Gesetzgebung, Verbraucherforderungen und technologische Rahmenbedingungen verändern die Möglichkeiten der Werbeindustrie, künftig Daten zu teilen und für ihre Zwecke zu aktivieren. Neben dem verschärften Datenschutz erschwert insbesondere auch die derzeitige Entwicklung hin zu vielen unterschiedlichen Identity-Lösungen im Markt personenbezogene Werbung. Uli Hegge, SVP für Zentraleuropa beim Tech-Unternehmen Infosum, geht im Interview darauf ein, wie gemeinsame Datennutzung in Zukunft aussehen könnte und welche Fragen sich die Marktteilnehmer aktuell stellen sollten, um sich darauf vorzubereiten.
ADZINE: Hallo Uli, bitte erkläre Infosum in so wenig Worten wie möglich.
Uli Hegge: Infosum ist eine technische Infrastruktur. Wir sind damit nicht Bestandteil der Adtech-Transaktionskette wie etwa eine DSP oder SSP, sondern eine Datenbank-Technologie, mit der Partner ihre Daten gemeinsam nutzen können, ohne sie je physikalisch zusammenzubringen, auch nicht über ein Mapping Table.
ADZINE: Dazu arbeitet ihr mit Modellen der Daten, richtig?
Hegge: Genau, es werden mathematische Repräsentationen der Identitäten und dazugehörigen Informationen auf einer abstrahierten, rein aggregierten und statistisch auswertbaren Ebene abgeglichen.
Ein Beispiel: Wir errechnen für zwei Unternehmen jeweils mathematische Repräsentationen ihrer Datenbanken. Die eine Repräsentation “sucht” Immobilien-Interessierte zwischen 40 und 55 Jahren und “fragt” nach etwaigen Überschneidungen bei der anderen. Die Basis bilden zwar echte CRM-Daten, es wird aber nur zurückgespielt, wie viele Überschneidungen vorliegen. Zusätzlich werden verschiedene Methoden angewandt, um zu vermeiden, dass sozusagen aus Versehen die Schnittmengen so klein werden, dass doch über bestimmte Attribute ein Personenbezug hergestellt werden könnte. In der Phase der Aktivierung werden sie wiederum aufgelöst in die IDs, die in den jeweiligen Segmenten zur Verfügung stehen. Es findet keine Anreicherung statt – jeder arbeitet mit dem, was er vorher schon kannte.
ADZINE: Das klingt nach einem Data Clean Room, aber ihr nennt euch “Data-Collaboration-Plattform”. Was unterscheidet euch von der Technologie?
Hegge: Ein Data Clean Room ist typischerweise eine Zusatzlösung, in dessen Rahmen Daten bei einem unabhängigen Dritten hochgeladen und dort so verarbeitet werden, dass sie wiederum in weiteren Systemen mit anderen Datensätzen zusammengeführt, analysiert und ausgewertet werden können.
Wir funktionieren anders und das Resultat ist auch anders. Bei uns werden Daten nicht zusammengeführt, auch nach dem “Cleansing” nicht. Wir haben übrigens auch keinerlei Zugang zu den Datenbanken unserer Kunden. Bei uns “reden” nur die Modelle der Daten miteinander, und die Rohdaten werden nach der Umrechnung gelöscht. Wir stellen also auch die Funktion eines DCR zur Verfügung, ohne dass die Daten das System beziehungsweise die Datenbanken noch einmal verlassen müssen. Mit unserer Systemarchitektur ermöglichen wir die “Collaboration”, das heißt das gemeinsame datenschutzkonforme Nutzen von Daten von hoher Qualität, wie eben auch CRM-Daten. Die Data-Clean-Room-Funktionalität ist dafür eine zwingende Voraussetzung, und deswegen integraler Bestandteil unserer Technologie.
ADZINE: Im Advertising lautet eure Aufgabe wohl häufig Adressierbarkeit herzustellen. Wie ist der aktuelle Stand auf dem Markt der ID-Lösungen? Welche Lösungsansätze gibt es und was hältst du von denen?
