Video-Monetarisierung: Zwischen Datenmacht und Vertrauenskapital
Anton Priebe, 12. November 2025Neben den klassischen Broadcastern mischt heute eine Vielzahl neuer Streaming-Anbieter im Bewegtbildgeschäft mit. Die großen Tech-Konzerne, die längst selbst zu Broadcastern geworden sind, dringen ebenfalls mit Daten, Automatisierung und globaler Skalierung tief in das traditionelle TV-Werbegeschäft vor. KI und datengetriebene Optimierung gelten hier als neue Umsatzmotoren. Für klassische und neue Broadcaster stellt sich dabei die gleiche Frage: Wie lassen sich die Geschäftsmodelle im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Werbebudgets neu ausrichten? Im Vorfeld der ADZINE CONNECT VIDEO haben wir genau diese Frage weitergereicht und zeigen anhand von fünf Branchenstimmen, wie alte und neue Player ihre Monetarisierung angehen und welche Technologien die Zukunft bestimmen.
Broadcaster punkten mit Vertrauen und Datenlogik
In der Videowerbeindustrie treffen gelernte, klassische Vermarktungsstrukturen aus dem TV auf innovative Plattform-Ansätze. Dies ist letztlich auch den Nutzungsgewohnheiten der Konsumenten und Konsumentinnen geschuldet. Denn die Zuschauer:innen erwarten heute sowohl lineare Inhalte in einem laufenden Programm als auch personalisierte Streaming-Angebote auf vielen verschiedenen Geräten. Diese Fragmentierung im Konsum zwingt alle Anbieter, ihre Monetarisierung stetig neu zu denken. Für Arne Steinmetz von der Ad Alliance steht fest: „Monetarisierung entsteht heute an der Schnittstelle von Technologie, Daten und Content.“ Entscheidend sei, diese Dimensionen intelligent miteinander zu verknüpfen.
Als zentrale Treiber für die Monetarisierung der Broadcaster nennt Steinmetz gleich einen Strauß an Technologien: Addressable TV, Connected TV (CTV), automatisierte Buchungslogiken und Privacy-konforme Datenräume. Über Identifier-Lösungen wie NetID oder Utiq und neue Datenpartnerschaften im Commerce-Media-Bereich verknüpfe man bei der Vermarktungseinheit von RTL Deutschland Zielgruppen- und Kontextsignale entlang der Customer Journey. „Mit Data-Clean-Rooms und KI-gestützter Aussteuerung machen wir Technologie zum Enabler für Relevanz und Vertrauen – und entwickeln klassische TKP-Modelle konsequent weiter in Richtung datenbasierter Wirkungsmessung”, erläutert der Datenexperte.
Broadcaster arbeiten daran, ihre traditionellen Stärken in die Waagschale zu werfen und sie gleichzeitig in datengetriebene Modelle zu übersetzen. „Im Unterschied zu Big Tech bieten wir markensichere Umfelder, Transparenz und europäische Datenschutzstandards. Wir monetarisieren Vertrauen und Kontext – das ist unser Gegenentwurf zur Plattformökonomie“, erklärt Steinmetz. Neben der Werbevermarktung gewännen auch Subscriptions an Bedeutung. „Entscheidend ist die intelligente Verzahnung beider Modelle“. Monetarisierung sei kein reines Reichweitenmodell mehr, „sondern Wertschöpfung durch Wirkung”, so der Fachmann.
Programmatic und digitale Sammlerstücke bei den Streaming-Plattformen
Die technologischen Zugpferde sind aufseiten der Streamingplattformen ähnlich. Wobei Gregor Fellner von Rakuten TV insbesondere die Rolle von Programmatic betont: „Die Monetarisierung wird maßgeblich durch die sich weiterentwickelnde programmatische Werbung geprägt.“ Fortschritte wie Hyper-Personalisierung durch Künstliche Intelligenz und Machine Learning, Dynamic Ad Insertion 2.0 und interaktive beziehungsweise Shoppable Ad Spots würden das Nutzererlebnis weiter verändern. Die Aufgabe der KI sieht Fellner darin, relevante, kontextuelle Anzeigen in Echtzeit“ zu platzieren.
