Server-Side in Programmatic: Werbezukunft oder Baustelle?
Anton Priebe, 25. August 2025
Bei der programmatischen Werbevermarktung schwanken Publisher zwischen Client-Side und Server-Side. Während Third-Party-Cookies langsam schwinden und Browser zunehmend die Spielregeln diktieren, rückt die serverseitige Implementierung der Technologie stärker in den Fokus. Doch wo liegen die Chancen, wo die Grenzen und welche Rolle spielen neue Standards wie Trusted Server? Petri Kokkonen, CEO des finnischen Adtech-Unternehmens Relevant Digital, erklärt, warum Geschwindigkeit und Sicherheit klare Pluspunkte des Server-Side-Ansatzes sind, weshalb es dennoch an Skalierung und Akzeptanz hapert und wieso Publisher bei der Wahl ihrer Partner genau hinschauen sollten.

ADZINE: Petri, wie bewertest du aktuell den Status quo der serverseitigen Infrastruktur im Programmatic Advertising? Was funktioniert, woran hapert es?
Petri Kokkonen: Generell funktioniert Server-Side im Programmatic Advertising aus technischer Sicht sehr gut, wobei das finanzielle Ergebnis immer noch schwächer ausfällt als clientseitig. Der Grund für diese schwächere Leistung im Ad Sales sind die begrenzt verfügbaren Targeting-Daten. Wir sprechen hier von der Werbung, die an Browser ausgeliefert wird. Für die Ersteller von Inhalten, die sich auf die Browserwelt fokussieren, ist also eine intelligente Kombination aus Client- und Server-Side die beste Vermarktungsstrategie.
Bei Apps, wie zum Beispiel im CTV-Kosmos, ist Server-Side die einzige Möglichkeit, ein effizientes programmatisches Setup zu betreiben. Client-Side ist keine Option, da es keinen Client gibt.
Wenn man sich in Richtung Programmatic Server-Side begibt, sollte man jedoch wissen, was man tut. Die Standards werden zwar ausgereifter, aber es mangelt immer noch an Expertise da draußen. Außerdem können serverseitige Konfigurationen Unternehmen überfordern, die sie inhouse betreiben wollen. Daher ist es ratsam, seine Partner mit Bedacht auszuwählen.
ADZINE: Was spricht für die Verwendung von Server-Side-Technologie?
Kokkonen: Geschwindigkeit, Kontrolle und “Hygiene”. Die Latenzzeiten sind serverseitig geringer. Die Daten sind geschützt, niemand kann sie scrapen, wie das bei Client-Side der Fall ist. Dies sind eindeutige Vorteile für die Publisher im Zusammenhang mit dem programmatischen Verkauf von Anzeigen. Wenn wir vom serverseitigen Adserving sprechen, sieht die Sache jedoch anders aus.
ADZINE: Bleiben wir zunächst beim reinen Verkauf von Werbeflächen. Was spricht hier gegen den Einsatz einer serverseitigen Infrastruktur?
Kokkonen: Nun, aus der reinen Monetarisierungsperspektive im Programmatic-Bereich ist Server-Side wie gesagt nicht dazu in der Lage, das gleiche Ergebnis zu liefern wie Client-Side. Third-Party-Cookies stützen die clientseitige Implementierung immer noch erheblich. Eine weitere Herausforderung könnte die etwas schwierigere Einrichtung und laufende Betreuung des Setups sein. Das ist keine Raketenwissenschaft, aber wenn man alles intern hosten und verwalten möchte, ist es für die meisten zu viel Aufwand.
ADZINE: Wie beeinflusst die zunehmende Regulierung, insbesondere in Europa, die Entwicklung serverseitiger Technologien?
Kokkonen: Hmm, das ist eine mehrdimensionale Frage. Als Erstes muss man prüfen, wie die Infrastruktur aufgebaut ist oder sein wird. Dabei ist es ratsam, sicherzustellen, dass keine Daten überraschend außerhalb der EU landen – falls das nicht beabsichtigt ist. Aus Sicht des Datenschutzes ist das serverseitige Setup von Natur aus sicherer und kontrollierter als das clientseitige.
ADZINE: Das IAB Tech Lab arbeitet mit der Trusted-Server-Initiative an einem neuen Marktstandard. Was steckt dahinter und was hältst du davon?
Kokkonen: Ok, jetzt verlagern wir das Gespräch auf eine andere Ebene. Bisher haben wir hauptsächlich über serverseitiges Programmatic gesprochen, das auf dem Prebid-Standard für Server-Side aufbaut. Trusted Server ist etwas anderes, und wir müssen aufpassen, dass wir den bereits bekannten Prebid-Server nicht mit Trusted Server verwechseln. Denn das Hauptziel von Trusted Server ist die Verlagerung der gesamten Ad-Orchestrierung Richtung Server-Side. Dabei geht es nicht nur um die Durchführung programmatischer Auktionen, sondern auch um die Platzierung von Anzeigen im Content und die serverseitige Abwicklung des Trackings.
