Adzine Top-Stories per Newsletter
DISPLAY ADVERTISING

Déjà-vu beim Targeting

Jens von Rauchhaupt, 29. April 2010

Die Insolvenz von Wunderloop war für die meisten Marktteilnehmer nicht nur überraschend, sie hat auch eine alte Diskussion wiederbelebt: Braucht der Markt überhaupt ein Targetingsystem eines unabhängigen Drittanbieters, das wie bei Wunderloop oder Nugg.ad für die Vermarkter seinen Dienst verrichtet, oder wäre das Thema profilbasiertes Targeting nicht bei den Agenturen besser verortet?

Das Schlagwort Targeting umfasst bekanntlich viele Unterdisziplinen wie technisches Targeting (Geo- und Browsertargeting), Umfeldtargeting (Semantisches Targeting) und das profilbasierte Targeting, welches sich in das performanceorientierte „Retargeting“ und das brandingorientierte „(Predictive-) Behavioral Targeting“ aufspaltet. Letztere Variante gilt als Königsdisziplin, weil hier der Werbekunde seine Zielgruppe reichweitenstark und mit geringen Streuverlusten ansprechen kann. Wenn dann die Vermarkter von Premiumwerbeträgern – wie im Fall von AdAudience – auch noch in einem Verbund ein solches Behavioral-Targeting-System nutzen, gibt es kaum noch Argumente, die dagegen sprechen. Das war jedenfalls der Stand vor zwei Wochen, bevor dem Targeting-Dienstleister Wunderloop – in einer für das Unternehmen so immens wichtigen Zeit – die finanzielle Puste ausging.

Die Agenturensicht

Doch schon lange zuvor schwelte beim Thema (Predictive-) Behavioral Targeting zwischen Agenturen und Vermarktern ein Streit, der wie der Gordische Knoten als unlösbar galt und gilt: Dabei finden folgende Streitpunkte immer wieder ihre Erwähnung: Praktikabilität, Datenschutz, Datenhoheit und Preis-Leistungsverhältnis. Denn die Vermarkter der Werbeträger lassen sich dieses Profiltargeting meist durch einen TKP-Aufschlag höher vergüten. Schließlich müssen die vom Vermarkter unabhängigen technischen Dienstleister auch noch Geld verdienen. Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt ja gerade der Fall von Wunderloop.

Manfred Klaus, Serviceplan

In den Firmenblogs von Mediascale und Serviceplan/Plan.Net nehmen die verwandten Unternehmen die Insolvenz von Wunderloop zum Anlass und äußern sich skeptischer denn je zum Einsatz von Profiltargeting durch einen Drittanbieter. Schließlich gäbe es bereits funktionierende Agentursysteme wie etwa „TargAd“ von GroupM oder das eigene „NE.R.O“ von PLAN.NET/Mediascale. Manfred Klaus, Geschäftsführer PLAN.NET Agenturgruppe, dazu: „In der Marktdiskussion stehen aber die Fragen des Datenschutzes (aus Nutzersicht) und der Datenhoheit (aus Kundensicht) im Mittelpunkt. Unsere Erfahrung zeigt: Wir können diese nur dann optimal gewährleisten, wenn Kampagnen vermarkter- und spezialdienstleisterübergreifend realisiert werden. Deshalb haben wir, aber auch andere Agenturen, uns dafür entschieden, ein eigenes agenturinternes Targetingsystem aufzubauen. Es verfügt über ähnliche Leistungsmerkmale wie das der Spezialdienstleister, kann aber Kampagnen vermarkterübergreifend steuern. Weil das im Buchungs- und Steuerungsprozess einfacher ist, läuft mittlerweile mehr Buchungsvolumen und Umsatz für Targetingkampagnen über agentureigene Systeme als über Vermarkter und ihre Spezialdienstleister.“

Wolfgang Bscheid, mediascale

Die fehlenden Praktikabilität eines Drittanbieteransatzes konkretisiert der Mediascale-Geschäftsführer Wolfgang Bscheid im firmeneigenen Klartext-Blog wie folgt: „Im Arbeitsalltag der Marktpartner spielt vor allem eine große Rolle, wie praktikabel die einzelnen Modelle in der Praxis sind. Der größte Diskussionspunkt dabei: Im Dreieck zwischen Agenturen (die Budgets für die Werbekunden buchen), den Anbietern von Reichweite (den Vermarktern) und den Targeting-Spezialisten (bspw. Wunderloop) ist noch immer nicht genau geklärt, wie die Geschäftsbeziehungen laufen. Wer beispielsweise bezahlt wen für die Targetingleistung? Wer weiß was über die Nutzer? Und wer spricht mit wem im Arbeitsalltag? Bisher hat der Targetingspezialist mehr Informationen über die Qualifizierung der Nutzer als der Vermarkter. Im Alltag aber spricht die Agentur mit dem Vermarkter und nicht mit dem Targetingdienstleister.“

