
Big Tech dominiert die digitale Werbung. Die Walled Gardens verfügen über reichhaltige Nutzerdaten und kontrollieren die technologische Strecke, von der Buchung über das Targeting und die Ausspielung bis hin zur Attribution. Während die Megaplattformen in puncto Reichweite und einfachen Werbemanagern glänzen, zeigen sich jedoch wachsende Schwächen: Intransparenz, Abhängigkeit, begrenzte kreative Möglichkeiten. Im offenen Werbeökosystem entstehen derweil neue Standards in Sachen Wirkung, Kontrolle und Verantwortung.
Kontrollierte Werbeumgebung und Brand Safety

Ein zentraler Vorteil des offenen Werbeökosystems liegt in der kontrollierten Werbeumgebung. „Wer im Open Web wirbt, entscheidet bewusst, wo und in welchem Kontext die eigene Marke erscheint – ein entscheidender Aspekt für Brand Safety“, erklärt René Plug, Chief Revenue Officer von Gotom. Im Gegensatz dazu entziehe sich die Platzierung innerhalb großer Plattformen häufig der Kontrolle, da Algorithmen über das Umfeld entscheiden. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung sei es aus unternehmerischer wie ethischer Sicht essenziell, hier Verantwortung zu übernehmen, so Plug.
In den geschlossenen Systemen der Walled Gardens, insbesondere bei nutzergenerierten Inhalten, sei es oft schwer, redaktionelle Integrität und Markensicherheit zu gewährleisten, pflichtet Sabrina Markhoff, Managing Partner von Universal McCann, bei. “In einer Zeit, in der künstlich generierte Inhalte und Falschmeldungen zunehmen, ist es für Agenturen und Werbetreibende unerlässlich, auf Brand Safety und redaktionelle Integrität zu achten”, meint die Agenturfachfrau.
Plattformlogik: bequem, aber gefährlich
Viele Werbetreibende schätzen die Walled Gardens wegen ihrer Effizienz. Die Werbung ist schnell gebucht, wird KI-optimiert ausgespielt und vollautomatisch ausgewertet. Das verspricht einfache Skalierung bei minimalem Ressourceneinsatz. Doch dieser Komfort hat seinen Preis. Denn je mehr sich Unternehmen auf die großen Plattformen verlassen, desto mehr geben sie ab: an Kontrolle, an Daten, an Differenzierung.

“Die Plattformen haben eine ausgeprägte Fähigkeit entwickelt, eine gefühlte Messbarkeit herzustellen”, warnt Stephan Jäckel, Geschäftsführer von Emetriq. Dashboards, Reports und eigene KPIs würden es Mediaverantwortlichen leicht machen, das Investment intern zu rechtfertigen. Doch diese Metriken seien nicht unabhängig überprüfbar. Die “Scheinsicherheit” sagt faktisch wenig über die tatsächliche Wirkung der Kampagne im Gesamtmarkt aus, glaubt Jäckel. Im Gegensatz dazu können Werbetreibende im Open Web „wieder selbst die Kontrolle übernehmen“, ihre Datenquellen, Partner und Ausspielung frei wählen. Dies fördere nicht nur die technische Transparenz, sondern sei auch ein entscheidender Vertrauensfaktor. “Unternehmen können viel klarer belegen, wie und auf welcher Basis sie mit Daten arbeiten”, sagt der Emetriq-Geschäftsführer.

Sabrina Markhoff ergänzt: “Es wird oft angeführt, dass hohe Investitionen in die großen Plattformen einen kostengünstigen und schnellen Reichweitenaufbau versprechen. Allerdings lässt sich dieser Punkt aufgrund der teils mangelnden Transparenz nur schwer verifizieren.” Es ließen sich jedoch auch außerhalb dieser geschlossenen Systeme sehr hohe und effiziente Reichweiten erzielen, bei einer oft sehr guten Kontaktqualität. Dafür sorgen eine ausgewogene und zunehmend datenbasierte Mediaplanung sowie die mögliche Omnichannel-Aussteuerung. “Besonders die genaue und messbare Zielgruppenerreichung ist dabei eine der klaren Stärken des Open Web”, so die Expertin für Mediaplanung.
