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ADTECH

Die Schritte hin zur Messung von Aufmerksamkeit für Werbung

Anton Priebe, 1. Dezember 2022
Bild: Kalea Jerielle – Unsplash

Digitalwerbung wird seit jeher größtenteils auf Sichtbarkeit und Klicks optimiert. Diese Metriken erscheinen als die sinnvollsten, wenn das Ziel ist, dass sich die Verbraucher mit einer Werbeanzeige auseinandersetzen. Im Kern geht es hier jedoch darum, die Aufmerksamkeit der Nutzer zu erlangen. Als Metrik zur Kampagnenoptimierung rückt die Aufmerksamkeit, neudeutsch Attention, derzeit vielerorts in den Fokus. Diese lässt sich wiederum schwer messen. Eye-Tracking-Studien von Anbietern wie Lumen versprechen Erkenntnisse, doch Probanden mit speziellen Kameras auszustatten und ihre Augenbewegungen technisch zu verfolgen, erscheint im Alltag nicht besonders praktikabel. Wie also geht es ohne diesen Aufwand?

Die Messbarkeit von Branding-Kampagnen ist schon immer Thema im Digital Advertising gewesen. Die behelfsmäßige Kennzahl Viewability sagt aber nur aus, ob ein Werbemittel sichtbar war, nicht ob es tatsächlich gesehen wurde, geschweige denn ein User ihm aktiv Zeit gewidmet hat. Darüber hinaus muss man sich die Frage stellen, ob die allgemein anerkannte Definition von Sichtbarkeit, die sich in der Werbeindustrie durchgesetzt hat, aussagekräftig ist: Eine Anzeige, die zu 50 Prozent für eine Sekunde theoretisch auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist in seiner Aussagekraft zumindest diskussionswürdig.

Aufmerksamkeitsmessung braucht keine Cookies

Bild: Linkedin Michael Fuhrmann, Doubleverify

So ist der allgemeine Tenor, dass die Sichtbarkeit zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Aufmerksamkeit ist und zu einem Hygienefaktor wird. Klicks oder die Click-Through-Rate beweisen ebenfalls nicht treffsicher, wie aufmerksamkeitsstark eine Anzeige ist. Dementsprechend formuliert Michael Fuhrmann, RVP DACH und CEE vom Messdienstleister Doubleverify, folgerichtig: “Herkömmliche KPIs wie Viewability und Klicks sind nicht mehr ausreichend geeignet, um zu beurteilen, ob Anzeigen einen Effekt auf die Zielgruppen hatte.” Eine neue Metrik muss her. Das ist leider nicht trivial, denn sonst gäbe es schon längst eine standardisierte Lösung in der Digitalwerbung. Fuhrmann verweist dabei insbesondere auf die bevorstehende Abschaffung der Third-Party-Cookies, welche die Messbarkeit im Allgemeinen zusätzlich auf den Prüfstand stellt.

Attention-Messung komme ohne Third-Party-Cookies aus und beziehe sich auf “die Schnittmenge aus der Prominenz der Anzeigenplatzierung und den Interaktionen der Nutzer mit dem Werbemittel.” Doch wie wird Aufmerksamkeit praktisch messbar? Doubleverify bleibt vage, das Unternehmen arbeite mit “prädiktiven Markern anhand von Datenpunkten wie Betrachtungszeit, Bildschirmanteil, Videodarstellung und Hörbarkeit.” Dadurch sollen Werbungtreibende erkennen, welche Werbung bei den Verbrauchern Anklang findet, und entsprechend optimieren. Dieser Ansatz ähnelt denen der anderen Marktteilnehmer.

Eye-Tracking nährt einen Datenpool für Maschinen

Bild: Christian Zimmer Christian Zimmer, Teads

Die ursprünglich in Frankreich gegründete Mediaplattform Teads, bekannt geworden als Erfinder der Outstream-Werbung und mittlerweile über 1.000 Mitarbeiter stark, setzt bei der Ermittlung der Aufmerksamkeit tatsächlich auf Eye-Tracking-Forschungen aus dem Hause Lumen, Adelaide und Realeyes. Dabei bleibt es aber nicht. Sie sammelt anhand der Attention-Studien mit Werbemitteln und -formaten eine Datengrundlage, um die Parameter zu finden, mit denen bestimmte Ziele zu erreichen sind. “Wir schaffen gerade diese Basis, um daraus lernen zu können. Das hilft schließlich, die einzelnen Werbemittel anhand von darauf basierenden Predictions zu optimieren”, sagt Christian Zimmer, Deutschland-Chef von Teads, gegenüber ADZINE im Interview.

Dabei pocht er auf das Umfeld, in den die Werbeanzeigen eingebettet sind. “Die kreative Umsetzung ist der Schlüssel, das Interesse der Konsumenten zu gewinnen. Nicht zu unterschätzen ist der Kontext, in dem die Werbung ausgespielt wird sowie die Platzierung. Laut einer aktuellen Studie können Werbungtreibende die Aufmerksamkeit für ihre Werbemitteleinblendungen um 49 Prozent steigern, wenn das Creative für das jeweilige Umfeld optimiert wird”, so Zimmer.

