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Der Erotikbranche auf den Online-Nabel geschaut

Michael Röhrs-Sperber, 29. Oktober 2009

Die Erotikindustrie kann sich im Internet vieler Rekorde rühmen. Sie hat die ersten funktionierenden Geschäftsmodelle aufgebaut, ist für den meisten Traffic verantwortlich (es gibt leider nur Schätzungen die von 60–80 Prozent sprechen) und die weltweiten Umsätze übersteigen die von Hollywood oder der Musikindustrie. Die Erotikindustrie wäre also ein potenter Werbe- bzw. Marketingpartner. Aus diesem Grund fragte ADZINE auf der diesjährigen Erotikmesse Venus in Berlin einmal nach.

Uns interessierte, wie der digitale Werbemarkt im Erotikbusiness funktioniert, ob es spezielle Vermarkter oder Mediaagenturen gibt, ob Affiliate-Netzwerke existieren und wie diese funktionieren. Auch fragten wir nach, wie wichtig Google für die Branche ist und wie es eigentlich um die Werbung bestellt ist – vor allen Dingen wie hoch die Ausgaben sind. Die Antworten haben uns fast immer überrascht.

Beinahe hätte die Venus-Botschafterin Nadja Abd El Farrag den Adzine Header geschmückt, beinahe...

Vom 15. bis 18. Oktober fand in Berlin wieder die alljährliche Nabelschau der Erotikbranche statt. In Berlin treffen sich alle wichtigen Vertreter dieser Branche samt Sternchen und „demnächst Stars“. Die Branche stellt ihre neuesten Produkte für eine glückliche Bevölkerung sowie neue Dienste, Ideen oder Dienstleistungen. Mittlerweile nimmt die Webpräsenz in der Branche einen großen Stellenwert ein. Ist es doch einfacher für einen potenziellen Kunden, ein Webformular auszufüllen und ein unverfänglich verpacktes Packet zu erhalten, als in ein einschlägiges Ladengeschäft zu gehen. Aus diesem Grunde fing die Branche schon sehr früh an, das Internet zu entdecken. In eingeweihten Kreisen scherzt man, dass das Internet nur wegen der Erotikangebote so schnell gewachsen sei.

Die Branche ist mittlerweile aus dem Internet nicht mehr wegzudenken. Verursacht sie doch einen Großteil des Internettraffics. Wie hoch dieser Anteil wirklich ist, darüber kann nur spekuliert werden. Der weltweite Umsatz liegt wahrscheinlich im mittleren zweistelligen Milliardenbereich. Wirtschaftsexperten gehen von 55 Milliarden Dollar in 2006 aus. Eine Studie will den weltweiten Umsatz mit 97,06 Milliarden Dollar ermittelt haben. Wenn das stimmt, setzte die Erotikindustrie mehr um als Microsoft, Google, Amazon, eBay, Yahoo, Apple, Netlix und Earthlink zusammen. Davon seien in den USA 2,83 Milliarden Dollar auf das Internet entfallen. 2009 soll der Umsatz in den USA etwa 13 Milliarden Dollar betragen haben. Das ist mehr als Hollywood oder die Musikindustrie verkauft.

In Deutschland sind die Zahlen natürlich etwas kleiner. Auch sind die Umsatzzahlen wegen vieler kostenloser Angebote gefallen. 2008 soll die Branche in Deutschland aber noch 500 Millionen Euro umgesetzt haben. Die Branche ist also riesig. Und sie ist die wohl aktivste Branche im Internet. Welche Aktivitäten entfaltet sie also im Onlinemarketing.

Das offizielles Plakat zur Venus in Berlin.

Auf der Venus gab es eine ganze Halle für Web-Companys und assoziierte Unternehmen. Sie war angenehmerweise ruhiger als die anderen Hallen, da hier nicht die allgegenwärtigen Shows dargeboten wurden. Auch war sie dadurch recht leer. Es fehlten einfach die mit großer Kameraausrüstung „bewaffneten“, sonst überall gegenwärtigen Showsammler – andere Messen haben Tütensammler. So wurden wir in angenehmer Atmosphäre von einem zum anderen Stand weitergereicht. Gestartet sind wir mit einer Anbieterin von Web-Cam-Unterhaltung, deren freundlicher Aufforderung, doch hereinzukommen, wir nicht widerstehen konnten. Die Inhaberin Anna – ihren richtigen Namen wollte sie nicht preisgeben – erzählte, dass sie selbstverständlich Onlinemarketing mache. Sie organisiere selbst(!) Bannerplatzierungen, habe also ein Affiliate-Programm aufgebaut. Die Affiliates würden 30 Prozent von ihrem Umsatz erhalten. Auch würde sie selbst Werbung in Chaträumen platzieren. Auf die Frage, warum sie das selbst organisiere, sagte sie, bei Agenturen sei ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen worden. Diese Formulierung haben wir übrigens unisono auf der Messe gehört. Auf die Frage, wie wichtig Google für Sie sei, zog sie die schön gezeichneten Augenbrauen hoch, rückte das E-Dekolleté zurecht und sagte „sehr wichtig“. Deshalb würde sie auch intensiv SEO betreiben. Nun zogen wir die Augenbrauen hoch. Sie kannte das Wort nicht nur, sie wusste auch, was es bedeutet. Auch dies war etwas, was wir auf der ganzen Messe fanden. Die Branche ist sehr gut informiert. Nach 20 Minuten mussten wir uns dann von den Keksen, dem leckeren Kaffee und den interessanten Einblicken lösen.