Kreativität jenseits der Schablone
Die Formatlandschaft in den Walled Gardens ist zwar dynamisch, legt den Fokus jedoch nahezu ausschließlich auf Bewegtbild und bleibt letztlich stark standardisiert. Wer hier wirbt, muss sich den Plattformregeln unterwerfen, inhaltlich wie gestalterisch. Dies erschwert es den Marken, sich zu differenzieren.
Im offenen Werbeökosystem sind Werbetreibende nicht auf starre Formate beschränkt, weiß René Plug. „Durch Formate wie Sponsoring, Integrationen oder Content-Kooperationen entstehen individuelle Werbelösungen, die sich deutlich von der Standardisierung innerhalb der Walled Gardens abheben.” Diese Inszenierungen wie native Integrationen, thematische Sponsorings oder Brand-Storytelling-Lösungen würden Markenbotschaften nicht nur sichtbarer, sondern auch relevanter und nachhaltiger transportieren.
Sichtbarkeit ist nicht gleich Aufmerksamkeit
Auf den Plattformen konkurriert zudem Markenkommunikation mit einer wahren Flut an weiteren Inhalten. Aufmerksamkeit ist dort ein knappes Gut und meist flüchtig. Das Resultat ist hohe Sichtbarkeit bei gleichzeitig sinkender Werbewirkung. Werbung im Open Web ist hingegen “kein Massenprodukt”, meint Stephan Jäckel. “Sie wirkt im richtigen Kontext, zur richtigen Zeit, bei den richtigen Menschen.”
René Plug fügt hinzu: “Werbung im Open Web erreicht Nutzer in aufmerksamen, inhaltlich relevanten Momenten – sei es beim Lesen eines Artikels oder beim gezielten Recherchieren. Anders als bei flüchtigen ‘Scroll-Momenten’ auf Plattformen trifft sie die Nutzer in vielen Situationen des Tages, wenn echtes Interesse und Entscheidungsbereitschaft bestehen.” Diese Kontexte seien ideale Voraussetzungen für den Markenaufbau: emotional positiv, glaubwürdig und mit starker inhaltlicher Relevanz. Marken würden hier nicht isoliert kommunizieren, sondern eingebettet in vertrauensvolle Umfelder, die Zielgruppen sinnvoll aktivieren – ganz ohne die Limitierungen von Feed-Algorithmen.
Verantwortung übernehmen statt Abhängigkeiten zementieren
Mit jedem Werbeeuro, der in die Kassen der Plattformriesen fließt, wächst ihre Macht zulasten kleinerer Publisher, unabhängiger Medien und damit letztlich auch der publizistischen Vielfalt. Das sehen viele Unternehmen zunehmend kritisch. Wer heute Werbung schaltet, trifft eben nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine gesellschaftliche Entscheidung.
Auf diesen gesellschaftlichen Auftrag weist Sabrina Markhoff hin: “Als Branche tragen wir auch eine Verantwortung dafür, unsere vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dies gelingt uns, indem wir nicht nur auf die großen Konzerne setzen, sondern auch lokale Medienpartner unterstützen, die sich durch ihre hohe Qualität auszeichnen.” Eine größere Vielfalt an Partnern, Datenquellen und Formaten im offenen Ökosystem führe zudem zu effektiveren Kampagnen und sorge „für mehr Vielfalt und Nachhaltigkeit im Mediaplan“, glaubt Stephan Jäckel.
Neue Zielgruppen, neue Potenziale
Das Open Web erschließt Zielgruppen, die in den Plattformfiltern unterrepräsentiert oder übersättigt sind. Dazu zählen unter anderem ältere, kaufkräftige Nutzer:innen oder B2B-Entscheider:innen. Abseits der Massenlogik von Social Media entstehen hier neue Räume für Marken.
“In den Walled Gardens targeten Werbetreibende mittlerweile alle auf dieselben feingranularen Segmente. Das hat zur Folge, dass diese Zielgruppen überreizt und irgendwann werbemüde sind”, bestätigt Stephan Jäckel. Als Marke setze man sich somit kaum vom Wettbewerb ab. “Im Open Web werden dagegen Menschen dort erreicht, wo sie sich jenseits der Plattformlogiken aufhalten und damit letztlich auch neue Zielgruppen, die für viele Marken bisher unsichtbar geblieben sind.”
