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Publisher vs. Plattformen: Gemeinsam statt gegeneinander, oder gar nicht

Anton Priebe, 21. Mai 2025
Bild: Generiert mit KI – Adobe Firefly Bild: Generiert mit KI – Adobe Firefly

Die Mega-Plattformen dominieren die digitale Kommunikation und kassieren damit auch mehr als die Hälfte der deutschen Werbegelder. Viele Advertiser greifen gerne auf die bequemen Buchungsstrecken, große Reichweiten und standardisierte Datenlösungen zurück. Angesichts des scheinbar ungebremsten Wachstums der Plattformen spitzt sich der Wettbewerb um die Werbegelder seit Jahren weiter zu. Die Folgen bekommen nicht nur die digitalen, sondern alle Werbemedien zu spüren. Doch der Ruf nach mehr Vielfalt im Mediaplan wird lauter, getrieben von Fragen rund um Unabhängigkeit, Transparenz und Verantwortung. In diesem verschärften Wettbewerbsumfeld stellt sich die Frage, wie sich deutsche Publisher – ob Web, App, (C)TV oder (D)OOH – wieder mehr vom Werbekuchen sichern, der größtenteils von den Googles, Metas und Amazons dieser Welt aufgegessen wird?

One-Stop-Shops statt zersplitterte Systeme

Bild:  Sven Markschläger Sven Markschläger, Berater

Ein großer Nachteil der deutschen Publisher-Landschaft ist ihre Fragmentierung. „Viele kleinere Insellösungen konkurrieren untereinander, statt gemeinsam eine klare, einfache und nutzerfreundliche Plattform zu schaffen“, sagt Sven Markschläger, freier Berater und ehemaliger Chief Digital Officer der Krombacher Gruppe. Der Status quo ist durch komplexe Buchungsprozesse, fehlende technische Standards und wenig konsistente Schnittstellen geprägt, während sich Advertiser vor allem einfache, zentralisierte Systeme wünschen, die ihnen die Arbeit erleichtern. Damit landen sie derzeit nahezu zwangsläufig in den Walled Gardens.

Bild: SQL Jens Pöppelmann, SQL

Jens Pöppelmann, Co-CEO des Wuppertaler Softwareunternehmens SQL Service, identifiziert zwei strukturelle Schwächen: Zum einen mangele es an einem globalen Standard für Direktbuchungen – einem Pendant zum etablierten Open-RTB-Protokoll aus dem Programmatic-Bereich. Zum anderen würden komfortable Selbstbuchungstools fehlen. Wer Reichweiten über Gattungsgrenzen hinweg buchen wolle – beispielsweise im Bewegtbild die Disziplinen ATV, CTV oder VOD –, müsse oft durch verschiedene Systeme navigieren. “Ein einheitliches System, ähnlich wie ein Kassensystem im Supermarkt, wäre wünschenswert, damit Mediaplaner alle benötigten Reichweiten aus einer Quelle beziehen können. Im Supermarkt geht man ja auch nicht an verschiedene Kassen, wenn man in der einen Abteilung Getränke und in der anderen Milch eingekauft hat”, so Pöppelmann.

Einfache Buchung als Wettbewerbsvorteil

Bild: Linkedin Marco Klimkeit, Polarisfactor

Die Plattformgiganten punkten mit einem durchgängig optimierten Tech-Stack von der Ausspielung über das Targeting bis hin zur Attribution. Diese End-to-End-Kontrolle sorgt für konsistente Werbeerlebnisse und operative Effizienz, weiß Marco Klimkeit, Managing Director von der Beratung Polarisfactor. Er sieht hier ein strukturelles Defizit aufseiten vieler Publisher: Statt sich auf Nutzerfreundlichkeit zu konzentrieren, habe man sich in technischen Details verloren. Der ursprüngliche Anspruch von Effizienz sei in vielen Fällen in Komplexität umgeschlagen. “Publisher haben sich in den letzten 20 Jahren in der digitalen Vermarktung oft auf eine simple Gleichung verlassen: mehr Werbeflächen gleich mehr Umsatz. Das hat kurzfristig funktioniert, langfristig aber stark zur Erosion der User-Akzeptanz für Werbung beigetragen. Werbung wurde auf vielen Seiten zum Störfaktor – nicht zur Inspiration”, so der Berater. “Gleichzeitig wurden die Ad-Stacks immer komplexer: mehr SSPs, mehr Datenanbieter, Tools ohne Ende. Was als Effizienzversprechen begann, wurde für viele zu einem operativen Albtraum.”

