CTV-Werbung bei Zattoo: Streaming-Pionier mit wachsendem Ads-Business
André Gärisch, 1. Dezember 2025Vermarktungsstrategien der Streamingdienste
Zattoo zählt zu den frühen Playern im TV-Streaming. In den vergangenen Jahren hat der Dienst seine drei Kernbereiche deutlich ausgebaut: Big Screen, B2B-Plattformgeschäft und eigenständige Werbevermarktung. Letztere gewinnt angesichts der stetig wachsenden Senderzahl auf der Plattform zunehmend an Bedeutung. Im Gespräch mit ADZINE erläutert Klaus Nadler, Chief Sales Officer bei Zattoo, die Erlösmodelle und geht näher auf die Technologien ein, die dafür zum Einsatz kommen.
ADZINE: Herr Nadler, bevor wir ins Werbegeschäft einsteigen – wie ist Zattoo heute strukturiert?
Nadler: Wir haben drei klare Säulen. Erstens das Direct-to-Consumer-Geschäft in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Hier reicht unser Angebot vom werbefinanzierten Free-Bereich bis zu Abo-Modellen wie Smart HD, Premium und Ultimate, die sich vor allem über die Anzahl parallel nutzbarer Streams unterscheiden. Zweitens betreiben wir ein stark wachsendes B2B-Geschäft, in dem wir ISPs und Telcos mit unserer TV-Plattformtechnologie ausstatten, sowohl als White-Label-Lösung als auch zunehmend modular. Die dritte Säule ist unser Ads-Business, das massiv an Bedeutung gewinnt und eng mit den beiden anderen Bereichen verzahnt ist.
ADZINE: Was umfasst dieses Ads-Business konkret?
Nadler: Im Kern sind es drei Komponenten. Erstens Zattoo-spezifische Sonderwerbeformen wie Channel Switch Ads, die vor allem im Free-Bereich zum Einsatz kommen. Zweitens Dynamic Ad Substitution, bei der klassische Werbeblöcke im Stream digital ersetzt werden. Drittens unsere Ad-Technologie selbst: Wir stellen Partnern die technische Infrastruktur zur Verfügung, um in den Streams Werbung dynamisch auszuspielen. Damit ermöglichen wir auch Kunden mit eigener Vermarktung, unser Technologie-Setup zu nutzen.
ADZINE: Welche Reichweiten können Sie aktuell in Deutschland vorweisen?
Nadler: Nutzerzahlen geben wir nicht öffentlich bekannt. Allerdings erreichen wir im Ads-Bereich in Deutschland monatlich rund 2,4 Millionen Unique User und verzeichnen zwischen 70 und 90 Millionen vermarktbare Ad Requests. Der Konsum findet heute ganz klar auf dem Big Screen statt; der CTV-Anteil liegt bei rund 69 Prozent. Zattoo ist also längst im Wohnzimmer angekommen und damit nicht mehr nur – wie früher – ein Angebot für technologieaffine Early Adopter, die am Laptop schauen, sondern für die ganze Familie.
ADZINE: FAST-Channels boomen und sind auch bei Zattoo ein wichtiger Eckpfeiler. Nach welchen Kriterien wählen Sie neue Kanäle aus und wo setzen Sie hier eine Grenze?
Nadler: FAST-Channels sind für unsere Strategie tatsächlich enorm wichtig, und ehrlich gesagt hat mich die Dynamik selbst überrascht. Der Trend hält an, ein Ende ist derzeit nicht in Sicht. Wir sehen hier großes Potenzial, insbesondere für Themen, die eng an Branchen oder Zielgruppen unserer Werbepartner anschließen. Der Sender „Weihnachtskino“ hat bereits weit vor dem eigentlichen Peak viele Zuschauer:innen, und Unternehmen können dort gezielt ihre Weihnachtskampagnen platzieren. Gleichzeitig achten wir darauf, dass wir die Sender nicht zu granular aufstellen, sonst lassen sie sich nicht mehr über Werbung refinanzieren. Je einfacher und günstiger es wird, einen FAST-Kanal aufzubauen und ins Programm zu nehmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch für spezifischere Themen neue Sender entstehen werden.
