Die Präzision der Zielgruppenansprache in der Digitalwerbung wird künftig geringer. Dafür sorgen das Streben nach Privatsphäre auf Nutzerseite und die daraus resultierenden Maßnahmen der Legislative sowie Alleingänge der großen Tech-Anbieter. Waren vorher (zu) genaue Targetings verfügbar, lassen neue Verordnungen zur Datenverarbeitung und Schritte wie die Einschränkung der Werbe-ID-Nutzung deren Genauigkeit schwinden. Die Werbeindustrie lotet derzeit aus, welche alternativen Möglichkeiten existieren und wie mobile Werbung dennoch wirkungsvoll bleiben kann. Wir haben uns bei diversen Mobile-Experten umgehört, um deren Ansätze aufzuzeigen.
“Wenn wir einen Blick auf die Markenwerbung werfen, stellen wir im Nachhinein fest, dass einige Micro-Targeting-Strategien der letzten Jahre nicht wirklich zielführend waren”, beurteilt Jan Gräwen, Geschäftsführer der YOC Mobile Advertising GmbH, die vergangenen Entwicklungen. “Deshalb sehen wir die Zukunft der mobilen Werbung in kreativen, den User einbindenden Formaten, gepaart mit hochwertigen Umfeldern, kontextuellem Targeting und einer flankierenden Evolution neuer ID-Lösungen“, fasst Gräwen zusammen. Diese vier Faktoren – innovative Werbeformate, Umfeld, Contextual-Lösungen und IDs – werden mehr oder weniger auch von anderen Marktteilnehmern gestützt.
Umfeld und Contextual-Technologie
Das hochwertige Umfeld spielt insbesondere für das Programmatic-Advertising-Saleshouse Flap.One eine Rolle. “Die Tiefe der Targetingpräzision durch personen- und gerätebezogene Daten hat dazu geführt, dass manche Werbetreibende und Mediaplaner die Bedeutung von sicheren und hochwertigen Werbeumfeldern aus den Augen verloren haben”, ist Robert Herrmann, Commercial Director bei Flap.One, überzeugt. “Deren Stellenwert wird nun wieder deutlich steigen, denn seriöse und reichweitenstarke Mobile Publisher, egal ob Native App oder Mobile Web, werden auch künftig Wege bieten, Zielgruppen sehr genau anzusprechen.” Dabei steige ebenfalls die Bedeutung von Contextual. “Neben einer kontextuellen Umfeldplanung – wie wir sie seit Ewigkeiten aus Print, TV und Radio kennen – werden im Online-Marketing verstärkt offene Technologieplattformen mit entsprechend passgenauen kontextuellen Targeting-Optionen eingesetzt. Ich bin zuversichtlich, dass die Werbewirkung durch das passende kontextuelle Umfeld sogar steigt”, glaubt Herrmann.
Kontext und Interaktion
In der mobilen Spieleindustrie sieht man das Schwinden der Präzision eher weniger als Problem an. “Als Publisher von Mobile Games haben wir eine recht umfangreiche Datensammlung unserer User und Userinnen”, erklärt Fabian Keller, Head of Advertising Sales GSA von Gameloft for Brands. Aus diesen Daten leite der Spiele-Vermarkter und -Entwickler dann auch ein Contextual Targeting ab, das auf Geschlecht oder Alter, aber ebenso in Bezug auf die Interessen erstellt wird. Dennoch sieht Keller ebenfalls die von YOC herausgestellten innovativen Werbeformate als wichtigen Aspekt an: “Die Wirksamkeit lässt sich noch steigern, wenn die Anzeigen interaktiv gestaltet werden. Das sehen wir für unseren Bereich der In-Game-Werbung in jeder Auswertung der bei uns gebuchten Kampagnen. Ist das Werbemittel beispielsweise eine Playable Ad, dann steigt die Engagement Rate. Auch die Erinnerung an die Anzeige ist höher, wenn der User die Möglichkeit hatte mit ihr zu interagieren”, meint Keller.
ID- und Kontext-Kritik vom Datenspezialisten
Von Kontext-Targeting hält der Datenspezialist Ogury hingegen wenig. “Um den Herausforderungen des schrumpfenden Datenpools zu begegnen, bringen Adtech-Anbieter Lösungen auf den Markt, die auf Kontext- und semantischen Daten basieren, denen es jedoch an ‘Zielgruppenintelligenz’ fehlt”, so Jan Heumueller, Zentraleuropa-Chef von Ogury. Auch die ID-Lösungen überzeugen ihn nicht. “Gleichzeitig halten einige Unternehmen an der alten Methode des Targeting fest und klammern sich an IDs, um weiterhin Personalisierung durchzuführen.” Entsprechend kritisch sieht er die Advertiser, die diesen Weg gehen: “Sie hatten oftmals bereits in der Vergangenheit einen unvollständigen Überblick über die Interessen der Nutzer und werden in Zukunft Schwierigkeiten haben, ausschließlich mit fragmentierten und schwachen Daten zu arbeiten”.
Letztendlich gehe es nicht darum, ob eine Technologie auf IDs basiert oder nicht, sondern darum, ob die Technologie ein ausreichend tiefes Verständnis der Zielgruppe bietet. Dabei ist “ein umfassendes Wissen über die Interessen” entscheidend, ist sich Heumueller sicher.
Multi-Channel gewinnt?
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt man bei der Adserving- und Monetarisierungs-Plattform Madvertise. “Mobile Advertising muss zunehmend umfassender gedacht und viel mehr als eine von mehreren Säulen innerhalb eines Multi-Channel-Ansatzes gesehen werden”, betont Francois Roloff, CEO des Berliner Adtech-Anbieters. “Zur maximalen Effizienzsteigerung gehört zukünftig die Verlängerung der Ansprache des Users durch inhaltlich intelligente, der Mobile-Gattung übergreifende Kampagnenplanungen entlang der persönlichen Customer Journey.” Dabei nennt er etwa Digital-Out-of-Home als sinnvolle Ergänzung.
Roloff führt zudem die Audio-Recognition-Technologie ins Feld, die zur Nachverfolgung und Attribution der User genutzt werden könne. “Bei den Nutzern führt die kombinierte und dennoch spezifisch adaptierte Ansprache über mehrere Touchpoints hinweg zu einer größeren Erinnerungswirkung und sorgt so dafür, ein noch besseres und adäquateres Nutzungs- und Werbe-Erlebnis zu kreieren”, so der CEO. Kontext in Echtzeit könne überdies anhand von nutzungsbezogenen Metadaten und Parametern wie Wetterdaten oder des geografischen Standorts geschaffen werden. “Anstelle von Login-Daten und IDs setzen wir damit im Mobile Advertising zukünftig auf eine Kombination aus Nutzungskontext, Semantik, Umgebung und Echtzeitanalyse als Grundlage für User-relevante Werbung”, resümiert Roloff.
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