Kombination aus User-Verhalten und Interviews

Bild: Adnami Svenja Damzog, Adnami

Auch in Dänemark ist man sich der Bedeutung der Aufmerksamkeit für die Werbung bewusst. Doch die direkte Messung sei eben nicht möglich, so viel ist klar. Stattdessen sucht der High-Impact-Spezialist Adnami nach starken Korrelationen zwischen etwas wirklich Messbarem und einer realen Wirkung. “So lässt sich das Verhalten der User:innen auf einer Website – wie zum Beispiel Ansichtszeit der Ad, Scroll-Verhalten oder Verweildauer – erfassen”, erklärt Svenja Damzog. “Welche Wirkung Werbung dagegen zeitigt, gelingt unter anderem durch Panel-Interviews zur Anzeigenerinnerung oder lässt sich am Anstieg verkaufter Produkte ablesen.”

Die Kombination beider Elemente ermögliche es, abzuschätzen, wie viel Aufmerksamkeit eine Werbeanzeige tatsächlich erhält. Mithilfe dieser Informationen werden Modelle erstellt, um die erwartete Attention für eine bestimmte Platzierung oder einen Anzeigentyp vorherzusagen. “Dann kann dies mit Modellen für Aufmerksamkeit kombiniert werden, die verschiedenen Arten von Bannern zukommt, die Videos, Bilder oder Animationen enthalten”, so Adnamis Verantwortliche für das Publisher-Geschäft in DACH. Diese Ansätze basieren jedoch letztlich auf Eye-Tracking und Forschung. Trotzdem könne aus den Ergebnissen ein “maschinelles Lernmodell” Schlüsse ziehen, um Prognosen über die erwartete Aufmerksamkeit zu treffen, die eine bestimmte Anzeigenposition erzeugen wird, die eine Optimierung von Advertiser-Seite aus zulasse. Hier wäre man wieder beim Ansatz von Teads.

Ohne Eye-Tracking geht es nicht

Bild: XING Jörg Schneider, Gum Gum

“Eye-Tracking – ob in Echtzeit oder anhand umfassender Studien – wird trotz immer ausgefeilterer Messungen relevant bleiben. Eine Firma, die das als Basis ignoriert, kann Aufmerksamkeit nicht erfolgreich messen”, stellt Jörg Schneider, Gum Gums EMEA-Strategiechef, klar. Das gelte für die Creatives genauso wie für die Position und das Umfeld, in dem das Werbemittel läuft. Erst nach einer gewissen Kampagnenlaufzeit könne eine KI das Ruder übernehmen, wenn ausreichend aus den Daten gelernt wurde.

Der Contextual-Spezialist Gum Gum hat dafür das Unternehmen Playground XYZ akquiriert. Die Australier betreiben eine Plattform, die sich Attention Intelligence Platform (AIP) nennt, und die Gum-Gum-Technologie integriert wurde. Die AIP erfasst Datensignale eines Creatives, wie beispielsweise Time in View, Interactions, Dwell Time oder Video View Through Rates. Zugleich werde jede Kampagne im Live-Betrieb einem Panel präsentiert. “Die Testpersonen haben dabei die Device-Kamera aktiviert”, erläutert Schneider. “Das ermöglicht ein Eye-Tracking in Echtzeit, welches die tatsächliche Aufmerksamkeit der User:innen misst.” Alle gemessenen Datenpunkte zusammen würden eine Auswertung einer „Attention KPI“ ermöglichen.

Spannend dabei sei, dass die Formel für eine einheitliche Metrik insbesondere in Deutschland bislang nicht standardisiert ist. “In Australien hat sich für AIP die Metrik ‘Attention Time in Sekunden’ durchgesetzt. Diese werden wir auch in Deutschland anbieten, wir können uns aber nach jedem Marktstandard richten, sollte dieser abweichen”, sagt Schneider zuversichtlich.

Messungen auf Browser-Ebene

Bild: Sovrn Michael Zeisler, Sovrn

Beim US-amerikanischen Adtech-Unternehmen Sovrn fährt man einen etwas anderen Ansatz aus der Sell-Side-Perspektive. Über ein Javascript erfasst die Publisher-Technologie 45 “Engagement-Events” im Browser. “Ob Scrollen, Mausbewegungen oder Touch-Aktionen – alle relevanten Events werden getrackt, um zu evaluieren, ob Nutzer:innen aktuell auf der Seite aktiv sind”, erklärt Michael Zeisler, DACH-Chef von Sovrn. “Die hierdurch gemessene User Attention ermöglicht, nicht nur auf Ad-Unit-Ebene zu segmentieren, sondern zusätzlich nach voller URL und Device.”

Die aus diesen Daten entstandenen Segmente könnten dazu genutzt werden, um Deals aufzusetzen und in naher Zukunft auch Floor-Preise dynamisch zu optimieren, sagt Zeisler. “Das Realtime-Tracking hilft darüber hinaus auch dabei, Ad Reloads nur dann zu initiieren, wenn User:innen tatsächlich eine Mindestzeit an Engagement beziehungsweise Attention gezeigt haben.” Er ist überzeugt: „Wir erleben gerade, dass sich Attention zurecht zur wichtigsten Metrik im Digital Advertising entwickelt.”

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