ADZINE: Mit der Integration der ARD-Mediathek haben Sie zuletzt für Aufmerksamkeit gesorgt. Joyn war mit einer solchen Integration Anfang des Jahres gescheitert. Was bedeutet dieser Schritt für Sie?
Nadler: Die App-zu-App-Verlinkung mit der ARD ist etwas Neues und für Nutzer:innen komfortabel. Die Zusammenarbeit ist ausgesprochen konstruktiv, und die Nutzung bestätigt, dass sich öffentlich-rechtliche Inhalte sehr gut in eine Plattform wie unsere integrieren lassen. Für uns ist das ein gutes Beispiel, wie eine vertrauensvolle Kooperation im Streamingmarkt funktionieren kann.
ADZINE: Andere Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video oder Paramount investieren in eigene Formate. Wären Zattoo-Originals für Sie eine Option?
Nadler: Strategisch ist das durchaus ein spannendes Thema, aber aktuell nicht Teil unseres Angebots. Sollte sich das ändern, würden wir genau prüfen, mit welchen Partnern und in welchen Genres so etwas sinnvoll wäre.
ADZINE: Kommen wir zum Bereich Adtech. Welche Entwicklungen gab es hier in den letzten zwei, drei Jahren bei Ihnen?
Nadler: Wir arbeiten mit etablierten Ad-Servern zusammen und beobachten eine klare Verschiebung weg von reinen IO-Buchungen hin zu automatisierten, programmatischen Setups – häufig als Programmatic Guaranteed, da werbende Unternehmen Transparenz über ihre Platzierungen wünschen. Was wir besonders betonen möchten: Die Dynamic-Ad-Substitution-Technologie liegt komplett in unserer Hand, von der Marker-Erkennung bis zum serverseitigen Stitching. Wir kontrollieren den gesamten Prozess der Werbeintegration und steuern das Werbefenster eigenständig. Zuschauer:innen erleben den Stream exakt wie das lineare Programm, es gibt keine Verschiebung. Das ist ein USP gegenüber der Konkurrenz.
ADZINE: Wie unterscheiden sich Ihr klassisches Vermarktungsmodell und das neue Adtech-Delivery-Modell in Bezug auf Verantwortlichkeiten und Abrechnungslogik?
Nadler: Im klassischen Modell übernehmen wir die gesamte Wertschöpfungskette: von der Vermarktung unserer Inventare an Agenturen und Werbetreibende über die optimierte Kampagnenauslieferung nach definierten Zielen und KPIs bis hin zur technischen Platzierung in den jeweiligen Inventarkomponenten, Inhalten und bei Partnern. Das reine Adtech-Delivery-Modell haben wir erst in diesem Jahr gestartet. Die Abrechnung erfolgt dabei über einen technischen TKP auf Basis der verkauften Ad Impressions. Dadurch haben wir ein gemeinsames Interesse mit unseren Partnern. Wir arbeiten zusammen daran, das verfügbare und verkaufte Inventar weiter auszubauen.
ADZINE: Welche Rolle spielen interaktive Werbespots mit direkter Conversion-Steigerung für Sie und Ihre Werbekunden?
Nadler: Interaktive Elemente wie QR-Codes lassen sich unabhängig vom Endgerät sowohl in klassische TV-Spots als auch in Dynamic-Ad-Substitution-Spots integrieren. Die Branche steht hier allerdings noch am Anfang. Besonders spannend ist die Verbindung von Nutzer-Identifiers mit den einzelnen Phasen der Customer Journey, zum Beispiel über Data Clean Rooms. So können Kampagnen gezielt entlang der Customer Journey gesteuert werden, anstatt nur auf Hochrechnungen zu setzen. In diese Richtung wird sich das Marketing sicherlich entwickeln.
