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ANALYTICS - Interview mit Daniel Hikel, Optimizely

Viel Werbung, wenig Ergebnisse – Conversion-Optimierung als blinder Fleck

Anton Priebe, 30. Juli 2025
Bild: Md Mahdi - Unsplash

Mit dem Voranschreiten der Digitalisierung steigen die Ansprüche an digitale Kundenerlebnisse. Verbraucher:innen erwarten heute Personalisierung und kanalübergreifende Konsistenz von den Marken. Bei vielen Unternehmen hapert es jedoch weiterhin an der konsequenten Umsetzung. Das macht sich auch bei den Conversions bemerkbar. Daniel Hikel, DACH-Chef von Optimizely, spricht im Interview über den Reifegrad des hiesigen Digitalmarkts und die Rolle von Automatisierung in Zeiten knapper Ressourcen. Außerdem zeigt er auf, woran es Deutschland bei der Digitalisierung vor allem mangelt: am Tüftlergeist.

Bild: Optimizely Daniel Hikel, Optimizely

ADZINE: Daniel, Optimizely hat eine bewegte Vergangenheit und wurde letztlich vor fünf Jahren von Episerver übernommen. Damit sind zwei langjährig entwickelte, komplexe Software-Architekturen zusammengewachsen. Magst du kurz erklären, was heute hinter Optimizely steckt? Was ist eine “Digital Experience Platform”?

Daniel Hikel: Ich habe selbst bei Episerver angefangen. Das ist ein ursprünglich schwedisches CMS- und E-Commerce-Unternehmen mit fast 80 Prozent Marktanteil in Schweden. Wir haben stark in den amerikanischen Markt expandiert und mit einem neuen CEO, Alex Atzberger, auch die Vision geschärft. Content muss messbar werden.

So kam die Übernahme von Optimizely, das ursprünglich aus dem Obama-Wahlkampf 2008 hervorgegangen ist. Der damalige Head of Analytics, Dan Siroker, testete, welche Kampagnen am besten funktionierten. Ob Barack alleine, mit Michelle, mit Familie, ob grüner oder roter Button – mit diesem A/B-Testing-Ansatz ist Optimizely gewachsen. Marken wie Peloton, Sonos oder Nike nutzen es deswegen bis heute.

Episerver sah darin eine große Chance, um Content und Commerce zusammenzubringen, beides testbar zu machen. Der Name Episerver passte da nicht mehr, „Optimizely“ rankte zudem besser in Suchmaschinen. Also haben wir die Marke übernommen.

ADZINE: Was bedeutet das konkret für eure Plattform?

Hikel: Heute umfasst die Digital Experience Platform viel mehr. Wir begleiten den gesamten Prozess von der Content-Idee bis zur Ausspielung. Was wir jetzt gerade machen – das Interview führen, transkribieren, Layout, Bildanfrage – das sind 85 Prozent des Prozesses, bevor ein Artikel überhaupt online geht.

Mit der Akquisition von Welcome Software, jetzt Content Marketing Platform genannt, haben wir diesen Prozess weiter geschlossen. Damit können Teams kollaborativ Inhalte planen, nicht nur Text, sondern auch Events, Videos, Social Media et cetera. Das alles kanalübergreifend und mehrfach nutzbar. Genau wie in einem Newsroom.

ADZINE: Was verstehst du unter einer guten “digitalen Experience”?

Hikel: Drei Begriffe: Relevanz, Einfachheit, Geschwindigkeit. Der Content muss zur Person passen, leicht konsumierbar sein und sofort wirken, denn die erste Sekunde zählt.

Ein Beispiel: Ein Hundebesitzer landet auf einer Tierbedarfseite, wird aber mit Katzen und Fischen konfrontiert. Wenn er erst klicken muss, um „seine“ Inhalte zu finden, verliert man ihn. Wird er aber gleich richtig abgeholt, steigt seine Loyalität. Daraus ergibt sich ein besserer Customer Lifecycle Value – und genau das ist, was wir bei der Customer Journey erreichen wollen.

ADZINE: Das setzt funktionierende digitale Infrastruktur voraus. Immer wieder steht Deutschland wegen mangelnder Digitalisierung in der Kritik. Oft hört man, dass wir den Anschluss an den Rest der Welt verlieren. Wo steht Deutschland in Sachen Digitalisierung?

