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Warum der französische ATV-Markt in Europa nach vorn prescht

Cecilia Tanasoiu, 10. August 2023
Bild: Anthony Choren - Unsplash

Das vermeintlich antiquierte Werbemedium TV bleibt die Nummer eins in Europa, bessere Messbarkeit und gezielte Ausspielung machen die Fernsehbranche fit für die Zukunft: Addressable TV (ATV) und Connected TV (CTV) digitalisieren die Videowerbung auf dem Smart-TV vollends. In Deutschland ist das schon länger kein Geheimnis mehr. Private Fernsehsender bieten ATV- und CTV-Werbung seit 2015 an. Einige Zeit war der deutsche TV-Markt Vorreiter in Europa, während in Frankreich seit 1992 die Entwicklung durch eine restriktive Mediengesetzgebung blockiert wurde. Nachdem diese Hürden 2020 gefallen sind, eröffneten sich völlig neue Perspektiven.

Die französischen Akteure schlossen sich zusammen, um den Anschluss an die weiterentwickelten britischen und deutschen ATV-Märkte nicht zu verlieren und sind jetzt sogar in der Lage, sie zu überholen. Verschiedene technische Rahmenbedingungen, u. a. bei der Messbarkeit, machen es möglich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen ATV- und CTV-Ökosysteme jedoch skalieren können, denn Werbekunden erwarten effiziente und gleichzeitig praktikable Lösungen in der Werbung auf dem Big Screen. Genau in diesem Bereich hat Frankreich mittlerweile sogar die Nase vorn.

Was können wir in Deutschland vom französischen Modell lernen und wie lassen sich diese Erkenntnisse auf den deutschen Markt übertragen?

Massive Entwicklung hin zur ATV-Konsolidierung in Frankreich

Die branchenübergreifende Zusammenarbeit nach der Gesetzesänderung, vor der individuell ausgestrahlte Werbung im Fernsehen verboten war, hat zu einer rasanten Weiterentwicklung geführt. Anders als in den europäischen Nachbarmärkten schaffte die koordinierte Zusammenarbeit von TV-Vermarktern, Sendern, Telekommunikationsanbietern und Adtech-Dienstleistern vom Start weg einheitliche Standards. Das integrative Vorgehen, an dem fast alle relevanten Marktteilnehmer beteiligt waren, führte zu Auslieferungs- und Messstandards, die es Werbetreibenden ermöglichen, über Vermarkter und Sender hinweg einheitlich zu planen. Es entstand ein veritabler Markt, der groß genug ist, um etablierten Markenherstellern effektive Werbeoptionen anzubieten. Kleinere Werbetreibende, die traditionell nicht im TV geworben haben, zogen nach.

Fragmentierung der Sehgewohnheiten

Wie überall findet der Premium-Videomarkt in Frankreich jedoch nicht nur im TV statt. Catch-Up-TV und Video-On-Demand-Streaming, ob bei Streaming-Diensten oder auf den Plattformen der TV-Sender, sind mittlerweile fest verankert und buhlen ebenfalls um die Gunst der Zuschauer. Insgesamt ist die Nachfrage nach Videowerbung in markensicheren Umfeldern weiterhin ungebrochen. Die Wirkung und die Qualität der Fernsehwerbung bleiben bestehen und gelten maßgeblich auch für digitale TV-ähnliche Umfelder.

Die Herausforderung hierzulande wie in Frankreich ist, lineare TV-Werbung besser in die Multi-Channel-Strategien der Werbetreibenden zu integrieren und mit Connected TV und Online-Umfeldern zu kombinieren. Genau diese Tür kann mit ATV geöffnet werden. Der nächste Schritt muss sein, die Messung des Videokonsums zu vereinheitlichen und eine bessere Attribution von Multi-Channel-Kampagnen zu ermöglichen. Auch hier bewegt sich der französische Markt deutlich voran.