Sven Markschläger pflichtet seinem Mitstreiter Klimmkeit bei und betont, dass der größte Hebel in der Vereinfachung der Buchungsprozesse liege – durch eine gemeinsame technische Infrastruktur, die einfache Self-Service-Plattformen mit klar definierten Schnittstellen ermögliche. Kampagnen sollten schnell, transparent und automatisiert umsetzbar sein.

Zumindest im Direktbuchungsgeschäft existieren erste Initiativen zur Standardisierung, die zumindest diesen Zweig für Agenturen und Vermarkter einfacher machen sollen. Jens Pöppelmann verweist in diesem Zusammenhang als einer der Initiatoren gerne auf das „Digital Booking Communication Format“ (DBCFM). Bereits 17 Vermarkter seien laut Wasmuth Media Service „DBCFM ready“, doch an einer flächendeckenden Integration fehle es noch. Wirklicher Fortschritt sei nur durch konsequente Automatisierung möglich.

Technologie als Enabler, nicht als Hürde

Bild: Ströer Abdelkader Barjiji, Ströer

Dass Google, Meta und Amazon stark in Reichweite und Zielgruppenansprache sind, liegt nicht nur an ihrer Größe, sondern auch an ihren geschlossenen Ökosystemen. Diese ermöglichen präzises Targeting, einfache Buchung und durchgängige Erfolgsmessung. Abdelkader Barjiji, SVP Technology & Data beim Vermarkter Ströer, hebt erneut hervor, dass genau hier eine Alternative geschaffen werden müsse. Das Unternehmen selbst habe eine crossmediale Plattform entwickelt, die klassische und digitale Reichweiten samt standardisierter High-Impact-Formate vereint. Laut Barjiji basiert die Lösung auf standardisierten Formaten, tiefen Dateneinblicken, KI-gestützter Kampagnenoptimierung und einem offenen Zugang für programmatische wie klassische Marktteilnehmer. “Unser Ziel: Ein wettbewerbsfähiges, unabhängiges Werbeangebot aus Deutschland – als echte Alternative zu den geschlossenen Systemen internationaler Plattformen. Dafür laden wir ausdrücklich alle Publisher und Vermarkter ein, sich anzuschließen und gemeinsam eine zukunftsfähige, offene Medienlandschaft mitzugestalten”, propagiert der Technikchef von Ströer.

Bild: C Wire Rui de Freitas, C Wire

Rui de Freitas, Co-Founder & CEO vom Schweizer Contextual-Spezialisten C Wire, unterstreicht die Notwendigkeit eines Technologie-Stacks, der Datensouveränität, Systemkompatibilität und KI-Automatisierung verbindet. Es gehe darum, Zielgruppen kanalübergreifend zu erreichen, ohne sich allein auf die Nachfrageseite zu verlassen. Investitionen müssten nun in kontextuelle Analyse, intelligente Identifier-Technologien und Adserving-Infrastrukturen für dynamisches Ad Rendering fließen.

First-Party-Daten als Schlüssel zur Unabhängigkeit

Bild: UIM Alexander Peischl, United Internet Media

Wer unabhängig von den großen Plattformen agieren will, braucht vor allem belastbare und datenschutzkonforme First-Party-Daten. Alexander Peischl, Head Programmatic, Yield & Ad Technology bei United Internet Media, bezeichnet sie als zentrales Asset der Zukunft – idealerweise auf Login-Basis, um sie stabil und aktivierbar zu machen. Gemeinsam mit der NetID und The Trade Desk arbeitet der Vermarkter daran, seine Daten programmatisch nutzbar zu machen, unter anderem über Data Clean Rooms, die Datenschutz und Aktivierung vereinen. “Für die Branche entsteht dadurch ein neuer Backbone für die übergreifende Adressierbarkeit, die es in Sachen Reichweite gut mit den Plattformen aufnehmen kann”, ist Peischl überzeugt.

Rui de Freitas betont: “Die Grundlage für zukunftssichere Adressierbarkeit liegt nicht darin, die meisten Daten zu besitzen, sondern in der Fähigkeit, bestehende Signale auf intelligente Weise sicher zu verbinden und zu aktivieren.” Drei Hebel seien dabei entscheidend: erstens die Ausweitung von First-Party-Strategien, etwa durch CRM-Daten oder Login-Allianzen, zweitens kontextuelle Intelligenz für Echtzeit-Adressierbarkeit und drittens Kooperationen über Data Clean Rooms, beispielsweise mit dem Handel.”