Hikel: Seit ich in der Internetwelt zu Hause bin, und das sind mittlerweile fast 30 Jahre, war es eigentlich immer so: Die Trends entstehen in den USA oder anderen Ländern in Asien und schwappen dann irgendwann zu uns rüber, auch schon vor dem Internet. Ich erinnere mich gut daran, dass der Walkman zuerst in Japan auf dem Markt war, lange bevor er bei uns ankam. Heute ist es mit Marketingtrends, Technologien oder Produkten das Gleiche.

Also in Behörden sind wir definitiv abgehängt. Ich sehe in anderen Ländern, wie einfach digitalisierte Prozesse laufen. Da ist bei uns noch enorm viel zu tun. In der Privatwirtschaft sieht das differenzierter aus. Manche Unternehmen sind sehr innovativ, andere träge. Ich denke aber, dass wir immer noch sehr innovativ sind als Land. Wir sind vielleicht nicht First-Mover, aber wir holen auf. Uns fehlt manchmal einfach der Mut. Der Tüftler-Spirit ist verloren gegangen und den müssen wir wiederbeleben.

ADZINE: Also sind wir eher „Second Mover“. Was kann Optimizely konkret dazu beitragen, dass wir vorankommen?

Hikel: Viele Firmen investieren in Werbung, aber optimieren ihre Website kaum. Conversion-Optimierung ist oft noch ein blinder Fleck. Dabei kann man so viel aus dem Bestand herausholen: höhere Kundenbindung, bessere Frequenz, klügeres E-Mail-Marketing. Wenn jemand ein iPhone kauft – warum bekommt er nicht sofort ein Angebot für eine Hülle, eine Displayschutzfolie oder Airpods? Genau da helfen wir mit kontextbezogener Ansprache, über alle Kanäle hinweg.

Das zweite große Thema lautet Automatisierung. Alle klagen über fehlende Ressourcen, aber zögern, wirklich effizient zu automatisieren, auch mit AI. Wir haben unsere eigene KI entwickelt, die den gesamten Content-Lifecycle unterstützt. Und trotzdem begegnen wir noch viel Zurückhaltung.

ADZINE: Was genau macht eure AI?

Hikel: Kunden nutzen oft fünf bis zehn unterschiedliche Tools für einzelne Aufgaben. Unsere Idee ist eine AI, die den ganzen Prozess von der Idee bis zur Umsetzung versteht.

Wenn du beispielsweise den Stand auf einer Messe wie der Dmexco organisieren willst, erstellt sie dir Projektplan, Aufgaben, Briefing oder Einladungen. Dies geschieht alles automatisch, auf Basis früherer Projekte, und übersetzt alles in verschiedene Sprachen, im passenden Brandton. Alles in einem Tool. Wir nennen es ein Betriebssystem für den Marketer.

ADZINE: Seht ihr euch in der Pflicht, auch die junge Generation für Tech-Themen rund um die Digitalisierung wie Datenkompetenz und Innovationen zu begeistern?

Hikel: Ja, ganz klar. Wir sollten alle als Vorbilder agieren und Wissen weitergeben. Intern machen wir viel. Unsere Mitarbeiter sollen AI nicht nur kennen, sondern selbst einsetzen. Gerade hat unser CEO noch intern geschrieben, dass wir AI stärker erfahrbar machen wollen.

Extern geben wir Wissen in Webinaren, E-Books oder Best Practices weiter. Wir gehen aber nicht aktiv in Schulen. Persönlich finde ich, dass Digitalkompetenz ein Schulfach sein muss. Wer AI nicht versteht, wird irgendwann ersetzt – nicht durch AI, sondern durch Menschen, die damit umgehen können.

ADZINE: Spulen wir fünf Jahre vor. Wir schreiben das Jahr 2030. Was müsste bis dahin passiert sein, damit Deutschland nicht nur aufgeholt, sondern eine globale Vorreiterrolle in digitaler Innovation übernommen hat?

Hikel: Wir brauchen mehr Mut und schnellere Umsetzung, Pilotprojekte, Investitionen in digitale Bildung. Wir müssen den Mittelstand stärken und uns wieder mehr auf Datensouveränität fokussieren. Der Tüftler-Spirit muss zurückkehren.

Es war geopolitisch noch nie so schwer einzuschätzen, was in fünf Jahren ist. Wenn China morgen den Export seltener Erden stoppt, steht bei uns vieles still. Früher waren wir unabhängiger. Heute sind wir zu abhängig. Das müssen wir wieder ausbalancieren.

ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch!

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