testen. Wer testet, lernt und versteht, kann auch souverän entscheiden.

ADZINE: Wie wird sich die Rolle von Mediaplanern und -einkäufern entwickeln, wenn KI künftig mehr Abläufe und auch mehr Verantwortung im programmatischen Advertising übernimmt?

Neu: Die Rolle von Media-Planern und -Buyern ändert sich – wobei sich im Laufe der Zeit ohnehin die meisten Rollen in unserer Branche kontinuierlich ändern. Ich sehe KI als Werkzeug, das die Rolle des Mediaplaners aufwertet. Repetitive Aufgaben entfallen, der Mensch kann sich auf strategische Themen konzentrieren. Er bleibt in der Verantwortung – setzt die Kampagnen auf, trifft Entscheidungen, bringt Empathie und Kundenverständnis ein. Die KI agiert im Hintergrund, unterstützt datenbasiert. Aus meiner Sicht ist Künstliche Intelligenz eine Technologie, die Mediaplanern und Media-Einkäufern sogar die Möglichkeit gibt, innerhalb der Agentur oder vor dem Kunden zu glänzen. Dazu muss man sich mit ihr auseinandersetzen und sie richtig einsetzen.

ADZINE: Welche strategischen Chancen siehst du in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine?

Neu: Die KI ist kein Feind und nichts, das im Media-Business Arbeitsplätze wegnimmt. Ich glaube, wir befinden uns auch ohne KI in einem steten Wandel. Das Zusammenspiel zwischen Mensch und KI ist jedoch ein echter Effizienzbeschleuniger. Die menschliche Intelligenz bleibt unersetzlich – besonders, wenn es um emotionale Intelligenz, Kundenbeziehung und kreative Strategien für den Mediaeinkauf geht. KI unterstützt dort, wo es um datenbasierte Entscheidungen, Mustererkennung und Automatisierung geht. Ich kann nur jedem raten, sich jetzt mit dem Thema zu befassen. Wer darauf verzichtet, wird vom Wettbewerber überholt.

ADZINE: Danke für das Interview, Andreas!

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