Zudem spiele die Innovation bei Messung und Attribution eine zentrale Rolle, um plattformübergreifende Einblicke in Zielgruppen und Pricing zu gewinnen. Für die Zukunft sieht Gregor Fellner neben den wichtigsten Erlösmodellen AVOD – Inhalte auf Abruf mit Werbeunterbrechungen – und FAST – lineares Programm mit Werbeunterbrechungen – neue Modelle am Horizont: „NFTs und digitale Sammlerstücke für exklusive Fan-Erlebnisse und Content-Zugang“ oder „Token-Gated Content“ könnten zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Hier ließen sich Loyalitätsprogramme aus dem Commerce-Umfeld in die Video-Monetarisierung integrieren.
Damit werden Streaming-Plattformen zu hybriden Ökosystemen, in denen Inhalte, Commerce und Technologie zunehmend miteinander verschmelzen. Dies folgt einem Muster, das Big Tech bereits vorgezeichnet hat.
Commerce, Content und Werbung vereint auf den Megaplattformen
Amazon verbindet Daten, KI und Automatisierung, um Video-Werbung auf dem Big Screen neu zu denken, erklärt Nils Gräf: „Bei Amazon Ads helfen wir Marken dabei, Amazons Milliarden von Such-, Einkaufs- und Entertainment-Signalen zusammen mit unserer KI-gestützten Werbetechnologie zu nutzen, um die Planung, das Aufsetzen und die Steuerung ihrer Prime Video-Werbekampagnen zu automatisieren – alles über ein Werkzeug: die Amazon DSP.“ Eine zentrale Innovation sei das sogenannte Audience Based Creative. „Diese Technologie ermöglicht es Marken, mehrere Creatives an verschiedene Audience-Segmente zu liefern – und zwar im selben gebuchten Werbeplatz“, so der Amazon-Manager. Damit könnten Werbetreibende gleichzeitig unterschiedliche Zielgruppen ansprechen.
Mit der größten Handelsplattform auf der Welt im Rücken liegt es auf der Hand, dass die Verknüpfung des Commerce-Komos mit der (C)TV-Werbung in den Fokus rückt. „Wir bieten interaktive Videoanzeigen an, die es dem Publikum ermöglichen, über ihre Fernbedienung mit Marken zu interagieren“, erläutert Nils Gräf. Zuschauer könnten Produkte in den Warenkorb legen oder Informationen anfordern, „ohne dabei ihr Seherlebnis zu unterbrechen“. Remarketing-Funktionen über andere Amazon-Touchpoints wie Alexa, Fire TV oder Display-Anzeigen sorgten für eine Fortsetzung des Dialogs. „Diese Innovationen sind besonders effektiv bei den Zuschauern auf Prime Video”, weiß Gräf.
Youtube soll den Big Screen erobern
Doch es schielen noch andere Mitglieder des Big-Tech-Clubs auf das TV-Gerät, wie Karsten Müller von Google bestätigt. Der Wachstumstreiber der Videosparte liege in der Nutzung von Youtube auf dem Big Screen. Damit ist das Wohnzimmergerät der am schnellsten wachsende Bildschirm für die Plattform. „Wir investieren massiv in Technologie und unsere Plattform, um das Nutzungserlebnis auf diesem Bildschirm ständig zu verbessern und damit unsere Partner zu monetarisieren“, sagt Müller. KI-gestützte Funktionen wie das automatische Upscaling von SD auf HD oder künftig 4K und immersive Vorschauen auf der Startseite sollen die Nutzerbindung und Monetarisierung stärken. Neue Formate unterstützen die Medienhäuser und Creator dabei, “echtes TV-Erlebnis” auf Youtube zu bieten.