Retail Media als Chance für Partnerschaften

Der Handel verfügt über einen waren Datenschatz, der seit einiger Zeit zunehmend interessanter für die Werbewirtschaft wird. Retail Media zählt folgerichtig zu den wachstumsstärksten Segmenten im digitalen Marketing, auch für Publisher. Über Kooperationen können die Signale aus dem Handel für die Werbung nutzbar gemacht werden. “Insbesondere Retail-Media-Netzwerke erzeugen hochwertige Shopper-Signale. Diese können durch kuratierte programmatische Deals aktiviert werden – ohne Datenlecks in den offenen Bidstreams”, sagt de Freitas.

Über gemeinsame Zielgruppen-Analysen und Data Clean Rooms lassen sich auch statistische Zwillinge identifizieren, also Nutzer mit ähnlichen Verhaltensmustern wie Retail-Kunden, erklärt Alexander Peischl. Er verweist auf erfolgreiche Kampagnen, bei denen so mit überdurchschnittlicher Performance gezielt Neukunden angesprochen wurden. “Diese potenziellen Neukundinnen und Neukunden zeigten starke Response-Werte”, sagt Peischl.

Das Wachstum liegt jenseits des Plattformen-Könnens

Wirkliches Wachstum entstehe dort, wo die Plattformen an ihre Grenzen stoßen – etwa bei realer Sichtbarkeit, Emotionalisierung oder neuen Mediengewohnheiten. Abdelkader Barjiji nennt drei besonders starke Wachstumstreiber in seinen Augen: Digital-Out-of-Home (DOOH), Connected TV (CTV) und High-Impact-Werbung.

DOOH ermögliche eine flexible, mobile Ansprache jenseits des digitalen Feeds. CTV schließe Lücken, die durch den Rückgang linearer TV-Reichweiten entstehen, besonders bei jüngeren Zielgruppen. Beide Kanäle ließen sich gut in crossmediale Konzepte integrieren, um auch „TV-Wenigseher“ zu erreichen. “Als adressierbarer Kanal mit hoher Akzeptanz bei jüngeren Zielgruppen und präzisem Targeting ermöglicht CTV die Rückkehr zur TV-Wirkung – aber datenbasiert und messbar. Durch die Verknüpfung beider Kanäle in crossmedialen Konzepten ergeben sich neue Chancen für lokale Publisher”, ist Barjiji überzeugt.

High-Impact-Formate böten darüber hinaus eine hohe Aufmerksamkeitswirkung und emotionale Tiefe. Dies seien Werbeformen, die im Plattform-Kontext oft nicht verfügbar sind, aber laut Barjiji gerade dort Wirkung entfalten können, wo Aufmerksamkeit knapp ist. ”Diese aufmerksamkeitsstarken Formate fehlen größtenteils auf den großen Plattformen – ein struktureller Vorteil für lokale Anbieter.”

Publisher punkten mit starkem Content in vertrauenswürdigen Umfeldern

Inhalte und redaktionelle Qualität bleiben für die Werbewirkung entscheidend. Publisher verfügen über vertrauenswürdige Umfelder und können ihre First-Party-Daten inzwischen gezielter aktivieren, sagt Alexander Peischl. Mit Blick auf Retail Media würden auch Offsite-Modelle an Bedeutung gewinnen. Dabei werden Kampagnen von Händlerplattformen auf Publisher-Umfelder verlängert, wie de Freitas angedeutet hat.

Marco Klimkeit warnt zugleich davor, jüngere Zielgruppen zu unterschätzen: “Die jüngeren Zielgruppen sind längst nicht mehr im klassischen Web unterwegs – sie bewegen sich in ihrer eigenen ‘Bubble’ aus Tiktok, Insta, Gaming und Streaming. Klassische Publisher optimieren damit zunehmend für ein Publikum, das strukturell schrumpft.” Wer das Open Internet als relevanten Werbekanal erhalten wolle, müsse neue Wege finden – jenseits der Plattformen, aber mit vergleichbarer Einfachheit und Effizienz.

Gemeinsam statt gegeneinander, oder gar nicht

Wenn deutsche Publisher im Wettbewerb mit den großen Plattformen bestehen wollen, müssen sie mehr tun, als nur Reichweiten zu maximieren. Gefragt sind gemeinsame Standards, technische Integration, vertrauenswürdige Datenstrategien und der Wille zur Kooperation. Nur so kann ein alternatives Ökosystem entstehen, das in Einfachheit, Effizienz und Werbewirkung konkurrenzfähig ist.

Die Marktteilnehmer:innen sind sich einig: Es geht nicht darum, Google oder Meta zu kopieren, sondern eine überzeugende, eigenständige Antwort für den deutschen Markt zu entwickeln. Aber das funktioniert nur gemeinsam.

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