Wirkung von Videowerbung im Cross-Screen-Zeitalter verstehen und messen
Anton Priebe, 5. November 2025Wir konsumieren Inhalte heutzutage kanalübergreifend über viele verschiedene Geräte, Plattformen und Sender. Werbetreibende stehen vor der Herausforderung, wie sich diese fragmentierte Aufmerksamkeit für ihre Spots überhaupt noch messen und vergleichen lässt. Während Videowerbung früher anhand einfacher Leistungswerte wie TKP oder Reichweite beurteilt wurde, versucht die Werbeindustrie heute die “echte” Wirkung von Bewegtbild in den Mittelpunkt zu rücken. Sechs Expertinnen und Experten aus der Forschung, Werbetechnologie und Agenturlandschaft zeigen im Vorfeld der ADZINE CONNECT VIDEO auf, welche Faktoren Bewegtbild stark machen und wie Cross-Media-Messungen Schritt für Schritt realer werden.
Fortschritte in der Cross-Screen-Messung
„Die Mediennutzung hat sich stark verändert: Menschen wechseln heute im Minutentakt zwischen Plattformen, Geräten und Formaten“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf von der AGF Videoforschung. Ihr Job ist es, diese fragmentierte Nutzung “Cross-Screen” zusammenzuführen. Darunter versteht die AGF die „device-übergreifende Messung von Bewegtbildnutzung – also über TV, Smartphone, Tablet, Laptop oder Desktop-PC hinweg“. Gemeinsam mit Nielsen arbeitet der Senderzusammenschluss seit den 2010er Jahren an einem hybriden Messansatz. Die AGF hat ihren TV-Standard vergangenes Jahr zu einem umfassenden Bewegtbildstandard weiterentwickelt. Damit werden TV- und Streamingangebote der teilnehmenden Anbieter bildschirmübergreifend erfasst und sukzessive in den Ausweis integriert.
Sedat Polat vom Measurement-Spezialisten Audienceproject, sieht ebenfalls erhebliche Fortschritte in der Bewegtbildmessung. „Wo früher bloß isolierte Post-Campaign-Berichte zur Verfügung standen, sind heute ganzheitliche, automatisierte Echtzeitmessungen möglich.“ Solche Systeme ermöglichen es Werbetreibenden, „schon während der Laufzeit der Kampagne Einblicke in die deduplizierte Nettoreichweite und Kontakthäufigkeit zu gewinnen – und das zu einem Bruchteil der Kosten“. Diese Entwicklung sei vor allem auch technologisch getrieben. „Fortschrittliche Technologien von Deep Learning bis Synthetic Populations und sehr viel größere Panels als früher“ ermöglichen eine deutlich präzisere Abdeckung der Kanal- und Gerätevielfalt, meint der Experte.
Wirkungstreiber im Bewegtbild
Doch was sollten Werbetreibende überhaupt messen? Was treibt die Wirkung von Videokampagnen an? Für Melissa Mergelsberg von der Agenturgruppe Pilot kommt es vorrangig auf „das optimale Zusammenspiel aus Reichweite und Kontaktdosis“ an. Beides müsse individuell auf Kampagnenziel und Zielgruppe abgestimmt werden. „Außerdem braucht es eine konsistente, kreative Erzählweise über alle Kanäle hinweg – nicht jeder Kanal braucht eine eigene Botschaft, sondern eine kanaladäquate Umsetzung der zentralen Story“, erklärt die Spezialistin.
Mergelsberg pocht darauf, dass der Kontext dabei eine entscheidende Rolle spielt. Crossmediale Planungen, die es schaffen, „den Kontext und Content intelligent zu verknüpfen, steigern die Relevanz und Wirkung messbar“. Entscheidend sei am Ende „die stringente Orchestrierung aller Bewegtbildkanäle entlang der Ziel-KPIs“.
Ihre Branchenkollegin Ellinor Klier vom Agenturnetzwerk Havas nennt hingegen die Adressierbarkeit als primären Wirkungshebel. „Es ist meines Erachtens zwingend notwendig, neben Audience-Segmenten auch Daten-Signale für Bewegtbildkampagnen zu nutzen.“ Reines Umfeld- oder Genre-Targeting reiche nicht aus. Ohne die entsprechende Reichweite lasse sich der Impact zudem kaum messen. Doch auch sie unterstreicht: „Selbst die perfekte technische Ausspielung bleibt wirkungslos ohne die Creative Excellence. Der Content ist der Katalysator und treibt den echten Werbeimpact.“
Aus der Perspektive empirischer Wirkungsforschung ergänzt Jasper Sasse vom Analytics- und Attributionsexperten XAD Spoteffects: „Wenn wir Engagement in Form eines Besuchs der Webseite oder App als Wirkung betrachten, zeichnen sich neben der Gestaltung des Werbemittels vor allem zwei Faktoren ab: der richtige Zeitpunkt und die Aufmerksamkeit des Zuschauers.“ So sei in der Nachschiene beispielsweise bei keinem Kunden eine gute Performance zu beobachten. Hingegen zeige sich etwa, dass Werbeblöcke in On-Demand-Umfeldern mit knappen, transparenten Unterbrechungen besser performen als lange lineare TV-Blöcke. „Spots in kurzen VOD-CTV-Werbeblöcken, wo meist nur drei bis vier Spots gezeigt werden, aktivieren die Zuschauer viel stärker.“
Unterschiedliche Kanäle, unterschiedliche Wirkungslogiken
Nicht jedes Format wirkt gleich – das zeigt sich im Vergleich zwischen TV, CTV, Online-Video und Social Media deutlich. „Während TV und CTV durch planbare Umfelder, längere Spotlängen und hohe Aufmerksamkeit überzeugen, erfordern Social- und Online-Video-Umfelder kürzere, stärker aktivierende Creatives“, sagt Mergelsberg. Sie betont, dass die „unterschiedlichen Kontaktqualitäten und Werbewirkungspotenziale zwingend für jede einzelne Platzierung berücksichtigt werden“ müssen.