Wie Amazon hat auch Google die entsprechende Werbetechnologie in der Hinterhand. So verändern Daten, Automatisierung und KI die Effizienz beim Ein- und Verkauf von Video-Inventar grundlegend, erklärt Müller: „Unsere AI Campaigns bilden die Speerspitze dieser Entwicklung, da sie automatisch den optimalen Weg finden, den passenden Kontakt zu erreichen”. Googles Kampagnenportfolio bediene den gesamten Funnel, „von Brand Building bis hin zu Sales“. Die Datenqualität ermögliche es, „detailliert zu analysieren, wer was wann wie gesehen hat“. Über die eigene DSP, DV360, würden zudem Inventare über Youtube hinaus gebündelt, was die kanalübergreifende Aussteuerung ermögliche. KI helfe dabei, Zielgruppen automatisiert zu identifizieren, Platzierungen zu optimieren und in Echtzeit auf Kampagnenperformance zu reagieren. „Angesichts der riesigen Fragmentierung der Medienwelt wird die steigende Komplexität mittels KI beherrschbar“, glaubt der Google-Experte.
Sell-Side Decisioning und Standards
Neben den Amazons und Googles dieser Welt bieten auch unabhängige Adtech-Unternehmen eine technologische Infrastruktur, um auf den großen Bildschirm zu gelangen. Einer dieser Player ist Index Exchange. Steffen Hopf von der kanadischen Supply-Side-Plattform sieht die Monetarisierung von Video-Inhalten derzeit vor allem durch das sogenannte Sell-Side Decisioning getrieben. Das betrifft sowohl die traditionellen Broadcaster als auch die Streaming-Anbieter. „Im Kontext von Streaming-TV hilft es, Fragmentierung zu überwinden, indem Intelligenz auf ein breiteres Inventar angewendet wird“, erklärt der Adtech-Fachmann. So könnten SSPs Zuschauer-Insights und Käuferpräferenzen nutzen, um ihr Angebot in Echtzeit zu optimieren und dabei wertvolle Signale wie granulare, sendungsspezifische Daten zu verwenden, „ohne die Privatsphäre zu gefährden“.
Für Hopf liegt die Stärke dieser Entwicklung darin, „eine qualitativ hochwertige Auktion zu schaffen, die das Zuschauererlebnis mit Monetarisierungspotenzial in Einklang bringt“. Da ein Großteil der Entscheidungslogik auf der Angebotsseite ausgeführt werde, “gewinnen Käufer bessere Kontrolle über Pacing, Frequenz und geräteübergreifende Koordination – was insbesondere in Streaming-Umgebungen wichtig ist, in denen Nutzerdaten oft isoliert sind.” Standards wie Open RTB 2.6, die Global Placement ID (GPID) und der Placement Type (PLCMT) legen dabei den Grundstein für einen transparenteren Markt, so Hopf. Open RTB 2.6 ermögliche intelligenteres Ad-Podding und reduziere Werbewiederholungen, während GPID Werbeplatzierungen eindeutig identifiziere und PLCMT Media-Einkäufern mehr Kontext über den Einsatzort einer Anzeige biete. Diese Standards zeigen auch, dass das Adtech-Ökosystem Schritt hält. Wer die vorhandenen technologischen Infrastrukturen intelligent nutzt, kann seine Monetarisierung effizienter gestalten, gleichzeitig aber das Erlebnis bieten, das ein Streaming-Publikum heute erwartet.
Verschiedene Ansätze, ein Ziel
Broadcaster und Plattformen vereint das Ziel, Werbeerträge zu maximieren, ohne das Vertrauen der Zuschauenden zu verspielen. Die Wege dahin unterscheiden sich technologisch nicht so deutlich, wie man eingangs annehmen würde, denn die technische Intelligenz bringen beide mit. Doch agieren die Plattformen in einer datenreichen Echtzeitumgebung, in der KI, Automatisierung und globale Skalierung den Ausschlag geben. Broadcaster hingegen rücken markensichere Umfelder, Transparenz und Datenschutz in den Vordergrund. Die Zukunft der Video-Monetarisierung wird davon abhängen, wie gut es gelingt, Datenmacht und Vertrauenskapital miteinander zu verheiraten.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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