Wir hatten einen Termin mit John Giorgio, dem CEO des weltweit größten Bewertungsportals für Erotikdienstleisterinnen theeroticreview.com. Nach seinen Angaben hätten Sie mehr Traffic als der Playboy. Die Webseite hat über eine Millionen registrierte Benutzer, 60.000 zahlende Mitglieder und über eine Million Bewertungen von über 500.000 Dienstleisterinnen. Herr Georgio erzählte uns dann im schönsten Ostküstenamerikanisch, dass er aktuell noch 75 Prozent seiner Marketingaktivitäten in Printmedien schalte, 10 Prozent für Radiowerbung ausgebe und 15 Prozent in die Onlinewerbung investiere. Er werde dieses Verhältnis aber zugunsten des Internets verändern, da Print immer weniger Relevanz entfalte. So wolle er sein Engagement auf 25 Prozent ausbauen und Print um diesen Betrag reduzieren. Er nutze im Internet Linkpartnerschaften, Bannertrading und verkauft bzw. kauft Space auf Webseiten. Auch er organisiert diese Aktivitäten selbst. Das ganze Marketing werde inhouse realisiert. Er stehe Agenturen sehr ablehnend gegenüber, da er schlechte Erfahrungen gemacht hat. Detaillierter wollte er nicht werden. Google sei für ihn der Trafficgenerator Nr. 1. Nach seinen Werbeaktivitäten bei Google gefragt, lächelte er nur und formte mit dem Zeigefinger und dem Daumen eine Null. Google erlaube keine Werbung für seinen Dienst. Er könne Google nicht begreiflich machen, dass sein Dienst keine Frauen vermittle, sondern nur über ihre Leistungen berichte. Auch dies hörten wir von sehr vielen auf der Messe. Ihnen sind die Türen zu Google verschlossen. Aus diesem Grund suchen Sie nach Marketingmöglichkeiten abseits von Google – mit Erfolg.

So blühen bei allen Anbietern die Affiliateprogramme. Mit PartnerCash hat sich im Affiliatemarkt ein großer Anbieter etabliert. Er bietet über 450 Programme mit 40 verschiedenen Werbemitteln. Nicole Rinne, Pressesprecherin von Partnercash, bat uns mit leicht zerzausten Haaren – der Messeaufbau war wohl etwas haarig gewesen – zum Gespräch. PartnerCash habe derzeit 130 Mitarbeiter. Man werde aber weiter expandieren. Der Markt wachse in einem rasanten Tempo. Es scheint sich derzeit die alte Regel zu bewahrheiten, dass der Konsum in schwierigen Zeiten hin zum Amüsement geht. Auch PartnerCash mache alles selbst. Keine Agentur stehe ihnen zur Seite, sagte Frau Rinne. Die 40 Werbemittel beinhalten Banner, Video, Flash und Eigenentwicklungen. Die Affiliates erhalten bis zu 80 Prozent (!) der Livetime eines von ihnen geworbenen Kunden. Bei einem Abovertrag wären das dann 80 % der Abogebühren. Weiter bleibt ein einmal geworbener Kunde beim Affiliate. Schließt dieser Kunde also weitere Verträge ab oder nutzt weitere Dienste, erhält der Affiliate ebenfalls bis zu 80 Prozent. Vergleicht man diese Zahlen mit den sonstigen Affiliatezahlungen, werden die Affiliatepartner in der Erotikbranche geradezu fürstlich entlohnt. PartnerCash kümmert sich um seine Affiliates in sogenannten Workshops, in denen den Webmastern SEO-, Design- oder Usability-Tipps gegeben werden. Selbstverständlich betreibt PartnerCash selbst massiv SEO.

Nach der Relevanz von Google gefragt, antwortete Rinne mit „Überlebenswichtig!“. Beim Finden der Angebote ist also Google immer noch unumgänglich. Umso enttäuschter war Rinne daher, dass es in Deutschland nicht möglich ist, Google Ads für PartnerCash oder ihr neues Erotikportal joyfactor zu buchen.  Wir führten noch sehr viele weitere Gespräche auf der Messe. Google war überall sehr wichtig bis überlebenswichtig. Jeder beklagte, dass die Werbemöglichkeiten außerhalb der Branche so sehr eingeschränkt sind. Keiner arbeite mit einer Agentur, einem Vermarkter oder einem sonstigen Dienstleister. Entweder machte man es selbst oder nutzte PartnerCash.

Fazit
Die Erotikbranche ist also ein sehr lukratives und völlig unbeackertes Betätigungsfeld für Agenturen, Vermarkter oder Marketingdienstleister – wenn man sich denn mit der Branche einlassen möchte.

Über den Autor/die Autorin:

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