Jasper Sasse bestätigt ihren Ansatz. „Werbung, die den gesamten Bildschirm einnimmt, wirkt deutlich besser als Werbung, neben der noch andere Inhalte angezeigt werden.“ In Social- oder Outstream-Umfeldern konkurriere die Aufmerksamkeit mit anderen visuellen Reizen, was die Wirkung schwäche. „Hinzu kommt die Nutzungssituation“, so Sasse weiter. „Wer kurzformatige Online- oder Social-Video-Inhalte konsumiert, reagiert ungeduldiger auf Werbung, da er mental bereits darauf eingestellt ist, Werbung zu überspringen, um zum nächsten Inhalt zu gelangen.“
Datenmodelle, Panels und die Frage der Vergleichbarkeit
Die verlässliche Messung der Wirkungs-Fragmente erfordert die Verbindung verschiedener Datenquellen. „Da eine Vollerhebung aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen keine Option ist, benötigt man immer irgendeine Art von Datenmodell“, erläutert Sedat Polat. Damit sollen Messdaten aus unterschiedlichen Kanälen mit Modelldaten aus Panels verknüpft werden, um „eine möglichst gute, also robuste, valide, konsistente und reliable Schätzung der Wahrheit“ zu erhalten. Es läuft darauf hinaus, Modelle zu finden, „die bei aller Unterschiedlichkeit der zu messenden Kanäle und Plattformen vergleichbare Ergebnisse liefern“.
Kerstin Niederauer-Kopf unterstreicht diesen Gedanken. Panels seien die „Source of Truth“, vorausgesetzt, sie sind repräsentativ. Erst die Kombination aus Panel- und Zensusdaten ermögliche es, „Nutzungen sauber zuzuordnen, Reichweiten übergreifend zu vergleichen und Überschneidungen sowie Zusatzreichweiten valide abzubilden“. Nur diese Zusammenführung schaffe eine valide Grundlage für präzise Datenmodelle und eine zielgerichtete Attribution.
Offene Baustellen
Trotz aller Fortschritte bleibt die Cross-Screen-Messung ein Feld mit vielen offenen Fragen. „Fragmentierung und fehlende Standardisierung verhindern die holistische Inventar-Abdeckung zur Reichweiten-Messung und für eine konsistente Planung“, meint Katharina Pech von der inhabergeführten Mediaagentur Media Plan. Zwar gebe es durch AGF und AGMA immer mehr Transparenz, „aber wir sind natürlich noch nicht am Ziel angekommen“.
Ellinor Klier sieht in der bereits genannten Fragmentierung ebenfalls die zentrale Hürde und bringt das Thema Identity ins Spiel. „Die größte Herausforderung liegt in der Fragmentierung der Inventare und der Identitätslösungen. Da wir noch ständig zwischen gerätespezifischen IDs wechseln, bleibt die gemessene Reichweite meist eine Schätzung.“ Inkrementalitätsmethoden seien aktuell der beste Ansatz, um zusätzliche Reichweiten valide abzubilden.
Pech fordert, dass qualitative Faktoren wie „Sichtbarkeit, Hörbarkeit und die Dauer dessen“ stärker in die Vergleichsbasis einfließen müssen. „Eine ausschließliche Berücksichtigung von Effizienzkennzahlen wie TKP führt zu gänzlich fehlgeleiteten Bewegtbildstrategien“, warnt sie. Wirkungsanalysen müssten vielmehr Aspekte wie Creative, Kontext und Targeting berücksichtigen.
Auf dem Weg zu mehr Harmonisierung
Die Profis sind sich einig, dass der Weg hin zu einer wirklich vergleichbaren Bewegtbildmessung noch nicht zu Ende gegangen ist. Gleichzeitig wächst der Druck, Transparenz und Einheitlichkeit zu schaffen. Ellinor Klier erwartet, dass die Zusammenführung von linearem TV und digitalem Bewegtbild „unter einem Dach“ die Vergleichbarkeit und Optimierung künftig deutlich erleichtern wird. Als aktuelles Beispiel nennt sie RTL+ und Joyn. “Dieser TKP-Modell-Shift im linearen TV ist ein alternativloser Schritt zur Harmonisierung der Bewegtbildmessung”, sagt die Fachfrau.
Sedat Polat sieht den Schlüssel in der technologischen Weiterentwicklung. Je größer und genauer die Panels, desto präziser die Modelle, lautet seine Devise. Kerstin Niederauer-Kopf verweist erneut auf die wachsende Akzeptanz gemeinsamer Standards, auch durch die Integration großer Plattformen in Messsysteme.
Letztlich entsteht die Wirkung von Bewegtbild heute im Zusammenspiel aus Kreativität, Kontext, Kontaktqualität und Datenintelligenz. Sie wird messbar, wenn Technologie, Forschung und Werbemarkt Hand in Hand in Hand gehen.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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