Verbundene Plattformen, vereinte Daten, intelligentere Entscheidungen
Karsten Zunke, 3. Dezember 2025Interview mit Gal Ekstein, Appsflyer
In einer Zeit, in der der Marketing-Mix immer vielfältiger und die Customer Journey zunehmend komplexer wird, stehen Werbetreibende vor neuen Herausforderungen – und neuen Chancen. Viele Lösungs-Anbieter haben entsprechend reagiert, so auch Appsflyer. Das Unternehmen hat sich von einer Mobile-Measurement-Plattform in Richtung einer Marketing-Cloud weiterentwickelt. Im Interview mit ADZINE verrät Gal Ekstein, Chief Business Officer bei Appsflyer, wie Künstliche Intelligenz und Datenkollaboration das Marketing revolutionieren, warum ganzheitliche Messung für nachhaltigen Erfolg entscheidend ist und wie eine moderne Marketing-Cloud hilft, den Weg zu intelligenteren Entscheidungen zu ebnen.
ADZINE: Immer mehr Kanäle werden in den Marketing-Mix integriert – die Customer Journey wird komplexer. Welche Herausforderungen bringt das für Werbetreibende mit sich?
Gal Ekstein: Die größte Herausforderung ist die Fragmentierung. Kunden interagieren möglicherweise über mehrere Kontaktpunkte mit einer Marke, etwa Web, Apps, CTV und Retail Media, bevor sie konvertieren. Meist arbeitet jede Plattformen mit eigenen Identifikatoren und Datenschutzbeschränkungen. Das führt zu erheblichen Lücken in der Messung, bei denen entweder die Attribution doppelt gezählt wird oder sogar ganz übersehen wird. Die meisten Unternehmen gleichen diese Daten immer noch manuell ab, was die Entscheidungsfindung verlangsamt und Risiken mit sich bringt. Der Markt hat sich schneller entwickelt als die zugrunde liegende Infrastruktur, und genau diese Lücke soll die Modern Marketing Cloud schließen, die wir jetzt etablieren.
ADZINE: Wie funktioniert das technisch?
Ekstein: Wir haben eine einheitliche Attributionsschicht einführt, die alle Touchpoints — Mobile, Web, PC, Konsole und CTV — in einem einzigen System vereint. Diese basiert nicht auf externer Verknüpfung oder Ad-hoc-Integrationen, sondern ist in unsere globale Attribution- und Event-Infrastruktur nativ eingebettet. Attributionslogik, Identity-Flows und datenschutzkonforme Verarbeitung, die zuvor nur auf Mobile ausgelegt waren, wurden auf alle Plattformen erweitert. In der Praxis wird eine Customer Unique ID an jedes Ereignis angehängt, das an uns gesendet wird. So kann sie Sessions, In-App-Events, Engagement- und Umsatzdaten zu einer einzigen plattformübergreifenden Nutzerreise zusammenfassen.
ADZINE: Warum ist es so wichtig, heute ganzheitlich zu messen und nicht nur einzelne Kanäle?
Ekstein: Das Verhalten der Verbraucher macht nicht an Kanalgrenzen Halt. Wenn die Daten isoliert erhoben werden, werden sie auch isoliert optimiert, was zu einer Fehlallokation der Ausgaben führt. Eine ganzheitliche Messung gibt die Möglichkeit, grundlegende Fragen zu beantworten, welche Kanalkombinationen tatsächlich Wert schaffen und nicht nur, welcher Touchpoint zufällig zum Abschluss geführt hat. Es wird nachvollziehbar, wie sich Aktivitäten im oberen Funnel bei CTV auf die nachgelagerte App-Nutzung und den Lifetime Value auswirken. Es geht nicht darum, mehr Daten zu sammeln, sondern darum, den Kontext zu haben, um intelligentere Entscheidungen zur Ressourcenzuweisung zu treffen. Ohne diesen Kontext verwalten Marketer Teile des Business, ohne zu sehen, wie diese miteinander interagieren.
ADZINE: Welche Herausforderungen müssen bei einer Omnichannel-Messung generell gemeistert werden und welche technischen Voraussetzungen müssen die App-Betreiber beziehungsweise App-Vermarkter sicherstellen, damit eine Omnichannel-Messung funktioniert?
Ekstein: Eine der größten Herausforderungen ist nicht die Technologie, sondern die Abstimmung. Viele Unternehmen messen Kanäle immer noch isoliert, mit separaten Teams, KPIs und Datensystemen. Damit die Omnichannel-Messung funktioniert, benötigen sie ein gemeinsames Framework, das Ziele und Definitionen unternehmensweit vereinheitlicht.
Technisch gesehen ist Flexibilität der Schlüssel. Signale, Identifikatoren und Datenschutzanforderungen entwickeln sich ständig weiter. Daher benötigen Marketer eine anpassungsfähige Infrastruktur, die Daten aus mehreren Plattformen verbinden, über datenschutzkonforme IDs abgleichen und Erkenntnisse in Echtzeit liefern kann. Omnichannel-Messung ist kein statisches Setup, sondern ein kontinuierlicher Prozess der Verfeinerung von Verbindungen und Zusammenarbeit, während sich das Ökosystem verändert.
ADZINE: Die Datenlage wird immer umfangreicher. Welche Auswirkungen hat dies auf die Attribution?
