Attention ist kein Video-Monopol
Karsten Zunke, 2. Dezember 2025Interview mit Jan Gräwen, YOC
Im digitalen Werbemarkt geht es längst nicht mehr nur um Reichweite und Klicks, sondern um echte Wirkung. Das Adtech-Unternehmen YOC setzt mit auf garantierte Ergebnisse, von messbarer Aufmerksamkeit bis hin zu realen Ladenbesuchen. Wir haben mit Jan Gräwen, Chief Commercial Officer (CCO) von YOC, darüber gesprochen, wie datengetriebene Optimierung, KI-gestützte Aussteuerung und neue Messmethoden die Effizienz und Transparenz digitaler Kampagnen verändern – und warum Display-Werbung auch in Zeiten von KI und Fragmentierung ihren Platz als Branding-Kanal behauptet.
ADZINE: Das sogenannte Outcome-based Advertising gewinnt im digitalen Marketing zunehmend an Bedeutung. Was versteht ihr bei YOC konkret darunter?
Jan Gräwen: Der Werbemarkt steht unter Druck, jede Freigabe wird kundenseitig strenger geprüft. Outcome-based Advertising setzt deshalb nicht auf Reichweite und singuläre Metriken wie Impressions oder Klicks, sondern auf die garantierte Erreichung der für den Advertiser relevanten KPIs. Dazu zählen technische Kennzahlen wie Viewability, In-View-Time, Attention, Mindest-CTR oder VTR – ebenso aber marktforschungsbasierte KPIs wie Brand Uplift oder Store Visits. Im Kern geht es um verbindliche Commitments auf messbare Ergebnisse.
ADZINE: Welche Rolle spielt dabei die SSP-Seite und wie unterscheiden sich eure Ansätze von klassischen Kampagnenmodellen?
Jan: Wir steuern Kampagnen und Deals über unsere eigene SSP und nutzen darauf Machine-Learning für die laufende Optimierung. Der Unterschied zum klassischen Setup ist, dass wir – anstatt Optimierung nur auf DSP-Seite zu denken – unser eigenes Inventar inklusive konkreter Placements kontinuierlich analysieren. Auf SSP-Ebene sind wir näher an den Publisher-Seiten, wissen also sehr genau, welche Platzierungen welche KPI-Profile liefern und können die Budgets automatisiert dorthin lenken, wo die Wahrscheinlichkeit für das gewünschte Outcome am höchsten ist.
ADZINE: ...also ist eine datenbasierte Kampagnenoptimierung schon vor dem Kampagnenstart möglich?
Jan: Ja. Für technische KPIs lässt sich auf Basis historischer Placement-Daten bereits vor Start sagen, welche Umfelder etwa Viewability, CTR oder Attention besonders gut bedienen. Diese Pre-Optimization verkürzt die Lernphase deutlich und funktioniert schon bei kleinen Volumina.
ADZINE: Ein Ziel von Outcome-based Marketing ist es, Transparenz zu schaffen und Werbetreibenden messbare Ergebnisse an die Hand zu geben. Funktioniert das auch mit kleineren Budgets?
Jan: Unser Anspruch ist, garantierte KPIs grundsätzlich bei jeder Kampagne anzubieten. Technische Outcomes sind kosteneffizient skalierbar. Für Marktforschungs-KPIs senken wir die Eintrittsbarrieren, etwa über ein ID-basiertes Retargeting für Onsite-Befragungen. Statt teure Marktforschungsinstitute beauftragen zu müssen, erhalten Kunden auf diese Weise valide Brand-Indikatoren auch mit kleineren Budgets.
ADZINE: Auch ihr setzt KI auf eurer Plattform ein. Welche Aufgaben übernimmt sie und welche Auswirkungen hat das auf die Kampagnenaussteuerung?
Jan: Entsprechend unserem Machine Learning Approach nutzen wir KI zur fortlaufenden Optimierung unserer Kampagnen. Vor Kampagnen- oder Dealstart wird zunächst der Ziel-KPI definiert. Unsere Modelle optimieren anschließend automatisiert auf Mindestwerte beziehungsweise Thresholds. Parallel setzen wir Dynamic Creative Optimization ein: Creatives werden passend zum bestperformenden Placement variiert. Beispielsweise lassen sich aus einem Video optimierte Zuschnitte für unterschiedliche Umfelder generieren – etwa für eine Sticky-Sidebar-Platzierung auf Desktop. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Werbung entsprechend der Kunden-Guidelines ausgesteuert wird und optimal auf diesem Placement performt.
ADZINE: Welche zusätzlichen Messgrößen zieht ihr heran, um Kampagnenerfolge transparenter zu machen?
