Von UKW bis DSP: Brückenbauen für Programmatic Radio
Anton Priebe, 6. Oktober 2025Interview mit Elmar Stein, RMS

Programmatic Radio ist längst kein Pilotprojekt mehr. Klassische Sender sind über Schnittstellen und standardisierte Prozesse in das programmatische Ökosystem eingebunden. Diese Integration von linearem Audio in digitale Buchungsstrukturen macht Radio anschlussfähig und somit zunehmend zum Teil datenbasierter Planung. Im Interview erklärt Elmar Stein, Head of Programmatic beim Audiovermarkter RMS, welche technischen Schnittstellen und Standards diese Entwicklung ermöglichen und welche Chancen sich daraus für Werbetreibende ergeben.

ADZINE: Elmar, es gibt in Deutschland gleich mehrere Tech-Anbieter, die den klassischen Radiomarkt beackern und derzeit das Thema Programmatic vorantreiben. Dazu zählt auch ihr als Vermarkter. Warum gerade jetzt? Wieso erlebt Audio, und insbesondere Radio, gerade ein Momentum?
Elmar Stein: Der Werbemarkt verlangt zunehmend nach Omnichannel-Strategien mit einheitlichen KPIs, datenbasiertem Targeting und maximaler Flexibilität. Audio und speziell UKW/DAB-Radio liefert seit jeher enorme Reichweiten und starke Markenbindung, war aber bisher nur eingeschränkt digital plan- und buchbar. Mit der Reife von Programmatic-Infrastrukturen und Gateways ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, lineares Inventar in diese Welt einzubinden. Das Momentum entsteht also aus der Kombination von technologischer Machbarkeit und Marktnachfrage nach integriertem, automatisiertem Einkauf.
ADZINE: Haben die großen Demand-Side- und Supply-Side-Plattformen verstanden, dass Audio mit in die Omnichannel-Werbewelt integriert werden muss? Oder reden wir bei dem Adtech-Angebot über spezialisierte Anbieter, die rein mit Audio-Inventar handeln?
Stein: Einige Plattformen wie Active Agent oder Splicky sind bereits direkt angeschlossen, andere Anbieter wie The Trade Desk oder Google DV360 haben das Potenzial von Audio erkannt, konzentrieren sich bislang aber stärker auf Streaming-Umfelder. Für lineares Radio braucht es weiterhin spezialisierte Integratoren, die das Inventar zugänglich machen. RMS arbeitet eng mit diesen Partnern zusammen und treibt aktiv die Standardisierung voran, um Radio nahtlos in die bekannten Omnichannel-Tools zu bringen – ohne dass Advertiser oder Agenturen neue Systeme erlernen müssen.
ADZINE: Wie positioniert ihr euch selbst technologisch und welche Rolle spielt RMS im Programmatic-Ökosystem?
Stein: RMS versteht sich als Brückenbauer zwischen klassischem Radioinventar und der programmatischen Infrastruktur. Wir stellen sicher, dass UKW- und DAB-Sender über Schnittstellen und Gateways in DSP/SSP-Prozesse integriert werden. RMS betreibt dafür eigene Lösungen, kooperiert mit Technologiepartnern und entwickelt Standards, sodass Radiowerbung mit den gleichen KPIs und Workflows buchbar ist wie DOOH oder Display. Wir nehmen dabei die Rolle als Aggregator, Standardisierer und Qualitätsgarant im Programmatic-Ökosystem ein.
ADZINE: Der Audiomarkt ist hochpolitisch – alte und neue Welt sowie die damit verbundenen Vermarktungsvorstellungen prallen aufeinander. Traditionelle Radiosender sind nicht immer von der bevorstehenden Transformation begeistert, habe ich mir sagen lassen. Sie fürchten sich unter anderem vor einem Verlust von Kontrolle und Preishoheit. Wie begegnet ihr diesen Vorbehalten und wie überzeugt ihr Sender von Programmatic?