ADZINE: Über welche Targeting-Optionen verfügen Werbetreibende bei Ihnen?
Nadler: Wir bieten demografische Parameter wie Alter, Geschlecht, Sprache, Content-Kategorien und -Genres, Device- und Geo-Targeting. Zusätzlich nutzen wir kontextuelle Signale und eigens aufgebaute Audience-Segmente, von sportaffin bis genussorientiert. Ich erkenne, dass immer mehr Branchen Targeting für sich entdecken – selbst FMCG-Marken, die früher dachten, dass ohnehin jede:r ihren Joghurt oder Schokoriegel kauft. Heute erkennen sie: Ich kann gezielt meine Line Extensions an die passenden Zielgruppen bringen.
ADZINE: Wie stellen Sie sicher, dass Werbung im Stream angenehm wahrgenommen wird und nicht zu Reaktanz führt, etwa aufgrund zu häufiger oder langer Unterbrechungen?
Nadler: Bei klassischen Werbeblöcken überblenden wir immer so viel, wie wir Fläche haben – trennscharf. Die Werbeinseln werden dabei vom Sender vorgegeben, daher sind keine Anpassungen möglich. Grundsätzlich sollten Ermüdung oder ein Störgefühl beim Publikum vermieden werden. Um die Zuschauerakzeptanz zu erhöhen, sind bei On-Demand-Umfeldern in der Regel kürzere Werbebreaks von zwei bis drei Spots sinnvoll. Unsere Analysen zeigen genau, wann Zuschauer:innen aussteigen; darauf basierend lässt sich die optimale Werbelänge bestimmen. Ein weiterer zentraler Punkt ist Frequency Capping. Niemand möchte denselben Spot zigmal sehen.
ADZINE: Lässt sich dieses Frequency Capping auch kanalübergreifend umsetzen?
Nadler: Nur bedingt. Crossmediale Frequenzsteuerung funktioniert nur, wenn eine übergeordnete technologische oder agenturseitige Instanz die Daten zusammenführt. Wir steuern innerhalb unseres Universums, auch über Multiscreen-Kampagnen, und arbeiten mit dem Markt aktuell an gemeinsamen Standards. Data Clean Rooms werden dabei zunehmend wichtig, um kanalübergreifende Insights zu ermöglichen.
ADZINE: Welche KPIs weisen Sie Ihren Kund:innen aus?
Nadler: Wir nutzen klassische digitale Kennzahlen: Auslieferung, Klickraten, Sichtbarkeit, Zielgruppen- und Frequenzdaten sowie Brand-Safety-Score. Interessant ist, dass wir exakt sehen, ob Zuschauer:innen während eines Werbeblocks abspringen – entsprechend genau erfolgt die Abrechnung. Diese Trennschärfe macht CTV sehr transparent.
ADZINE: Künstliche Intelligenz ist bei der Kampagnensteuerung mittlerweile allgegenwärtig. Wie setzen Sie sie ein?
Nadler: KI ist fest in unserem Alltag angekommen. Ohne automatisierte Systeme ließe sich die große Menge an Daten und Buchungen auch gar nicht mehr verarbeiten. Der gesamte Buchungs-, Ausspielungs- und Auswertungsprozess wird durch uns und unsere Ad-Server-Partner stark KI-gesteuert und optimiert. Bei uns wird KI etwa für Media-Empfehlungen oder die regionale Aussteuerung genutzt. Entscheidend bleibt jedoch, zwischen Hype und echtem Mehrwert zu unterscheiden.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel ist Teil einer Interviewserie mit Verantwortlichen bei Streamingdiensten.
Bisher erschienen sind:
- Aktueller Überblick: Wie Streamingdienste ihr Werbegeschäft ausrichten
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