Jan: Ein wichtiger KPI ist hier die Brand Lift. Im Gegensatz zu vielen Walled Gardens messen wir die Brand-KPIs bewusst mit unabhängigen Partnern. Je nach Setup kommen Onsite-Befragungen, Panel-basierte Erhebungen bis hin zu Eye-Tracking-Studien zum Einsatz. Beliebt sind also Brand Lift und daraus abgeleitet der Cost per Lifted User sowie Standards wie Ad Recall, Brand Recall und Purchase Intent. Darüber hinaus spielen Store Visits eine wichtige Rolle. Für die Store Visits kombinieren wir Web- und App-Identifier: Web-IDs werden mit Mobile-Ad-IDs gematcht; die Lokalisierung erfolgt über GPS und teils WiFi – nicht über Bluetooth.
ADZINE: Was sind aus eurer Sicht entscheidenden Erfolgsfaktoren, damit digitale Werbung zu mehr Ladenbesuchen führen kann?
Jan: Für einen Kunden aus der Fashion-Branche haben wir kürzlich einen spannenden Case umgesetzt. Dabei haben sich zwei wesentliche Hebel für Ladenbesuche herauskristallisiert: Zum einen aufmerksamkeitsstarke Werbeformate und zum anderen eine hohe Dichte an Unique Usern im Einzugsgebiet der Filialen. Insbesondere in webbasierten Umfeldern erreichen wir sehr viele Unique User und können Drive-to-Store effizient skalieren. Methodisch arbeiten wir mit einer Nullmessung am PoS und vergleichen die Device-Sichtungen vor und nach Kampagnenkontakt. Steigende PoS-Zahlen von Devices mit Kampagnenkontakt belegen den Uplift eindeutig.
ADZINE: ...aber ist mittlerweile nicht die Aufmerksamkeit der Schlüssel zu allem?
Jan: Durchaus. Die Aufmerksamkeit von Nutzern hat stark an Bedeutung gewonnen, insbesondere angesichts der Vielzahl von Werbebotschaften auf einer Webseite. Attention ist auch deshalb wichtig, weil eine hohe Viewability allein noch keine Marke im Kopf verankert. Attention ergänzt Viewability und In-View-Time um Faktoren wie den sichtbaren Flächenanteil des Werbemittels im relevanten Screenbereich sowie um Interaktionen. Vor allem Interaktionen – Scroll, Swipe, Touch – korrelieren stark mit Aufmerksamkeit. In Kampagnen für unsere Kunden hat sich gezeigt, dass vor allem hochwertige, interaktive Formate diese Effekte auslösen – bestätigt wurde das übrigens über Eye-Tracking anhand der erzielten „Attentive Seconds“.
ADZINE: Welche Entwicklungen seht ihr aktuell im Markt rund um Attention – sowohl technisch als auch strategisch?
Jan: Technisch wird die Messung reifer. Neben Time-in-View fließen Interaktion und sichtbarer Flächenanteil stärker in die Modelle ein. Strategisch verschiebt sich der Fokus von Auslieferungs- zu Wirkungsmetriken. Vor allem das Thema Interaction wird noch stark unterschätzt. Über die Marktforschung und Eyetracking sehen wir immer wieder, dass Scrollen, Wischen und sonstige Interaktionen zu einem sehr starken Anstieg in der Attention führen. Wenn User mit Marken interagieren, schießen die Aufmerksamkeitswerte regelrecht in die Höhe. Doch ein blinder Fleck bleibt: High-Impact- und Rich-Media-Formate sind in den Standard-Messungen großer Tracking-Anbieter oft unterrepräsentiert – obwohl sie Attention überproportional treiben.
ADZINE: In vielen Kunden-Kampagnen habt ihr explizit auf die Attention-Werte geachtet. Was lässt sich aus euren Beobachtungen für andere Marken ableiten?
Jan: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass Attention kein Video-Monopol ist. Display kann – richtig konzipiert – ähnliche Attention-Niveaus wie ein 15-Sekünder im TV erreichen und Standard-Display oder einzelne Plattformen deutlich outperformen, das konnten wir mit Eyetracking eindeutig belegen. Marken sollten die automatische Gleichung “Branding gleich Video” hinterfragen und Display als eigenständigen Branding-Hebel mitdenken – insbesondere mit interaktiven, hochwertigen Umsetzungen.
ADZINE: Aber der Traffic auf vielen Websites ist durch KI-Übersichten in den vergangenen Monaten eingebrochen. Wie schätzt ihr die Zukunft von Display-Werbung ein, insbesondere für Branding-Ziele?
Jan: Brand Building bleibt zentral. Menschen steuern weiterhin bewusst ihre Lieblings-News-Seiten und -Apps an. Das Problem im Open Web ist weniger die Reichweite als vielmehr standardisierte Adressierbarkeit und die Sicherung konsistenter Leistungswerte gegenüber Walled Gardens. Für Brand-KPIs ist das Open Web heute sehr gut aufgestellt – mit unabhängiger Messung und hoher Transparenz. Kritisch sind pauschale Block Lists von Newsumfeldern im Namen von Brand Safety zu sehen; gefragt sind aus meiner Sicht granularere, kontextsensiblere Lösungen.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch, Jan!