Targeting-Verständnis im Wandel
Die Walled Gardens sind dem Rest des Internets vor allem im Targeting überlegen. Aber gerade dieser Punkt befindet sich aktuell im Wandel. Während die großen Plattformen lange von umfangreichen Nutzerdaten profitierten, gerate dies „zunehmend unter Druck“, verrät Stephan Jäckel. Regulatorische Vorgaben und ein wachsendes Bewusstsein der Nutzer mit Blick auf Datenschutz und Kontrolle führen seiner Meinung nach dazu, dass viele Menschen begriffen hätten: Sie sind auf Plattformen nicht Kunde, sondern das Produkt. Gleichzeitig kritisiert Jäckel den Begriff „Made For Advertising“ (MFA), der dem Open Web anhaftet. “Denn die Plattformen funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Aufmerksamkeit rein, Werbeertrag raus.”
Das offene Werbeökosystem entwickle hingegen derzeit neue Strukturen, die Datenschutz und Wirksamkeit miteinander verbinden. Als Geschäftsführer einer Telekom-Tochter glaubt er selbst natürlich an die Strahlkraft von aggregierten Telko-Daten, in Kombination mit generativer KI. Hinzu kommen unterstützend synthetische Datenmodelle und Data-Clean-Rooms. “Die Kombination aus hoher Reichweite, präziser Ansprache und klaren Datenschutzstandards macht Telko-Daten zu einem wichtigen Baustein für zukunftsfähiges Targeting im Open Web”, ist er überzeugt. “Targeting geht auch ohne gläserne Nutzer, wenn Technologie und Verantwortung Hand in Hand gehen.”
First-Party-Daten als Basis für Wachstum

First-Party-Daten kommt im offenen Werbeökosystem eine Schlüsselrolle zu. „Wer heute mit Werbung Wirkung erzielen möchte, muss Kampagnen konsequent datengestützt und vor allem nutzerzentriert aufsetzen”, sagt Christian Walter, Senior Director Data Partnerships Deutschland bei The Trade Desk. Die eigenen Daten würden dafür die Grundlage bilden, insbesondere in offenen und unabhängigen Mediakanälen, die für hochwertigen Journalismus und gesellschaftlichen Diskurs stehen. Verbraucher erwarteten, „dass Marken ihre individuellen Bedürfnisse verstehen und berücksichtigen” und diese Erwartungen sind nur mit dieser stabilen Datenbasis zu erfüllen, betont Walter.
Eine „wirkungsstarke Identity-Strategie“, die mehrere Geräte und IDs innerhalb von Haushalten in Einklang bringt, sei deswegen essenziell. Durch „den verstärkten Einsatz deterministischer IDs auf Basis von Logins“ entstehen authentifizierte Umgebungen, in denen Nutzer freiwillig ihre Daten teilen, um „kostenfreie Inhalte sowie relevante Werbung“ zu erhalten. Der intelligente Einsatz von First-Party-Daten – sowohl auf Marken- als auch auf Publisher-Seite – sei der Schlüssel zu erfolgreichem Targeting. So könne digitale Werbung signifikanten Einfluss auf Unternehmensziele wie Wachstum, Produktentwicklung und Marktexpansion nehmen. Dass dies parallel zu starkem, unabhängigem Journalismus beiträgt, sei „viel mehr als nur ein Nebenprodukt“.
Die Alternativen sind vorhanden – sie müssen nur genutzt werden
Das offene Werbeökosystem liefert überzeugende Antworten auf die Herausforderungen der digitalen Werbewelt. Es bietet Werbetreibenden eine kontrollierte und transparente Umgebung mit hoher Brand Safety, kreativer Vielfalt und frischen Zielgruppen. Somit ergeben sich Alternativen zur Plattformabhängigkeit, was gleichzeitig die Medienvielfalt bewahrt.
Schwarz-weiß-Denken ist jedoch fehl am Platz. Es geht dabei nicht um ein Entweder-oder, sondern vielmehr um ein Sowohl-als-auch auf Augenhöhe. Plattformen können effizient sein. Doch die unverhältnismäßige Überinvestition der Budgets geht nicht nur auf Kosten der Wirkung. Sie schadet auch unserer Gesellschaft.
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