Vom Retargeting zu Offsite in Retail Media – so schließt sich der Kreis
Anton Priebe, 4. May 2023Criteo gilt als einer der Adtech-Pioniere und wurde 2005 von zwei ehemaligen Microsoft-Ingenieuren und einem Entrepreneur im Hinterzimmer eines Sandwich-Shops gegründet. Mit Retargeting groß geworden, erreichte das Unternehmen nach seinem Börsengang 2016 einen Umsatz von über einer Milliarde Euro. Ein Jahr später kündigte Criteo dann an, mithilfe seines Technologie-Stacks ein eigenes Commerce-Ökosystem aufbauen zu wollen. Heute sehen wir die Früchte dieser Entscheidung und das Retargeting-Urgestein bezeichnet sich mittlerweile selbst als "Commerce-Media-Plattform". So überrascht es auch kaum, dass mit Marc Fischli kürzlich ein Retail-Experte das Ruder im EMEA-Raum übernommen hat, der von seiner letzten Station, der Tesco-Tochter Dunnhumby, insbesondere Retailer- und Data-Science-Erfahrung mitbringt. Der gelernte Genetiker mit Londoner MBA ist ganz frisch als Executive Managing Director EMEA eingestiegen und soll das Commerce-Media-Geschäft weiter ausbauen. Im Interview spricht Fischli über seinen neuen Job, die Bedeutung von Retargeting heute und in Zukunft sowie den Unterschied zwischen Commerce und Retail Media.
ADZINE: Hi Marc, du bist ziemlich frisch bei Criteo eingestiegen. Wie hast du die ersten Tage verbracht? Gibt es etwas, was dich überrascht hat?
Marc Fischli: Ich hatte das Glück, dass direkt zum Start zwei globale Konferenzen unseres Client-Solution-Teams stattfanden, auf denen ich die internen Mitarbeiter treffen konnte. Außerdem habe ich viel Zeit damit verbracht, die Produktpalette kennenzulernen. Darüber hinaus habe ich mit Kunden gesprochen, denn man muss ja wissen, was der Markt über uns denkt – worin wir gut sind, wo wir uns verbessern müssen.
Überrascht hat mich, wie wichtig die Agenturen in Retail Media sind und auch, wie nahe Criteo ihnen ist. In einem so dynamischen Markt kann schließlich niemand alles alleine machen und das Wachstumspotenzial in Retail Media ist enorm!
ADZINE: Criteo ist mit Retargeting groß geworden. In den vergangenen Jahren hat man sich jedoch – zwangsweise – umorientiert. Welchen Stellenwert hat das gute, alte Retargeting in eurem Geschäft aktuell noch? Insbesondere mit Blick auf den deutschen Markt?
Fischli: Retargeting ist immer noch ein signifikanter Bestandteil unseres Business, gerade in Europa. Das wird es auch bleiben, denn es ist eins der Werkzeuge für die Conversion im unteren Funnel. Es ist eben ein Werkzeug aus dem großen Kasten des Digital Marketers, das durchaus seine Daseinsberechtigung hat, weil es seinen Zweck immer noch erfüllt.
Dennoch geben Gesetzgebung und der Third-Party-Cookie-Schwund eine Richtung vor, auf die wir uns vorbereiten müssen und an der wir schon gearbeitet haben. Nähere Details dazu kommen aber erst, wenn wir so weit sind.
ADZINE: Eins der neuen geschäftlichen Standbeine für die Zukunft seht ihr in Retail Media. Einige bezeichnen dies sogar als nächsten Milliardenmarkt. Worin liegt der besondere Wert der Werbegattung? Warum steckt dort derart Potenzial?
Fischli: Retail Media gliedert sich in drei verschiedene Bereiche auf. Wir nennen diese Onsite, also Werbung auf der Website des Retailers, Offsite, das bedeutet Werbung mit Retailer-Daten auf anderen Websites zu schalten, und Instore, also die Verwendung von Daten aus der Offline-Welt wie einem Ladengeschäft. Manche gehen noch einen Schritt weiter und beziehen personalisierte Promotionen mit ein.
Es gibt zwei Hauptgründe, warum das Feld so explodiert. Erstens sind die Margen aufseiten des Supply, also der Händler, sehr niedrig. Auch mit Blick auf die Inflation müssen Händler ihren Endkunden momentan sehr gute Angebote machen. Dort ist der Hunger nach Investitionen von außen entsprechend groß.
