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PUBLISHING

Web-TV ist günstiger, nicht billiger

Jens von Rauchhaupt, 4. August 2006

Der Bundestag bezeichnet die Internetübertragungen seiner Sitzungen z.B. als Web-TV. Obwohl die Kreuzung von Internet und TV nicht neu ist, sind professionelle Filmproduktionen für das Internet noch Mangelware. Die potenziellen Auftraggeber aus der Online-Branche befürchten zu hohe Kosten, denn viele Produktionsfirmen orientieren sich an den bisherigen TV-Budgets. ADZINE sprach daher mit Ralf Klassen, erprobter Contentlieferant von Beckoffice aus Hamburg. Der Filmemacher erklärt, worauf es bei Web-TV aus der Sicht einer TV-Produktionsfirma ankommt und warum solche Filmproduktionen für das Internet gar nicht die Welt kosten müssen.

Zur Person

Ralf Klassen ist gelernter Medienjournalist. Seine beruflichen Wege führten ihn von Larry King (CNN) zum Nachrichtenmagazin Spiegel. Dazwischen schrieb er zum Beispiel für GEO und die Süddeutsche Zeitung. Bei der HÖRZU war er vier Jahre lang in der Chefredaktion und für die Organisation der "Goldenen Kamera" zuständig. Danach war er Autor für die Fernsehsendung BECKMANN. Nun widmet er sich als Redaktionsleiter von Beckoffice unter anderem der Entwicklung neuer Fernsehformate. Zum Portfolio von Beckoffice gehören zudem auch hochklassige Off-Air-Veranstaltungen mit sehr bekannten TV-Größen. Für die Werbung kann er auch arbeiten, wie er schon öfters und nachweisbar gezeigt hat.

ADZINE: Herr Klassen, 48 Prozent aller deutschen Internetanwender besitzen inzwischen einen Breitbandanschluss. Die Hälfte davon verfügt über eine Flatrate. Wo bleiben die bewegten Bilder mit hochwertigen Inhalten für das Internet?

Ralf Klassen: Im Moment können wir im Internet entweder user created wie bei YouTube oder auf das Internet heruntergebrochenes TV betrachten. Ich sehe aber nur sehr wenige inhaltlich qualitativ hochwertige Produktionen für das Internet. Auch die privaten TV-Sender könnten in dieser Hinsicht mehr für das Netz machen.

ADZINE: Woran liegt diese allgemeine Zurückhaltung?

Ralf Klassen: Ich glaube, die klassischen TV-Sender und TV-Produktionsfirmen haben das Internet noch nicht für sich entdeckt. Vielleicht wollen es auch manche nicht für sich entdecken. Es könnte deutlich mehr sein als das, was wir zurzeit sehen können.

ADZINE: Wie sieht es mit der Nachfrage für ihre Web-Produktionen aus?

Ralf Klassen: Die Videokolumne "van Ryssen geht steil" hat uns und Spiegel Online eine ziemlich große Aufmerksamkeit beschert. Wir haben danach viele Anfragen von großen Portalen erhalten. Wir sondieren das gerade. Vielleicht können wir schon auf der OMD mit mehreren Projekten aufwarten und etwas präsentieren.

ADZINE: Wie kam es eigentlich zu der Produktion "van Ryssen geht steil"?

Ralf Klassen: Ich habe SPIEGEL ONLINE Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron den Vorschlag gemacht, statt einer weiteren Print-Kolumne doch mal eine Video-Kolumne mit Carsten van Ryssen für die WM zu produzieren. Ehrensenf lief gerade auf Spiegel Online gut an. Entgegen erster Befürchtungen von Spiegel Online, dass so etwas nicht sinnvoll kalkulierbar sei, konnten wir uns schnell einigen. Soweit ich weiß, hatte Quality Channel auch überhaupt keine Probleme den Werbeplatz vor der Video Kolumne zu verkaufen.

Content

ADZINE: Wie gefällt Ihnen die Arbeit von Ehrensenf?

Ralf Klassen: Katrin Bauerfeind macht einen großartigen Job. Hoffentlich wechselt sie nicht zu schnell ins Fernsehen. Die Texte sind auch gut. Bei Ehrensenf merkt man, dass es ausschließlich für das Netz produziert wird und man erkennt, wie wichtig Persönlichkeiten für eine Programmfarbe und die Markenbildung sind.

ADZINE: Braucht man im Netz überhaupt noch bekannte Köpfe, um die Aufmerksamkeit des Users zu erlangen?

Ralf Klassen: Aber ja. User created content ist lustig, nett und innovativ, ich glaube allerdings nicht, dass diese Inhalte mittelfristig große Werbekunden anziehen können. So etwas sollte aber selbstverständlich neben den professionell erarbeiteten Inhalten immer bestehen bleiben. Ich mag dieses basisdemokratische Blogwesen und teile dort die Kritik vieler Kollegen nicht. Schön das es so etwas gibt. Allerdings kommen solche Inhalte qualitativ einfach nicht über ein gewisses Maß hinaus. Das Medium Internet wird sich aus meiner Sicht vor allem mit professionellen und hochwertigen Inhalten weiterentwickeln.

Unterschiede

ADZINE: Wie unterscheiden sich nun Internet von TV-Produktionen?

Ralf Klassen: Zunächst natürlich die Datenmenge: Ich halte 5 Minuten derzeit für die absolute Obergrenze, wenn man mit dem Inhalt eine große Zielgruppe erreichen möchte. Aber es gibt auch handwerkliche und dramaturgische Unterschiede. Die Bildsprache ist im Internet eine andere: Man muss "close" arbeiten. Totaleinstellungen aus 20 km Entfernung machen bei einem 5 x 5 cm Videoscreen genauso wenig Sinn wie sehr schnelle Schnitte, die derzeit das klassische TV prägen. Dies sind die wesentlichen Unterschiede. Und natürlich das Budget.

