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Der Höhepunkt der Fragmentierung im CTV-Markt ist noch nicht erreicht

Anton Priebe, 31. Januar 2023
Bild: Diane Helentjaris – Unsplash

Der Connected TV (CTV) wird zunehmend von den Adtech-Anbietern erschlossen. Doch der Aufbau der deutschen Infrastruktur gestaltet sich schwierig, denn hier treffen viele unterschiedliche Technologien, Player und deren Interessen aufeinander. So entsteht eine Gemengelage, die zahlungsbereite Advertiser und ihre Agenturen noch immer vor Herausforderungen stellt. Dass die Marktteilnehmer die großen TV-Gelder wittern, die zumindest teilweise bereits vom traditionellen Fernsehen in Richtung CTV abwandern, macht es nicht einfacher. CTV-Experte Tanno Krauß wirft im Interview einen Blick auf den hiesigen Markt, wägt ab, wie trotz der fragmentierten Landschaft Skalierbarkeit für Werbekampagnen zustande kommen kann und wie es in der Praxis weitergehen wird. Krauß ist das Gesicht von Audiencexpress in der DACH-Region, hinter dem wiederum der Adtech-Player Freewheel vom US-Telko-Giganten Comcast steht.

Tanno Krauß, Audiencexpress

ADZINE: Hallo Tanno, du arbeitest bei Audiencexpress, in deinem Jobprofil steht aber Freewheel. Was hat es damit auf sich? Ist das ein eigenständiges Unternehmen oder eine Marke von Freewheel?

Tanno Krauß: Freewheel ist der Monetarisierungsarm auf der Sell-Side von Comcast Advertising, der direkt mit Publishern und Broadcaster zusammenarbeitet. Wir fokussieren uns mit Audiencexpress hingegen auf die Demand-Seite. Wir arbeiten hierzulande zwar unter dem Dach der Freewheel Germany GmbH, haben jedoch innerhalb von Comcast Advertising eine eigene Entität bekommen.

Letztlich sind wir der Media-Vermarkter von Comcast Advertising in Europa und wollen hierzulande das neue TV-Ökosystem aufbauen. Natürlich kümmern wir uns auch noch um Instream und Outstream, konzentrieren uns aber insbesondere auf CTV und ATV. In drei bis fünf Jahren heißt das meiner Meinung nach übrigens eh alles wieder TV.

ADZINE: Ihr segelt also unter der Flagge des Giganten Comcast mit 200.000 Mitarbeitern. In den USA habt ihr laut eigener Aussage den “neuen” TV-Markt mitgestaltet. Welche Rolle spielt ihr für den Aufbau der Infrastruktur von CTV und ATV in Deutschland?

Krauß: Stimmt, in den USA kommt man im Bereich TV-Werbung nicht an Comcast vorbei, weil der Konzern die Währung und Abrechnungsgrundlage des Markts komplett aufgebaut hat. In Europa profitieren wir natürlich von diesem Standing und auch davon, dass wir unter anderem der Adserver von der CBS oder Pluto TV sind. In ATV sind wir logischerweise für Sky tätig, da es zur Familie gehört.

Was die konkrete Entwicklung betrifft, haben wir in Deutschland beispielsweise als erster das Ad Podding für beide Seiten, also Publisher und Werbetreibende, angeboten, um die klassische TV-Werbeinsel nachzubauen. Damit lassen sich die Blöcke positionsgetreu programmatisch ansteuern. Außerdem hat Freewheel als einer der Ersten die Nutzung von Login-Daten aus CTV vorangetrieben, um einen Mix an Datenpunkten anzubieten.

ADZINE: Was sind das für Daten und woher stammen sie?