Ekstein: Mehr Daten bedeuten nicht automatisch bessere Erkenntnisse, sondern führen in vielen Fällen zu mehr Rauschen. Die Herausforderung liegt nicht in der Menge, sondern in der Signalqualität. Man kann Milliarden von Ereignissen verarbeiten, aber wenn ein erheblicher Teil davon aus doppelten Quellen oder betrügerischem Datenverkehr stammt, verschlechtern sich die Attributionsmodelle. Aus diesem Grund investieren wir im Vorfeld stark in die Datenhygiene: Filterung, Standardisierung und Betrugserkennung, noch bevor die Attribution überhaupt läuft. KI beschleunigt diesen Prozess, indem sie Anomalien in Echtzeit identifiziert. Die strategische Chance liegt nicht darin, mehr Daten zu erfassen, sondern darin, über sauberere Daten zu verfügen, auf die sich die Führungskräfte bei schnellen Entscheidungen verlassen können.
ADZINE: Wie ist es mit inkrementellen Reichweiten – lassen diese sich heute schon zuverlässig nachweisen?
Ekstein: Ja, die Messung der Inkrementalität ist zuverlässig, wenn sie korrekt angewendet wird. Unsere Inkrementalität für die Nutzerakquise nutzt automatisierte, geobasierte Tests mit geeigneten Kontrollgruppen. So kann man den tatsächlichen Lift einer kanalübergreifenden Kampagne isolieren und feststellen, ob diese Impressionen neue Nutzer generiert oder lediglich Installationen aus anderen Kanälen verlagert haben. Dies funktioniert besonders gut für skalierte, bezahlte Kanäle wie Meta, Google und Tiktok, wo wir native Integrationen haben. Die Einschränkung ist die statistische Aussagekraft, da kleinere Werbetreibende manchmal nicht über das für schlüssige Ergebnisse erforderliche Volumen verfügen. Für Unternehmen, die in großem Maßstab operieren, ist die Inkrementalitätsprüfung jedoch mittlerweile ein praktisches Instrument, das Entscheidungen zur Budgetverteilung neu gestaltet.
ADZINE: Welche Rolle spielen nach eurer Erfahrung bereits First-Party-Daten, um Kampagnen an die richtigen Zielgruppen auszuspielen?
Ekstein: First-Party-Daten sind zum grundlegenden Kapital geworden. Da Identifier von Drittanbietern zunehmend verschwinden, ist der einzige nachhaltige Ansatz für Targeting und Messung die Verwendung von Daten, die man direkt kontrolliert. Die nächste Entwicklungsstufe ist die strukturierte Datenkollaboration, bei der mehrere Parteien gemeinsame Erkenntnisse gewinnen können, ohne die zugrunde liegenden Kundendaten offenzulegen. Data-Clean-Room-Umgebungen machen dies operativ möglich.
Derzeit beobachten wir eine starke Akzeptanz bei Marken und Retail-Media-Netzwerken. In Zukunft wird sich diese Zusammenarbeit auf CTV-Publisher, Agenturen und Commerce-Plattformen ausweiten. Auf diese Weise baut die Branche in einem regulatorischen Umfeld, in dem der Datenschutz an erster Stelle steht, die Adressierbarkeit und Messbarkeit wieder auf.
ADZINE: Großes Potenzial wird mittlerweile Agentic AI zugeschreiben, mit der sich komplette Workflows automatisieren lassen. Wie siehst du diese Entwicklung – kann das dem Marketing helfen?
Ekstein: Agentic KI stellt eine bedeutende Veränderung der operativen Fähigkeiten dar. Anstelle statischer Berichte stehen autonome Agenten zur Verfügung, die Daten analysieren, Erkenntnisse generieren und vordefinierte Aktionen innerhalb von Governance-Rahmenwerken ausführen können. Für Marketingorganisationen bedeutet dies die Automatisierung von Arbeiten mit hohem Volumen und geringer Komplexität: Anpassungen des Kampagnen-Tempos, Erkennung von Anomalien, Performance-Berichte. Dies ersetzt keine strategischen Talente, sondern beseitigt operative Reibungsverluste, sodass sich die Teams auf wichtigere Entscheidungen konzentrieren können. Wir befinden uns noch am Anfang der Adaption, aber das Potenzial zur Verkürzung von Entscheidungszyklen ist erheblich.
ADZINE: Lass uns in die Zukunft schauen: Was wird künftig der Schlüssel für eine optimale App-Monetarisierung sein?
Ekstein: Der Schlüssel liegt in der vernetzten Intelligenz über den gesamten Customer Lifecycle hinweg. Man muss nicht nur die Akquisitionsquellen verstehen, sondern auch plattformübergreifende Verhaltensmuster und die spezifischen Treiber für langfristige Wertschöpfung.
Eine effektive Monetarisierung erfordert drei Fähigkeiten: eine echte plattformübergreifende LTV-Messung, um den Umsatz unabhängig davon zu verfolgen, wo er erzielt wird, eine datenschutzkonforme Datenkollaboration, um hochwertige Zielgruppensegmente zu identifizieren und zu skalieren, sowie eine KI-gesteuerte Automatisierung, um Erkenntnisse ohne manuelles Eingreifen umzusetzen. Der strategische Fokus hat sich von der Optimierung der Kosten pro Installation auf die Optimierung des Lifetime Value verlagert.
ADZINE: Vielen Dank für das Interview, Gal!