Warum Publisher im KI-Zeitalter nicht nur defensiv denken sollten
Matthias Greiner, 24. Juli 2025
Die Aufregung ist groß und nicht unbegründet. Nach der Einführung von AI Overviews in die Google-Suche befürchten viele Medienhäuser massive Trafficverluste. Die Sorge: Wenn Antworten direkt von KI-Systemen geliefert werden, sinkt die Notwendigkeit für Nutzer:innen, auf die eigentlichen Quellen zu klicken. Sichtbarkeit, Reichweite, Monetarisierung – all das gerät unter Druck. Die jüngste Beschwerde der Independent Publishers Alliance bei der EU im Hinblick auf die Legitimität von Googles AI Overviews ist Ausdruck dieser Sorge.
Doch so nachvollziehbar solche Abwehrreaktionen sind: Auch und gerade unabhängige kleine und mittlere Publisher sollten den Wandel nicht nur als Angriff auf ihre Marktstellung sehen, sondern versuchen, ihn proaktiv zu gestalten. Denn KI-gestützte Interfaces wie ChatGPT, Perplexity oder You.com sind nicht nur eine Bedrohung, sondern eröffnen auch neue Möglichkeiten.
KI als neuer Touchpoint: Wettbewerb belebt das Geschäft
In der Plattformökonomie galt lange: Wer bei der Internetsuche oben steht, gewinnt. Doch das ändert sich gerade grundlegend. Immer mehr Nutzer:innen suchen Antworten nicht mehr in klassischen Suchmaschinen, sondern direkt bei generativen KI-Systemen. Weil diese nicht nur Ergebnisse, sondern oft schon umfassende und vorstrukturierte, sprachlich aufbereitete Antworten liefern.
Das verändert das Spiel – aber nicht zwingend zum Nachteil der Publisher. Denn mit neuen Interfaces entstehen auch neue Kontaktpunkte und somit potenziell neue Zugänge zu Zielgruppen. Schließlich soll nicht jede Suchanfrage zu einer Website führen. Bei einfachen, faktenbasierten Fragen reicht oft eine Antwort der KI aus. Bei komplexeren Recherchen, im Kontext, bei der Einordnung und der Relevanz bleibt jedoch qualitätsvoller Journalismus unverzichtbar.
Genau hier liegt die Chance. Medienhäuser können ihre redaktionelle Kompetenz gezielt in diese neuen Ökosysteme einbringen. Dafür allerdings braucht es zwingend faire und transparente Zugangs- und Vergütungsmodelle.
Content hat einen Wert – und braucht ein Geschäftsmodell
Heute profitieren viele KI-Systeme von journalistischen Inhalten, ohne dass die dahinterstehenden Publisher entlohnt werden. Das ist eine strukturelle Schieflage, die dringend korrigiert werden muss. Denn hochwertiger Content entsteht nicht zum Nulltarif.
Einige Initiativen zeigen bereits, wohin die Reise gehen könnte. Auch wenn derzeitige Pay-per-Crawl-Modelle, bei denen KI-Anbieter für den Zugriff auf Inhalte zahlen, monetär noch sehr unausgereift wirken und Content-Lizenzierungen, wie sie OpenAI etwa mit Axel Springer, Le Monde oder der Associated Press vereinbart hat, kaum auf kleine Medienhäuser übertragbar scheinen: Es sind Ansätze, die jetzt vertieft konzipiert werden können.
Hyperlokale Inhalte als Relevanz-Anker
Sie gelten als verstaubt und werden oft belächelt, doch hyperlokale News-Angebote könnten ein sehr wirksames Instrument zur Selbstbehauptung gegen den KI-Strom darstellen. Sie bedienen Informationsbedürfnisse, die weder generative KI noch nationale Leitmedien in dieser Form abdecken – sei es lokale Verkehrspolitik, die Gemeinderatssitzung oder das Stadtteilfest. Genau hier entsteht ein echter Mehrwert, den Nutzer:innen auch in Zukunft aktiv erfahren möchten.
Publisher berichten, dass gerade diese Inhalte trotz sinkender Sichtbarkeit auf Google konstant hohe Engagement-Raten und direkte Zugriffe verzeichnen. Das unterstreicht: Wo Journalismus spezifischen Kontext bietet, Nähe erzeugt und echte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, bleibt er unersetzlich – auch in einer KI-dominierten Plattformwelt.
Kooperation statt Konfrontation
Es ist ein wiederkehrendes Muster in der Medienbranche: Publisher schließen sich zusammen, wenn sie sich bedroht fühlen – seltener aber, um gemeinsam Innovationen voranzutreiben. Dabei könnten gerade kleinere und mittlere Publisher mit ihrem Nischen-Know-how (ob hyperlokal oder branchenbezogen) durch strategische Allianzen ihre Relevanz zementieren und auch neue technologische Wege erschließen – etwa den Aufbau gemeinsamer Datenpools zur KI-Integration, standardisierte, transparente Lizenzierungsmodelle und Kooperationen mit AdTech-Providern zur KI-basierten Inhaltsvermarktung.
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