Nachhaltigkeit im Fokus: Emissionen messen und vermeiden
Karsten Zunke, 25. January 2024Noch vor wenigen Jahren war es kein Thema im Digital Advertising – jetzt könnte es der Trend des Jahres 2024 werden: die Optimierung von Digital-Kampagnen auf Nachhaltigkeit. Dieses Ziel gehört nicht länger nur zum guten Ton, sondern zum Berufsalltag. Welche Fortschritte sind 2024 zu erwarten? ADZINE hat in der Adtech-Branche nachgefragt.
Digitale Werbung verschlingt enorme Energiemengen und produziert Unmengen CO2. Nicht nur Werbetechnologien sind dafür verantwortlich, auch die unzähligen Endgeräte, auf denen digitale Kampagnen ausgespielt werden, verbrauchen Energie. Die Fachwelt geht davon aus, dass eine einzige Ad Impression im Internet einen CO2-Ausstoß etwa 1 Gramm CO2 nach sich zieht. Da weltweit jährlich Ad Impressions in mittlerer dreistelliger Billionen-Zahl generiert werden, ist der ökologische Fußabdruck entsprechend schlecht. Scope3 zufolge verursacht Display-Advertising weltweit jährlich 3,8 Millionen Tonnen CO2 und Streaming-Werbung weitere 3,4 Millionen Tonnen CO2. Dies entspricht dem Stromverbrauch von 1,4 Millionen US-Haushalten pro Jahr. Möglichkeiten, dies zu senken, gibt es einige.
Werbetreibende und Agenturen beginnen bereits an den Mediaplänen zu basteln: „grüne“ Kanäle werden stärker gewichtet, CO2-Schleudern heruntergefahren oder aussortiert. Doch auch Werbetechnologie-Anbieter können ihren Beitrag leisten – und tun dies auch immer öfter. Ihr Ziel: Die Kampagnen-Emissionen deutlich senken.
Nicht länger warten
Nach Ansicht von Alexander Weißenfels, VP DACH bei Adform, gibt es mit den vorhandenen Open-Source-Methoden und den verschiedenen verfügbaren Lösungen zur Messung der CO2-Emissionen keinen Grund (und keine Zeit) bei dem Thema weiter abzuwarten. „Es gilt, die wichtigsten Treiber von CO2-Emissionen zu erkennen und dann die jeweils passenden Lösungen zu finden, diese zu reduzieren“, sagt Weißenfels. Adform bietet seit Juni 2023 ein Feature an, mit dem Marken ihre digitalen Werbe-CO2-Emissionen auf Knopfdruck überwachen und reduzieren können – ohne ihre Kampagnen-Setups dafür ändern zu müssen. Nach acht Monaten wurde das Feature dem Anbieter zufolge in 138 Kampagnen aktiviert und die CO2-Emissionen im Durchschnitt um 53 Prozent reduziert. „Zunächst haben wir anhand von Scope3-Messungen festgestellt, dass der Großteil der CO2-Emissionen, die unsere Werbekund:innen durch ihre Display-Anzeigen verursachen, auf eine Handvoll Publisher zurückzuführen ist. Diese verursachen aufgrund der übermäßigen Nutzung von Header-Bidding einen Großteil der CO2-Emissionen im digitalen Advertising“, erläutert Weißenfels die ursprüngliche Ausgangslage.
Auf Grundlage dieser Erkenntnis hat Adform für seine Kunden drei Tools entwickelt: Eine monatliche Gesamtbewertung der CO2-Level auf Länderebene, ein Feature, das die Anzeigenauslieferung an Domains mit den höchsten Emissionen einschränkt und tagesaktuell angepasst sowie eine Lösung, die für Einkäufer:innen ein Dashboard enthält, das die CO2-Emissionen im Vergleich zum Index zusammenfasst und einen wöchentlichen Bericht bis auf Domain-Ebene liefert. Bei Adform geht man davon aus, dass Werbetreibende diese einfachen Praktiken weiterhin übernehmen, da sie allen Beteiligten nützt: Marken reduzieren ihren CO2-Fußabdruck, erzielen bessere Ergebnisse und es wird ein positiver Kreislauf für die Werbeindustrie angestoßen, da Publisher durch die Senkung der CO2-Emissionen auch einen finanziellen Vorteil haben. „Wir sehen bereits auf scope3.com, dass Publisher ihre Verfahren angepasst haben“, sagt Weißenfels.