Krauß: Die Daten stammen von unseren Partnern, also den Publishern. Dazu zählen unter anderem auch Längen- und Breitengrade, um das Geo-Targeting bereitzustellen. Dies kann mithilfe externer Datenanbieter mittlerweile auch erweitert und beispielsweise über die E-Mail-Adresse gematcht werden. Diese Wege sind allerdings noch nicht skalierbar. Daher denke ich, dass Identifier im digitalen TV das nächste große Thema sein werden.

ADZINE: Was muss geschehen, damit die Reichweite und der Dateneinsatz skalierbar werden?

Krauß: Hier kommt es unter anderem auf die weitere Konsolidierung an. Wer hat die Nase vorn in Sachen Identifier, wie geht es bei den Betriebssystemen weiter? Wer hat die meisten Anschlussmöglichkeiten?

Das TV-Ökosystem wird von einem offenen Ansatz leben, der schnell adaptiert werden kann. Sonst wird die nötige Reichweite niemals kommen, um dauerhaft Budgets zu sichern. Die Kombination mit den Daten funktioniert auch nur bei einer gewissen Offenheit im System. Selbst Akteure wie Netflix werden wahrscheinlich irgendwann vor dieser Herausforderung stehen, wenn sie nicht einen offeneren Ansatz verfolgen.

ADZINE: Welche Rolle spielen die traditionellen TV-Sendergruppen?

Krauß: Da sprechen wir in Deutschland von einem Markt mit zweieinhalb Playern – öffentlich-rechtliche zähle ich nur halb, da sie nur teilweise werbefinanziert sind. Diese klassischen TV-Häuser sind aufgewacht, weil deren Geschäftsmodelle bedroht werden. Deren etabliertes System wird über Apps zugänglich gemacht und das in einer ungeahnten Geschwindigkeit. Diese Dynamik hatten die Senderchefs sicherlich noch nicht so schnell auf der Agenda. Die Beschleunigung entstammt unter anderem der Pandemie und Weiterentwicklung der Endgeräte.

Die Unruhe in Unterföhring und Köln durch die Reorganisationen ist auch nach außen gedrungen. Das nächste Jahr wird daher sicher einiges an Änderungen mit sich bringen.

ADZINE: Wird die Vereinheitlichung des fragmentierten CTV-Markts in Deutschland weiter voranschreiten?

Krauß: Den Höhepunkt der Fragmentierung haben wir noch nicht erreicht. Das CTV-Ökosystem entwickelt sich dynamisch weiter. Meiner Meinung nach schauen wir zurück auf die ersten drei Jahre einer CTV-Dekade und die Gewinner am Markt haben sich noch gar nicht herauskristallisiert.

Das gilt für Inhalte ebenso wie für Zielgruppen. Im Bereich Gaming kann beispielsweise morgen jemand auf die Idee kommen, über die App-Stores eine App für ganz Europa bereitzustellen und darüber zu streamen. Da sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange, was die Inhalte betrifft. Es gibt bereits jetzt schon eine ganze Reihe von Inventaren, die kaum jemand auf dem Schirm hat.

Momentan sind wir also noch in der Entdeckungsphase und das Ökosystem wird von den Zielgruppen zunehmend erschlossen. Nicht nur die Gen-Z hat inzwischen erkannt, dass ein kleiner Bildschirm nicht so eine schöne Nutzererfahrung wie ein TV bietet. Auch die Älteren entdecken Streaming zunehmend für sich.

ADZINE: Du sagtest nach deinen Beobachtungen in Cannes: “Statt Inhalte zu kaufen, sollten Werbetreibende zum Kauf von Zielgruppen übergehen”. Was meinst du damit?

Krauß: Bislang wird noch immer eher kontextuell und contentbasiert Werbung geschaltet. Doch wenn Impressionen über verschiedene Vertriebskanäle und Medienunternehmen hinweg gesammelt, analysiert und aufbereitet werden, bietet das einen enormen Vorteil. Denn dann können Zielgruppen datenbasiert und daher sehr genau angesprochen werden.

ADZINE: Vielen Dank für das Interview, Tanno!

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