Stein: Wir setzen auf Transparenz, Fairness und enge Zusammenarbeit. Die Preismodelle und Buchungslogiken werden gemeinsam mit Sendern definiert, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu sichern. Wir zeigen, dass Programmatic kein Preisdumping-Tool, sondern ein Effizienztreiber ist und unterstreichen den strategischen Vorteil: Programmatic Radio öffnet Türen zu digitalen Budgets, die klassisch gar nicht ins Radiomedium geflossen wären. Durch diese kooperative Herangehensweise haben wir Vertrauen geschaffen und werden immer mehr Sender einbinden.
ADZINE: ...seid ihr damit erfolgreich? Anders gefragt: Welche Reichweite können Advertiser heute realistisch mit Programmatic Radio in Deutschland erzielen?
Stein: Programmatic Radio erreicht in Deutschland bereits heute ein Publikum in zweistelliger Millionenhöhe pro Woche und ist damit mehr als nur ein Pilotprojekt. Ein wachsender Teil der UKW- und DAB-Sender ist in die programmatische Infrastruktur integriert, sodass nationale Kampagnen mit relevanter Größe möglich sind. Durch die Kombination von linearem Inventar mit Streaming- und Podcast-Platzierungen können Werbetreibende ihre Reichweite zusätzlich steigern und alle Audioformate aus einer DSP heraus buchen. Zwar ist noch nicht jedes Programm vollständig angebunden, doch die Abdeckung wächst kontinuierlich und wird in den kommenden Monaten weiter ausgebaut. Für Advertiser bedeutet das: Sie können heute bereits reichweitenstarke, flexible Kampagnen umsetzen und profitieren gleichzeitig von den Targeting- und Automatisierungsvorteilen programmatischer Buchung.
ADZINE: Welche besonderen Stärken hat Programmatic Radio im Mediamix – und wo liegen die Grenzen im Vergleich zu anderen Kanälen?
Stein: Programmatic Radio verbindet die Massenreichweite klassischer UKW- und DAB-Sender mit datengetriebenem Targeting und bietet so eine hohe Werbewirkung bei gleichzeitig sicherem Umfeld für Marken. Es erlaubt flexible Kampagnensteuerung, schnelle Anpassungen, Frequency Capping und datenbasierte Optimierung. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Grenzen: Anders als im Display-Bereich ist kein 1:1-Usertracking möglich, kreative Inhalte müssen speziell für Audio gestaltet werden, da visuelle Unterstützung fehlt, und noch nicht alle Sender sind vollständig in die programmatische Infrastruktur integriert.
ADZINE: Wie misst man den Erfolg von programmatischen Radio-Kampagnen? Welche Attributionsmodelle sind hier sinnvoll?
Stein: Der Erfolg programmatischer Radiokampagnen wird über dieselben KPIs gemessen, die auch in anderen digitalen Kanälen üblich sind: Reichweite, Frequenz, Kontaktklassen und Ausspielungsqualität. Ergänzend kommen Brand-Lift-Studien und Recall-Befragungen zum Einsatz, um die Werbewirkung der Audiokampagne nachzuweisen. Für Performance-orientierte Kampagnen nutzen wir Cross-Device- Attribution, Geofencing oder modellbasierte Incrementality-Analysen, um den Beitrag von Radio im Mediamix sichtbar zu machen. So lassen sich Radiokontakte mit Online-Conversions oder stationären Besuchen in Beziehung setzen, ohne auf personenbezogenes Tracking angewiesen zu sein.
ADZINE: Wie wird sich der Markt für Programmatic Radio im kommenden Jahr weiterentwickeln? Wo steckt noch Innovation? Wo werden wir Konsolidierung sehen?
Stein: Wir erwarten, dass Programmatic Radio in Deutschland deutlich skaliert: Immer mehr UKW- und DAB-Sender werden integriert, sodass nahezu flächendeckende Reichweite möglich wird. Gleichzeitig verbessern sich Targeting-Optionen und Automatisierungsprozesse, etwa durch KI-gestützte Ausspielungen oder dynamische Spotrotationen. Auf der Angebotsseite wird es zu einer Konsolidierung kommen, bei der sich spezialisierte Tech-Anbieter enger mit großen DSPs und SSPs verzahnen. Programmatic Radio wird so von einem Innovationsthema zu einem festen Bestandteil der Omnichannel-Planung heranwachsen.
ADZINE: Danke für das Interview, Elmar!
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