Der zweite Grund kommt von der Demand-Seite, denn das Geld in Retail Media stammt natürlich von den Marken und Agenturen. Diese finden hier das vor, was man einen “Closed Loop” nennt, also Messbarkeit der Maßnahmen von der Werbung bis hin zum Kauf. Das ist momentan sehr gefragt und ein Teil der Budgets aus weniger messbaren Marketing-Kanälen schwappt nun hinüber in Retail Media.
ADZINE: Wie wollt ihr das Potenzial heben? Um die Retailer-Daten vollumfänglich auszuschöpfen, muss zum Beispiel seitenübergreifendes Werben funktionieren und dafür müssen die Publisher mit im Boot sein. Nur so kommt eine Brücke zur Identifikation der Nutzer zustande.
Fischli: Wir hatten das Glück, dass wir dank unseres Retargeting-Geschäfts bereits mit sehr vielen Publishern in Kontakt stehen. Außerdem haben wir die nötige Technologie, auch für die Supply-Side, durch die auch Publisher von Retail Media profitieren. Den Händlernist zwar bewusst, dass sie mit Offsite-Werbung weniger Marge machen als mit Onsite-, dafür ist sie aber skalierbar.
ADZINE: Gehen die Retailer damit nicht den gleichen Schritt, den ihr selbst als Criteo gegangen seid? Von Retargeting zu Offsite in Retail Media?
Fischli: Ja, da schließt sich der Kreis. Wir kommen ursprünglich vom Retargeting im Open Web und sind onsite auf die Seiten der Retailer gegangen. Jetzt geht es wieder offsite zurück ins Open Web.
Man spricht von drei Wellen in Retail Media. Onsite war der Start, da waren wir direkt dabei. Jetzt kommt der Offsite-Bereich, der Deutschland gerade trifft, und die dritte Welle umfasst Instore. In den USA, wo man uns etwa ein Jahr voraus ist, wird fast nur noch über Instore gesprochen.
ADZINE: Welches sind die größten Herausforderungen auf Brand-Seite derzeit? Was trägt der Markt an euch heran?
Fischli: Das ist zunächst die makroökonomische Situation, vor allem Inflation und Energiekrise. Ich bin seit zwanzig Jahren im Retail-Business und dies ist sicherlich die schwierigste Phase, die ich bislang mitgemacht habe. Die Verhandlungen zwischen Marken und Einzelhändlern sind sehr schwierig und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Denn die Marken müssen jeden Euro umdrehen, der investiert wird. Durch die Messbarkeit ist aber der Retail-Media-Sektor durchaus im Vorteil. Ein Kanal wie TV hat es hier vielleicht etwas schwerer.
ADZINE: Ihr selbst sprecht von euch als “Commerce-Media-Plattform” – worin besteht der Unterschied zu Retail Media?
Fischli: Die Übergänge sind fließend, aber einfach gesagt betrifft Commerce Media E-Tailer onsite und offsite. Retail Media hingegen ist eine Möglichkeit für Retailer, ihre Daten zu monetarisieren und gleichzeitig Umsätze auf ihren Seiten zu steigern. Dabei schließt Retail Media auch die physische Welt – also instore – mit ein. Wir definieren Commerce Media als Medienkampagnen, die eine messbare Reaktion beim Endkunden verursachen, wie einen Kauf. Wir bewegen uns hier immer auf Produkt- und nicht auf Markenebene.
ADZINE: Wer von euren Kunden in Deutschland macht Commerce Media wirklich gut?
Fischli: Mediamarkt ist ein Paradebeispiel, das seine internationale Stärke ausspielt. Dort wird vieles in internationalen Märkten ausprobiert und bei Erfolg für andere adaptiert. DM und Douglas sind aber beispielsweise auch sehr gut!
ADZINE: Was sind die nächsten Schritte eurer Commerce-Media-Reise? Wo geht es unter deiner Führung in EMEA hin?
Fischli: Wir werden die Retail-Media-Welle reiten und dabei als Nächstes insbesondere die Offsite- und Instore-Maßnahmen fokussieren. Neben Frankreich und England ist Deutschland einer der Fokusmärkte für uns. Hier wird rasch etwas Neues kommen.
Im Allgemeinen dürfen wir in Europa jedoch nicht den Fokus auf den Endkonsumenten verlieren. Der Werteaustausch, Daten gegen Leistung, muss klar erkennbar und relevant sein. Wenn wir das als Industrie nicht machen, geraten wir alle unter Druck. Wir brauchen dafür einen offenen Austausch – da machen wir noch zu wenig.
ADZINE: Danke für das Interview!
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