Nahtlose Attribution von Fernseh- und Advanced TV-Werbung

Realytics, ein Adtech-Anbieter im französischen ATV-Markt, und das französische Telekommunikationsunternehmen Bouygues Telecom haben gemeinsam eine deterministische Lösung zur Single-Source-Messung von TV-Werbung entwickelt. Sie erlaubt die Verknüpfung von TV-Werbekontakten mit nachgelagerten Online-Konsumaktivitäten wie Website-Besuchen, App-Downloads und SMS-Reaktionen. Die Kerntechnologie dieser Attributionslösung ist die Mess- und Attributionsplattform BEE (Brand Exposure & Engagement).

Mit BEE lassen sich lineare TV-Kampagnen vereinheitlicht betrachten — sowohl via ATV, BVOD, Catch up, aber auch in CTV-Umgebungen — und alle an TV-Geräte in einem einzelnen Haushalt gelieferten Werbebotschaften messen. Dadurch kann mit BEE die doppelte Messung desselben Haushaltes als individueller Kontakt vermieden werden. Duplikate innerhalb von Videokampagnen werden erkannt, auch wenn der Haushalt sowohl linear als auch digital erreicht wurde. Bisher wurden diese häufig als zwei unterschiedliche Haushalte ausgewiesen. BEE löst dieses Messbarkeitsproblem, indem es die Werbeausspielung auf der Bouygues Telecom Set-Top-Box erfasst und eine Deduplizierung vornimmt. Das funktioniert für alle Distributionskanäle von linear bis CTV.

Was wir vom französischen ATV-Markt für Deutschland mitnehmen können

Festzustellen ist, dass die Set-Top-Box in Frankreich eine bedeutende Rolle einnimmt. Die Erkenntnisse, auf denen BEE aufbaut, lassen sich zwar nicht pauschal auf Deutschland übertragen, trotzdem können wir aus der Entwicklung des französischen Marktes einiges schlussfolgern. Die technischen Voraussetzungen in Frankreich mögen andere sein, die Bedingungen für die Multi-Channel-Messung und Attribution sind jedoch in beiden Märkten gleich. Der gemeinsame Ansatz kann als Blaupause für den deutschen Markt genutzt werden. Das Zusammenspiel mit den Set-Top-Boxen erleichtert das Tracking in Frankreich, doch auch der europaweit verbreitete HbbTV-Standard ermöglicht einen ähnlichen technischen Ansatz. Eine vergleichbare Lösung wie BEE ist daher auch in anderen europäischen Ländern vorstellbar und in Deutschland bereits einsatzbereit.

Doch auch hinsichtlich der Regulierung sollten wir uns von den Franzosen etwas abschauen. Der Rundfunkstaatsvertrag schränkt nach wie vor die geografisch begrenzte Ausstrahlung von Fernsehwerbung ein, um lokale Medienangebote und besonders Fernsehsender zu schützen, obgleich die größte Konkurrenz für die lokalen Anbieter mittlerweile digital ist, was viele Experten bestätigen. Die Nachfrage nach lokal ausgestrahlten ATV-Anzeigen ist in Frankreich enorm gestiegen, zudem stärken diese sowohl lokale als auch nationale Medien. Das französische Modell zeigt, dass Initiativen zur Transformation der TV-Werbeauslieferung und -messung sehr schnell erfolgreich sein können, wenn alle Beteiligten gemeinsame Standards und einheitliche technische Lösungen schaffen.

Das ist die wichtigste Erkenntnis: Ein europäischer Fernseh- und Videowerbemarkt bleibt wettbewerbsfähig, wenn er von in den Märkten verankerten Akteuren aktiv mitbestimmt wird. Dazu müssen sich europäische Sender, Adtech-Anbieter und Vermarkter stärker zusammenschließen und sich nicht mehr nur als Konkurrenten betrachten. Der Wettbewerb von heute ist digital und global.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Cecilia Tanasoiu Über den Autor/die Autorin:

Cecilia Tanasoiu ist Growth Product Manager bei Smartclip. Zuvor war sie unter anderem Global Media Manager - Adtech & Digital bei Henkel und Unit Director Media Consulting International bei Mediacom.

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