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Gründe und Folgen der drohenden Cookiecalypse

Prof. Dr. Sascha Hoffmann, 19. November 2021
Bild: Davide

Bislang können Werbetreibende im Internet auf ein sehr spezifisches Targeting zur Aussteuerung ihrer digitalen Werbekampagnen zurückgreifen, das auf einem detaillierten Tracking, also der Nutzerverfolgung im Internet, beruht. Fürs Tracking werden bislang vor allem Third-Party-Cookies eingesetzt, mit deren Hilfe zumeist das websiteübergreifende Browsingverhalten von Usern erfasst wird. Gleichwohl ist das Ende des Cookie-Zeitalters bereits eingeleitet worden und dürfte spätestens 2023 erreicht werden. Hierfür gibt es mehrere Gründe, die sich ergänzen.

Zustimmen, löschen, verhindern

Erstens müssen Websitebetreiber spätestens nach Inkrafttreten der DSGVO im Jahr 2018 sowie der europäischen ePrivacy-Richtlinie über den Einsatz von Cookies informieren, und die Website-User müssen ihre aktive Zustimmung (Consent) für den Einsatz von insbesondere Marketing-Cookies geben. Dabei dürfen User, die ihre Zustimmung verweigern – anders als etwa bei einem aktivierten Adblocker – nicht vom Websitebesuch ausgeschlossen werden.

Gleiches gilt auf Smartphones für die Nutzung der Identifier for Advertisers bzw. Advertising-IDs, wobei die Zustimmung bislang durch den jeweiligen App-Betreiber bei der Erstnutzung einer App eingeholt wurde. Mit dem iOS-Update 14 hat Apple die App-Betreiber jedoch verpflichtet, die Zustimmung durch ein zentrales Zustimmungstool von Apple (Tracking Transparancy Prompt) vom User einzuholen. Offiziell erfolgte diese Umstellung, um für iOS-User eine höhere Transparenz in Bezug auf ihre Datennutzung sicherzustellen. Die App- und Werbebranche befürchtet jedoch, dass dadurch künftig nur noch ein Bruchteil der iOS-User eine Tracking-Zustimmung geben werden.

Neben der Notwendigkeit, dass User Cookies bzw. IDs aktiv zustimmen müssen, konnten Cookies schon immer von ihnen jederzeit in ihren Browsern gelöscht werde. Auch Mobile IDs, auf die hier nicht im Detail eingegangen wird, lassen sich vom User im Smartphone zurücksetzen, was ebenfalls zur Folge hat, dass die bislang gesammelten Informationen nicht mehr nutzbar sind. Und immer mehr Browser, wie Firefox von Mozilla bzw. Safari von Apple, unterbinden im Rahmen einer sogenannten Tracking-Prevention die Speicherung von Cookies, allen voran Third Party-Cookies, inzwischen sogar standardmäßig bzw. löschen diese nach kurzer Zeit automatisch, selbst wenn ein User der Speicherung eines Cookies auf einer Website zugestimmt hat.

Spätestens jedoch, nachdem Alphabet („Google“) 2020 angekündigt hat, dass ihr Chrome-Browser, der weltweit über alle Endgeräte hinweg bezogen auf die Page Views einen Marktanteil von fast zwei Drittel hat (StatCounter 2021), ab 2023 keine Third Party-Cookies mehr zulassen wird, ist die gesamte Online-Marketing-Branche in Aufruhr („Cookiekalypse“) und sucht fieberhaft nach alternativen Tracking- bzw. Targetingansätzen.

Große Plattformen wie Facebook oder Amazon werden auch künftig das Nutzungsverhalten ihrer User intensiv analysieren können, um mit diesen First Party-Daten neben der eigenen Angebotsoptimierung auch weiterhin detaillierte Targetingmerkmale für Werbeunternehmen zu generieren. Abgesehen von diesen großen, aber geschlossenen Ökosystemen (Walled Gardens), dürften den meisten Websitebetreibern ihre First Party-Daten jedoch nicht ausreichen, um Werbetreibenden ein attraktives Targeting anbieten zu können.