Emission-optimierte Werbekampagnen stark nachgefragt
Auch auf der Programmatic-Media-Plattform Teads gehört die Optimierung auf Nachhaltigkeit bei Digital-Kampagnen bereits zum Standard. „Die Nachfrage nach Emission-optimierten Werbekampagnen steigt rasant – nicht zuletzt aufgrund des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, das 2024 bereits für Betriebe ab 1.000 Mitarbeitenden in Kraft tritt“, sagt Christian Zimmer, Geschäftsführer DACH bei Teads Deutschland. Solche großen Unternehmen müssen fortan zwingend Initiativen zur Reduzierung ihres CO2-Footprints im Geschäftsbericht vorlegen. Voraussetzung dafür ist, dass man seinen CO2-Ausstoß auch genau beziffern kann. Der CO2-Footprint von Werbekampagnen lässt sich über die gesamte Werbemittel-Auslieferungskette bereits gut bemessen, meinen die Profis. „Die einzelnen Emissionsquellen lassen sich sogar differenziert betrachten“, betont Zimmer. Die Messung an sich sei also kein Problem. „Entscheidender ist es, die gemessenen Werte richtig einschätzen zu können“, sagt der Experte. Und dafür benötigt man die entsprechende Erfahrung.
Bei Teads hat man sich mit dem Thema sehr früh auseinandergesetzt. Über das gesamte vergangene Jahr hinweg hat man mit unterschiedlichen Kunden verschiedene Kampagnen durchgeführt und dabei Emissionsmessungen durch seinen Partner Scope3 durchführen lassen. „Dadurch wissen wir nun, an welchen Punkten der Werbedistribution mit welchen Optimierungsmaßnahmen anzusetzen ist und was für Verbesserungen zu erwarten sind“, sagt Zimmer. Seiner Einschätzung nach bietet das Werbetreibenden eine noch nie dagewesene Transparenz und ermöglicht sehr konkrete Handlungsentscheidungen, um effizient CO2 einzusparen.
Zimmer verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Optimierung der Werbemittel in ihrer Datengröße. „Schlankere Dateien erzeugen weniger Emissionen in der Datenübertragung beziehungsweise der Werbeausspielung; die größten Einsparungen sind aber in der digitalen Auslieferungskette durch eine deutliche Reduktion der DSP- beziehungsweise SSP-Struktur zu erzielen“, so der Experte. Wichtig sei, dass diese Maßnahmen der Werbebotschaft nicht schaden.
Aufmerksamkeit hilft ebenfalls
Eine andere Kenngröße gerät derweil stärker in den Fokus: die Aufmerksamkeit. Setzt man aufmerksamkeitsstärkere Werbemittel ein, muss man sie auf weniger Plattformen ausspielen, um dieselbe Wirkung zu erzielen wie mit herkömmlichen Werbemitteln. Bei Teads hat man daher ein Programm zur Messung der von den Werbemitteln erzeugten Aufmerksamkeit entwickelt und kann nun Werbemittel datenfundiert auf eine gesteigerte Attention hin optimieren. „Um wirklich nachhaltige Geschäftsergebnisse zu erzielen, muss man an mehreren Stellschrauben gleichzeitig drehen“, sagt Zimmer. Das Ergebnis lohne sich aber: „Mit unseren gesamtheitlichen Maßnahmen und der Ausspielung in unserem Publisher-Portfolio erzielen wir eine CO2-Einsparung von mindestens 54 Prozent“, so Zimmer. Entsprechend will die Plattform in diesem Jahr 2024 die bestehende Zusammenarbeit mit Scope3 weiter ausbauen. Außerdem soll der Teads Ad Manager weiter optimiert werden und auch in der DACH-Region eine integrierte CO2-Footprint-Messung erhalten.
Weniger Datenlast und relevante Zielgruppenansprache wichtig
Aber nicht nur bei großen Werbetreibenden liegt Nachhaltigkeit im Trend. Laut Olaf Peters-Kim, Mitgründer und Geschäftsführer von Welect, ist auch bei KMUs nachhaltige Werbung zur Priorität geworden. Die große Aufgabe muss dem Experten zufolge also darin bestehen, die Kommunikation nachhaltiger zu gestalten. „Eine der Herausforderungen ist dabei die richtige Zielgruppenansprache und das Vermeiden von unnötigen Mehrfachkontakten. Dadurch können bereits große Mengen an CO2-Emissionen in digitalen Werbekampagnen eingespart werden.“ Nicht nur in der Werbebranche verstärkt sich immer mehr die Erkenntnis, dass Big Data eine immense Belastung für unsere Umwelt bedeutet. Peters-Kim plädiert daher für Lösungen, die auch ohne große Datenlast und Serverkapazitäten eine effektive Werbewirkung erzielen. Durch seinen Choice-Driven-Advertising-Ansatz kann Welect beispielsweise darauf verzichten, Daten über die Nutzer:innen zu sammeln, da man ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Interessen selbst zu bestimmen. Zuschauer:innen können aus vier Werbespots selbstständig aussuchen, welcher ihren Interessen am meisten anspricht. Für Relevanz und Aufmerksamkeit der Werbung ist somit gesorgt.