ADZINE: Ist das Budget für das Internet deutlich niedriger?

Ralf Klassen: Ja, überhaupt kein Vergleich. Die Budgets, die man von großen Web-Portalen zur Verfügung gestellt bekommt, sind natürlich ganz andere, als wenn ich für einen Privatsender für den Vorabend produziere. Mit diesen vorhandenen Budgets der Portale kann man aber durchaus schon gute Qualitätsinhalte herstellen. Wer aber glaubt, er könne als TV-Produzent im Internet 80 Prozent einer Prime Time Produktion verlangen, hat das Medium Internet und die Pionierzeit, in der wir uns befinden, falsch verstanden.

ADZINE: Können die TV-Produktionsgesellschaften überhaupt mit dem Medium Internet umgehen?

Ralf Klassen: Handwerklich ja, aber man muss sich auf das Medium Internet wirklich einlassen können. Sowohl dramaturgisch, handwerklich wie auch vor allem budgetmäßig. Da haben es die etablierten Fernsehmacher schwer. Die jungen und etwas kleineren Firmen wie Beckoffice sind dort im Vorteil, da sie viel flexibler in der Umsetzung sind. Als wir den Trend in Richtung Web-TV für uns entdeckten, haben wir uns schnell mit jungen und talentierten Kurzfilmemachern aus Deutschland zusammengetan. Die kennen das Medium am besten, da in diesem Bereich vieles nur noch im Netz läuft.

ADZINE: Das Internet ist schnell. Aktualität oberstes Gebot, gibt es mit Web-TV-Produktionen keine Probleme da mitzuhalten?

Ralf Klassen: Wir haben für "van Ryssen geht steil" in 8-Stunden-Rhythmen produziert, was schon schnell ist. Wir können dies aber noch wesentlich schneller machen. Ich sehe da keine Probleme.

ADZINE: Und die Mediaplaner und Agenturen, kommen die zeitlich nicht ins schlittern?

Ralf Klassen: Das ist natürlich nicht meine Kernkompetenz. Aber in den letzten zehn Jahren haben wir alle in der Medienlandschaft lernen müssen, flexibler zu sein. Im Jahr 2006 sollte man in der Lage sein, eine Idee innerhalb einer Woche umzusetzen. In diesen Zusammenhang muss ich noch mal dieses Budgetdenken kritisieren. Befürchtungen, dass Videoproduktionen für das Netz zu teuer und zeitaufwendig sind, stimmen heute einfach nicht mehr.

ADZINE: Stichwort Usability, da kann man gerade bei Videostreams allerhand falsch machen, die Videofenster könnten auch ein bisschen größer sein, oder?

Ralf Klassen: Usability, wie zum Beispiel eine geringe Zeitverzögerung, ist eine absolut zwingende Voraussetzung. Natürlich würden wir uns auch über größere Streamingflächen freuen. Aber vor kurzem lagen ja selbst Streams noch in weiter Ferne. Man hört ja so einiges aus der Welt der Technik. Ich glaube, wir werden uns noch wundern, was schon sehr bald in dieser Beziehung möglich ist.

Ausblicke

ADZINE: Sehen Sie das Internet eigentlich als Konkurrenz zum Fernsehen ?

Ralf Klassen: Nein, was heißt hier schon Konkurrenz. An der Macht der bewegten Bilder wird auch das Internet nichts ändern. Ich sehe das Internet eher als Ergänzung mit einer großartigen Zukunft. Das Internet ist längst noch nicht in allen Köpfen angekommen. Ich muss dieses Medium als Fernsehmacher doch lieben. Es ist viel flexibler. Man muss zum Beispiel keine Diskussionen um Programmplätze führen. Blockbuster werden weiterhin im TV laufen. Wir befinden uns noch immer in einem Annäherungsprozess, in dem wechselseitig die Grenze zwischen Akzeptanz und Machbarkeit ausgelotet wird. Die eigentliche Revolution steht uns aber noch bevor.

ADZINE: Welche Revolution?

Ralf Klassen: Die Interaktivität. All die Sachen, die wir uns vor 10 Jahren nur vorstellen konnten. Ich meine zum Beispiel individuell angepasste Videostreams, in denen der User inhaltlich eigene Abzweigungen gehen kann. Das ist wirklich spannend. In der Automobilbranche sieht man schon etwas davon, aber fast nur dort. Auf der Seite der Werbetreibenden scheinen sie die neuen Möglichkeiten am besten verstanden zu haben.

ADZINE: Könnten sich andere Branchen für ihre Werbemaßnahmen im Netz mehr einfallen lassen?

Ralf Klassen: Natürlich, sehen sie, was die Tourismusbranche macht. Sie scheint das Thema Werbefilm im Internet fast noch zu ignorieren. Diese rührenden 360 Grad Schwenks durch die Hotelfoyers sind recht aufwendig in der Produktion. Ein 3 Minuten langer Beitrag über ein Hotel kostet überhaupt nicht mehr die Welt. Eine schicke Filmdokumentation über die Ferieninsel Rügen sagt mehr aus als drei Seiten Prospekt. Das gilt auch für andere Branchen. Ich sehe dort einen enormen Markt, natürlich auch für uns, denn so etwas machen wir auch.

ADZINE: Was vermissen Sie im Internet?

Ralf Klassen: Serien, warum gibt es keine Webserien? Ich würde mich aber wundern, wenn die großen Privatanstalten dieses Landes nicht längst an so etwas basteln. Ich würde es an ihrer Stelle schon aus strategischen Gründen tun. Nur, ich sehe sie eben im Moment nicht.

ADZINE: Herr Klassen, Vielen Dank für das Gespräch.

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