Warum das Open Web mehr marktweite Allianzen braucht
Anton Priebe, 19. September 2025Online Ad Summit 2025

Zunächst die gute Nachricht: Trotz starker wirtschaftlicher Unsicherheit wächst der Werbemarkt weiter. Die Mehrheit der Marketer will im zweiten Halbjahr sogar noch mehr in Werbung investieren. Die schlechte Nachricht: In solchen Zeiten muss jeder Werbeeuro mehr leisten – und auf der Suche nach Media, die harte Kennzahlen zurückspielen kann, landen viele der Werbetreibenden bei den großen Plattformen. Social, Search und Retail (hier allen voran Amazon) dominieren schon lange den Werbemarkt und der aktuelle Trend spielt Big Tech weiterhin in die Karten. Der „Content-Media-Markt“, der traditionelle Publisher im Open Web umfasst, stagniert und nimmt perspektivisch sogar ab.
Wie lässt sich dagegen ansteuern? Diese Frage stand im Zentrum des diesjährigen Online Ad Summit am Vorabend der Dmexco in der Wolkenburg. Eine erste Antwort liefert die Konferenz mit ihrem Motto: “Collaborate to Scale”. In diesem Zuge betont Daniel Knapp, Chefökonom des IAB Europe, im Eröffnungsvortrag die Bedeutung von Partnerschaften für das Open Web. Brückenbauen sei heute noch wichtiger als ohnehin schon, hatte er dies doch bereits im Vorjahr propagiert. Publisher müssten Kooperationen eingehen und aus diesen Partnerschaften heraus neue Mediaprodukte entwickeln, meint der Experte. Im Gegensatz zu den Plattformen könnten sie für ihr Umfeld vor allem ihre Markensicherheit und Vertrauenswürdigkeit ins Feld führen.
Vereinfachung als Schlüssel, aber ohne Einheitsbrei
Vereinfachung ist ein weiterer Punkt, der als Hilfsmittel auf der Agenda auftaucht. Wie genau das Werben im Open Web einfacher werden soll, ist allerdings nicht einfach zu beantworten. Silos sollen aufgebrochen werden – aber nicht komplett. Denn die Heterogenität macht das offene Internet mit seinen unterschiedlichen Formaten schließlich besonders. Dies ist eine Stärke des offenen Webs, die nicht wegstandardisiert werden darf. Also muss der Weg zu den Silos einfacher werden, darin ist man sich einig. Gleichzeitig darf die Werbeindustrie nicht das „große Ganze“ aus den Augen verlieren, sich nicht im Kleinteiligen verlaufen. Am Ende geht es um wirksame Werbeformate, die zum Moment passen und lieber zu viele Personen erreichen als zu wenige.
Bei dieser Aufgabe könnte eine einheitliche, deterministische ID-Struktur helfen. Diese hatte der OWM bereits im Voraus in seinen „sieben Forderungen zur Stärkung des Open Web“ gleich als ersten Punkt genannt. Die Organisation der Werbungtreibenden weist in ihrem Forderungskatalog insbesondere auf die stark erschwerte, plattformübergreifende Adressierbarkeit hin, die mit einem einheitlichen Identifier verbessert werden soll. Cases aus dem Hause Annalect und United Internet Media zeigen auf dem Summit, wie heute schon im Clean-Room auf der Basis von IDs Reichweite erweitert und Performance gesteigert werden können. Doch die vorhandene Reichweite ist den Agenturen noch nicht genug. Die Publisher seien gefragt, endlich die nötigen IDs zu implementieren. Aber tun sie das nicht schon seit Jahren? Woran hakt’s? Die Frage bleibt so offen wie das Web. Mit Blick auf die Keynote sollte zudem vielleicht eher der Vorteil der Messbarkeit der Werbemaßnahmen betont werden, den Identifier mit sich bringen.
Zwischen technischer Innovation und neuen Risiken
Doch selbst wenn Adressierbarkeit und Vereinfachung gelingen, bleibt eine weitere Hürde: die Vergleichbarkeit der Kanäle. Den Wirkungsbeitrag einzelner Kanäle für den Werbeerfolg zu bestimmen, sei heute ein großes Problem. Online-Video, TV, Search – wer hat was wann geleistet? Diese Frage ist kaum zu beantworten. Schon in der Planung fehle ein cross-mediales Konzept. Agenturen bleibt nur, mit unterschiedlichen Lösungen zu jonglieren.
Als wäre das nicht schon genug, weist Anthony Katsur, CEO vom IAB Tech Lab, auf die drohende Gefahr durch AI-Interfaces für das Open Web hin. Die Werbemonetarisierung für Publisher wird schwierig, wenn sich User in KI-Assistenten bewegen, die keinen Klick auf die Website mehr erforderlich machen. Daher schmiedet das Tech Lab aktuell an einem Framework, das das Crawlen von Publisher-Inhalten regeln soll. LLM- oder Agenten-Zugriffe sollen damit vergütet werden.
Auch für den Signalverlust, der durch den Third-Party-Cookie-Schwund, Anti-Tracking-Lösungen und Private Browsing befeuert wird, arbeitet das IAB an einer Lösung. Die Trusted-Server-Initiative soll die Prozesse in der Adtech-Kette von der Client- auf die Server-Seite verlagern. Das heißt raus aus dem Browser und rein in die Cloud. Sogar Google ist hier mit an Bord.
Ohne gemeinsame Standards kein Gegengewicht zu Big Tech
Der Online Ad Summit hat wieder einmal deutlich gemacht, dass das Open Web nur dann eine ernsthafte Alternative zu den Plattformen sein kann, wenn es mehr gemeinsame Lösungen gibt. Für Vermarkter, Agenturen und Adtech-Anbieter bedeutet dies, neue Allianzen zu schmieden. Damit sind nicht nur Kooperationen zwischen zwei einzelnen Marktteilnehmern gemeint, sondern vielmehr marktweite Zusammenschlüsse. Eine Vision, die auf dem Summit Zustimmung fand: ein „Deutschlandticket für den Adtech-Markt“, gültig für alle Anbieter. Ob realistisch oder nicht – der Wunsch zeigt, dass sich das offene Internet behaupten kann, wenn die Marktteilnehmer die Komplexität reduzieren und gleichzeitig die vielfältigen Stärken bewahren können.
Auch das klare Commitment von den Werbetreibenden zu einer einheitlichen ID-Lösung fand großen Anklang. Dies hilft, in den Punkten Adressierbarkeit und Messbarkeit weiter voranzukommen. Dazu gehört auf der einen Seite, dass es sich die Marktteilnehmer gegenseitig nicht so schwer machen. Auf der anderen Seite müssen die Advertiser neben ihrer verbalen Unterstützung etwaige Mehrkosten für die Verwendung solcher Lösungen einplanen. Denn der Einsatz von IDs macht das Programmatic Advertising nicht günstiger – sondern effizienter und effektiver.
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