Für einige Branchen, vor allem CTV und Retail Media, ist dies schon seit langem “business as usual”. Man kann zum Beispiel nicht einfach damit anfangen, Videowerbung in den Werbepausen von TV-Sendungen clientseitig zu schalten. Die einzige Möglichkeit besteht hier darin, die Werbeunterbrechung serverseitig zu erstellen, sie mit dem Content in der richtigen Länge und Position zu verpacken und alles gemeinsam an den Client zu senden. Das Gleiche gilt für Retail Media, insbesondere im Bereich Search. Der Kunde sucht beispielsweise nach Kopfhörern oder Kaffee, die Antwort auf diese Suche wird serverseitig erstellt, und relevante Anzeigen werden mit dem organischen Inhalt “zusammengenäht”. Man könnte dies auch clientseitig durchführen, aber das wäre langsam, umständlich und nicht so hygienisch. Außerdem könnten Adblocker die Anzeige ausblenden.
Im Bereich des CTV und Retail Media ist dies also gang und gäbe, während es in der traditionellen Display-Werbung so gut wie nie vorkommt. Der Trusted-Server-Standard suggeriert, dass das künftige Anzeigengeschäft, einschließlich der traditionellen Display-Werbung, serverseitig abgewickelt werden sollte. Dies würde mehrere Vorteile mit sich bringen. Das gesamte Setup wäre noch flüssiger und schneller, und die Publisher würden so gut wie alles kontrollieren. Damit würde sich die Macht der Browser in Richtung der Publisher verlagern, und mir persönlich gefällt diese Vorstellung. Die Browser sollten nicht die Prozesse zwischen Audiences und Publishern diktieren.
ADZINE: Was müsste passieren, damit der Standard breite Marktakzeptanz findet?
Kokkonen: Eine ganze Menge. Die Idee steckt noch in den Kinderschuhen und der gesamte Standard befindet sich noch in der POC-Phase. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand gibt es in der Branche noch keinen Konsens über das Tracking von Kampagnen und einige andere Details. Die Werbetreibenden werden den Wechsel Richtung Server-Side nicht unterstützen, bevor sie die Messmechanismen abgenickt haben. Außerdem stehen noch nicht genügend skalierbare Targeting-Daten zur Verfügung – das ist ein Problem. Und um eine breite Marktakzeptanz zu erreichen, brauchen wir natürlich genügend Adtech-Player, die hinter dieser Idee stehen. Nicht alle finden die Idee unbedingt gut, da sie ihr derzeitiges Geschäftsmodell bedroht sehen und das Gefühl haben, Kontrolle abzugeben. Ich denke, das sind die größten Hindernisse.
Momentan sind einige Dinge auf der guten alten Client-Seite besser skalierbar und einfacher auszuführen. Andererseits ist beispielsweise Safari clientseitig schon jetzt schwer zu monetarisieren. Falls sich diese Browser-Probleme vergrößern, werden wir uns vor allem eine Frage stellen: Sind noch immer genügend Gründe für clientseitige Implementierungen vorhanden? Um Server-Side skalierbar zu machen, müssen die Menschen viele alte Erkenntnisse über Bord werfen und sich neue aneignen, was ebenfalls seine Zeit brauchen wird.
ADZINE: Wohin entwickelt sich die Server-Side-Technologie deiner Meinung nach in den kommenden drei bis fünf Jahren?
Kokkonen: Hah, kannst du dieses Interview bitte in ein paar Jahren löschen, damit wir nicht merken, wie falsch ich lag? Nun, ich persönlich hoffe wirklich, dass sich Server-Side durchsetzen wird, und unser Unternehmen hat sich dem voll und ganz verpflichtet. Der wichtigste Grund, warum ich persönlich von Server-Side begeistert bin, ist die Kontrolle der Publisher und die saubere, schnellere Art, die Anzeigen auszuliefern. Sollten Publisher mit dem Testen beginnen wollen, helfen wir gerne weiter. Aber wird sich das Ganze skalieren lassen, fifty-fifty? Es gibt ziemlich starke Kräfte, die sich dagegen wehren, daher ist es schwer zu sagen. Andererseits, wenn die Browser immer mehr Macht bekommen, wird das den Wandel vielleicht eher beschleunigen. In ein paar Jahren werden wir definitiv mehr serverseitig arbeiten, so viel ist sicher. Ob sich das auch im Adserving durchsetzt, bleibt abzuwarten.
ADZINE: Wenn du in einem Satz sagen müsstest, was die größte Chance und größte Gefahr der Server-Side-Zukunft ist – wie würde der lauten?
Kokkonen: Die größte Gefahr ist ein schlecht durchgeführter Übergang zu Server-Side, wodurch die Walled-Garden-Giganten noch mehr an Land gewinnen. Die größte Chance besteht darin, den Publishern Marktmacht zurückzugeben, die Qualität des Inventars zu erhöhen, wenn man die Browser umgeht, und die digitale Werbung für alle sicherer zu machen.
ADZINE: Danke für das Interview, Petri!
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