Alternative Lösungsansätze

Als websiteübergreifende Lösung werden aktuell insbesondere ID-Lösungen, wie beispielsweise die NetID der Mediengruppe RTL Deutschland, ProSiebenSat.1 und United Internet, diskutiert. Der grundlegende Ansatz von ID-Lösungen ist, Websitebesuchern ein Angebot zu machen, für das sie bereit sind, sich mit Ihrer E-Mail-Adresse (oder einem anderen eindeutigen Identifikator) zu registrieren. Dieser Identifier wird kryptographisch verschlüsselt („gehasht“). Die auf diese Weise generierte ID ist eindeutig, lässt sich aber nicht mehr in die ursprüngliche E-Mail-Adresse zurückverwandeln. Die ID erfüllt damit alle Anonymitätsanforderungen, so dass sie beispielsweise innerhalb eines Werbenetzwerks website- und geräteübergreifend genutzt werden kann (Priebe 2021a).

Neben den diversen ID-Lösungen, welche derzeit vorangetrieben werden, arbeitet auch Google an einer eigenen Lösung namens Federated Learning of Cohorts (FLoC), die nach dem Wegfall der Third Party-Cookies ein datenschutzkonformes Targeting im Chrome-Browser ermöglichen soll. Danach sollen User auf der Basis ihres Surfverhaltens unmittelbar im Browser Kohorten zugeordnet werden, die Werbetreibenden als anonymisierte Zielgruppensegmente mit jeweils mehreren tausend Mitgliedern als Targeting zur Verfügung gestellt werden (Priebe 2021b).

Als weitere Alternative wird immer wieder auch ein digitales Fingerprinting diskutiert, das technisch bereits seit Längerem existiert, sich jedoch – zumindest im Online-Marketingkontext – bislang nicht großflächig durchsetzt. Bei dieser Methode wird eine individuelle Signatur des verwendeten Endgerätes erstellt. Diese enthält spezifische Informationen zu Merkmalen und Einstellungen des jeweiligen Gerätes, beispielsweise zum Computerprozessor, zur Graphikkarte und zur Bildschirmauflösung, zum Betriebssystem, zur verwendeten Browserversion inklusive ggf. installierter Plugins sowie der eingestellten Sprache. Durch diesen „digitalen Fingerabdruck“ lässt sich ein Endgerät eindeutig identifizieren und dadurch wiederum das Browsingverhalten websiteübergreifend nachvollziehen. Voraussetzung ist jedoch, dass alle Websites die Trackingmethode implementiert haben.

Die Erfolgsmessung wird schwierig

Ein umfassendes Tracking ist auch Grundvoraussetzung für die Ermittlung der Wirkung von Werbekampagnen bzw. allgemein des Erfolgsbeitrags einzelner Touchpoints entlang der Customer Journeys. Daher dürfte sich der künftige Wegfall von Third Party-Cookies auch massiv auf die Attributionsmodellierung auswirken. Wahrscheinlich wird man sich bei der Analyse auf die Touchpoints beschränken müssen, bei denen es zu einer Werbemittelinteraktion (Klick) gekommen ist. Dies dürfte zu erheblichen Unschärfen in der Attributionsmodellierung führen, die sich jedoch evtl. mit einem ergänzenden Mediamix-Modelling abfedern lassen, bei dem über statistische Zeitreihenanalysen die Wirkung von Werbebudgets auf den Unternehmensumsatz ermittelt werden.

Als (Zwischen-)Fazit lässt sich festhalten, dass die Digitalbranche derzeit aufgrund der massiven Einschränkungen von Third Party-Cookies und den damit einhergehenden Veränderungen beim Tracking und Targeting in Aufruhr ist. Ob sich einer der aktuell diskutierten ID-Ansätze künftig im digitalen Werbemarkt als zentrale Lösung durchsetzen wird, ist unklar. Bislang wird vielmehr davon ausgegangen, dass es auf einen Mix an unterschiedlichen ID-Lösungen, Kohorten sowie einer Renaissance des kontextuellen Targeting für unbekannte User hinauslaufen wird (Priebe 2021c). Die Digitalbranche ist jedenfalls – wieder einmal – im Umbruch.

Bild Prof. Dr. Sascha Hoffmann Über den Autor/die Autorin:

Prof. Dr. Sascha Hoffmann hat eine Professur für Online-Management an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Davor war er u.a. Director Business Development bei XING sowie Leiter Produktmanagement bei blau Mobilfunk (blau.de). Seine Schwerpunkten sind E-Commerce, Online Marketing und digitales Produktmanagement.

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