Doch leider gibt es im Netz noch mehr als genug Anzeigen, die irrelevant, überflüssig oder sogar für Nutzer:innen unsichtbar sind und trotzdem für CO2-Emissionen sorgen. Ad Fraud gilt als Riesenproblem, nicht nur für Advertiser und Rezipienten, sondern auch für die Umwelt. Laut dem aktuellen „The State of Sustainable Advertising“-Report von Scope3 werden allein in den USA im Programmatic Display Advertising durch Ad Fraud jährlich etwa 353.000 Tonnen CO2 emittiert. Ausschließlich relevante Werbung auszuliefern, sollte daher für jeden Advertiser ganz oben auf der Agenda stehen.
Medienqualität und Werbewirksamkeit zahlen auf Nachhaltigkeit ein
Insbesondere Marken integrieren verstärkt umweltfreundliche Praktiken in ihre Werbekampagnen und fragen entsprechende Lösungen nach. Der Mess- und Analyse-Spezialist Doubleverify hat bereits im Jahr 2022 eine Lösung zur Messung von CO2-Emissionen eingeführt. Unterstützt von Scope3 ermöglicht man Werbetreibenden datengestützte Entscheidungen für nachhaltigere digitale Medienstrategien zu treffen. Eine solche Analyse liefert detaillierte Einblicke in die Gesamtemissionen der digitalen Werbewertschöpfungskette und unterstützt Marken dabei, den CO2-Fußabdruck ihrer Werbekampagnen präzise zu überwachen und ökologische Auswirkungen zu minimieren.
„Medienqualität, Werbewirksamkeit und -effizienz gehören zu den Erfolgsfaktoren für Markenwerbung“, sagt Philipp von Hilgers, VP Enterprise Sales bei Doubleverify. Der jüngste Zusatz in dieser Reihe, Nachhaltigkeit, gewinne zunehmend an Bedeutung. Das zeigt auch eine Studie von Microsoft in Zusammenarbeit mit Dentsu: 84 Prozent der weltweiten Nutzer bevorzugen demnach Produkte oder Dienstleistungen von Unternehmen zu kaufen, die sich für nachhaltige Werbung engagieren. „Deshalb wird der CO2-Ausstoß von Media in 2024 verstärkt in gesamtheitliche Optimierungsansätze einfließen, sodass bereits heute feststeht, dass Medienpartner, die weder in besonders hochqualitativem oder performantem noch nachhaltigem Inventar glänzen, sich möglicherweise nicht für eine langfristige Partnerschaft eignen“, prognostiziert von Hilgers.
Nachhaltigkeit als Standard – ja, aber anders
Ob sich Nachhaltigkeit aber auch zu einem echten, eigenen Standard für die digitale Werbung entwickeln wird, ist indes noch ungewiss. „Aktuell ist es noch zu früh, um sagen zu können, wie sich ein Standard für Nachhaltigkeit in der Digitalwerbung entwickeln wird“, sagt Teads Deutschland-Chef Zimmer. Er verweist auf den globalen Markt, auf dem es eine Vielzahl von Anbietern gibt, die den CO2-Footprint in unterschiedlichen Größen und mit verschiedenen Methoden messen sowie anhand unterschiedlicher Benchmarks einordnen. „Die Märkte und Akteure sind noch zu verschieden, um einheitliche Standards festzulegen“, sagt Zimmer. Wichtig sei es nun, zunächst mit dem Messen anzufangen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
Bei Adform sieht man die Optimierung der CO2-Emissionen nicht als eigenständigen Standard. Stattdessen müsse sie zusammen mit den Kosten (CPM) und der Performance (Sichtbarkeit, Kauf, Visits und Leads) optimiert werden. „Dieses Trio ist der Schlüssel zur Reduktion der CO2-Emissionen und zur Steigerung der Performance“, betont Weißenfels. „Die CO2-Kosten pro 1.000 Impressions müssen zum Beispiel auch im Kontext von Frequency Capping, Viewability Rate und Premium-KPIs gesehen werden, um die Streuverluste zu reduzieren, da diese unnötige CO2-Emissionen verursachen.“ Zudem möchte man bei Adform auch niemanden zur Nachhaltigkeit zwingen. Die Media-Buying-Plattform lässt ihren Kunden die Kontrolle über alle ihre Entscheidungen im Medieneinkauf. „Wir zwingen nichts auf, tun aber alles, was möglich ist, um Entscheidungsfindungen zu unterstützen und teilen beispielsweise Best Practices“, erläutert Weißenfels. Man hoffe, dass die Branche die Messung und Reduzierung von CO2-Emissionen annimmt, so wie es in anderen Fällen bei der Messung der Viewability bereits geschehen ist.
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