Wolfgang Bscheid machte uns gegenüber auch noch einmal deutlich, dass „Behavioral Targeting in vielen Fällen eine nur bedingt direkt messbare Leistungssteigerung innerhalb der Kampagnen nachweist. Meist halten sich Leistungszugewinn und Mehrkosten eher die Waage. In der Praxis stellt vor allem der zweite Punkt Anbieter wie Wunderloop vor große Herausforderungen.“

Torsten Ahlers, wunderloop

Torsten Ahlers, CEO von Wunderloop verteidigt den Drittanbieteransatz: „Fakt ist: Größe, vor allem Reichweite, ist im Targeting ein entscheidender Faktor. Wenn ein einzelner Vermarkter oder auch eine einzelne Agentur dauerhaft an einer völlig autarken Insellösung arbeitet, ist das der Beginn, am eigenen Ast zu sägen. Denn außerhalb dieser Insellösung werden Targetingangebote immer größer, vernetzter und Schwergewichte wie Google bringen sich in Position. Dabei entstehen Angebote, die kleine Insellösungen schnell überflügeln werden. Ist diese Situation ausweglos? Nein, das ist sie nicht. Genau hier liegt das Potenzial von unabhängigen Produkten, wie wir sie anbieten. Wir wollen als neutraler Player eben gerade vermeiden, dass Abhängigkeiten entstehen. Das machen wir seit jeher auch zum Gegenstand von Beteiligungsgesprächen: Unsere Neutralität. Nur so können wir Vermarkter, Agenturen, Publisher und alle Marktteilnehmer an einen Tisch bringen. Dabei entsteht Reichweite, Stärke, letztlich ein standardisiertes Angebot, das es auch mit den Großen aufnehmen kann.“

Stephan Noller, nugg.ad

Wir konfrontierten auch Stephan Noller, CEO Nugg.ad und Chairman des Policy Committee beim IAB Europe, mit der Münchener Kritik an Targetingspezialdienstleistern. „Wir haben immer die Meinung vertreten, dass Targeting vermarkterzentriert aufgebaut sein sollte, weil der Vermarkter die Kontakte zur Zielgruppe hat und den Content produziert, der Targeting überhaupt erst möglich macht. Die Agentur kann und sollte mit ihrem Wissen über den Kunden und die Zielgruppe in ein solches System intelligent integriert werden – ein ‚entweder-oder‘ ist in diesem Fall wenig zielführend, denn Targeting wird vor allem dann zu einer Mehrleistung für den Kunden, wenn alle, die etwas beizutragen haben, ihren Beitrag einbringen können. Mit dieser Philosophie sind wir gut unterwegs und wickeln inzwischen mehr Targetingkampagnen ab als jeder andere Player im Markt.“

Diese doch salomonischen, weil geradezu sanftmütigen Antworten von Torsten Ahlers und Stephan Noller lassen eines erahnen: Die Targetingdienstleister selbst sind sehr gewillt, mit den Agenturen enger zusammenzuarbeiten, doch niemals am Werbeträger und ihren Vermarktern vorbei. Denn diese werden ein reines Agenturtargeting zum Schutz ihrer Medienmarken verhindern.

Kein Zweifel: Werbekunden wollen Targeting

Doch eine Einigung zu den erwähnten Streitpunkten Praktikabilität, Datenschutz, Datenhoheit und Preis-Leistungsverhältnis muss wohl her. Mehr denn je fordern die Advertiser bei den Kampagnenauslieferungen den Einsatz von Targeting wie Stephan Noller beobachtet: „Targeting ist ganz klar weiterhin auf einem starken Wachstumspfad. Die Anzahl der Targetingkampagnen hat in den letzten 3 Monaten nochmals um mehr als 200 Prozent zugenommen. Damit ist klar, dass das starke Wachstum von 2009 unvermindert anhält.“ Wolfgang Bscheid bestätigt: „Heute zählt es zu den am stärksten nachgefragten Innovationsthemen in der Praxis der Onlinemediaplanung. Daran hat auch die Insolvenz von Wunderloop nichts geändert. Kaum ein größerer Pitch, in dem Targeting nicht ein zentrales Thema ist.“ Ähnliche Beobachtungen macht Manfred Klaus: „Der deutsche Markt entdeckt Targeting gerade verstärkt für sich: Immer mehr Kunden schalten immer mehr Targetingkampagnen und immer arbeitsfähigere Strukturen wie AdAudience bilden sich. Targeting ist – ähnlich wie Online-Bewegtbild – ein stark wachsender Markt, allerdings auch noch auf einer niedrigeren Ausgangsbasis. Mittlerweile gehören bei den meisten der Kampagnen, die wir für unsere Kunden planen, Targetingelemente zum natürlichen Bestandteil.“

Über den Autor/die Autorin:

EVENT-TIPP ADZINE Live - CTV & Video Advertising effektiv einsetzen am 10. April 2024, 11:00 Uhr - 12:30 Uhr

Wie können Advertiser die passenden On-Demand-Reichweiten identifizieren und planvoll einsetzen? Welche Messmethoden und Planzahlen sind verfügbar? Welche Performance-Indikatoren sollte man hinzuziehen? Jetzt anmelden!

Events

Whitepaper