Hegge: Eine Kategorie möchte ich von vornherein ausschließen und als nicht zukunftsfähig deklarieren: Das sind alle Lösungen, die in irgendeiner Form versuchen, das, was es vorher schon gab, zu perpetuieren – also einen Third-Party-Cookie in irgendeiner Form wiederherzustellen. Wenn ein Marktteilnehmer wie Google sagt, dass sie keine Raw-IDs oder persistenten Third-Party-IDs im Bid Stream aktivieren, sind sie de facto tot, obwohl sie rechtlich gesehen mit dem entsprechenden Consent noch einsetzbar wären. Und das gilt auch nach der Ankündigung der Verschiebung durch das Chrome-Team weiterhin, sie haben das noch einmal sehr klar gesagt.
ADZINE: Welche Lösungen führst du in der Kategorie?
Hegge: Diese Lösungen sehen wir praktisch gar nicht in Europa oder Deutschland, wenn es um die nächste Generation von ID-Graphen geht – historisch gibt es davon aber noch eine Menge. Es existieren Mischformen, bei denen noch nicht ganz klar ist, wo die Reise hingeht.
ADZINE: Welche ID-Ansätze sind denn zukunftsfähig?
Hegge: Ich denke, dass die NetID mit allen Herausforderungen, die sie hat, erfolgreich sein wird. Auf der Advertiser-Seite wird sie zwar nur zögerlich angenommen, aber die Verknüpfung einer verteilten ID mit den Consent-Informationen ist meiner Meinung nach der richtige Weg. Und die Publisher haben ja bereits angefangen, First-Party-Beziehungen aufzubauen und Strategien dafür zu entwickeln.
Daneben gibt es eine Menge ID-Anbieter dort draußen, die versuchen datenschutzrechtlich das Richtige zu tun, aber zu stark aus der Industrieperspektive blicken. Für nachhaltige Lösungen geht es jedoch um die Nutzerperspektive. Außerhalb der GAFAs glaube ich ausschließlich an ID-Lösungen, die unabhängig sind und First-Party-Strategien mitsamt des Einverständnisses der Nutzer abbilden.
ADZINE: Allgemein ist man sich einig, dass es wohl nicht die eine ID-Lösung, sondern eine Multi-ID-Zukunft geben wird. Wie sieht die deiner Meinung nach aus?
Hegge: Das ist erstaunlich offen, trotz der vielen Diskussionen und Ansätze im Markt. Im Großen und Ganzen wird es um eine möglichst direkte Beziehung zwischen Mensch und Anbieter gehen. Dafür brauchen wir Mechanismen, die eine ID vorhalten, um diese Beziehung sauber und transparent für alle aufrechtzuerhalten. Daneben existiert aber immer noch eine Ebene, auf der Marktteilnehmer operieren, die groß und wichtig genug sind, um deren individuelle ID – die den eigenen Interessen entspricht – einzusetzen.
Gleichzeitig müssen wir Reichweite für die Marketingwelt herstellen. Dies funktioniert entweder mit übergreifenden Systemen oder Multi-ID-Resolution-Lösungen. Ein Problem sehe ich da allerdings: Bei nahezu allen diesen Lösungen gehen First-Party-Daten an einen Anbieter, der typischerweise einen Mapping Table aufgebaut hat, in dem First-Party-IDs miteinander abgeglichen und zusammengeführt werden. Das kann zwar je nach vorliegendem Consent in Ordnung sein, aber im Zweifel bauen sie eine weitere Ebene auf, die genau die Synchronisierungsfunktion übernimmt, die vom Gesetzgeber nicht mehr gewollt ist.
ADZINE: Wie sollte es anders gehen?
Hegge: Unser Ansatz ist es, eine virtuelle Kette der IDs aufzubauen, in der die Beteiligten definieren können, mit wem sie in welcher Form – mit welchen IDs – zusammenarbeiten wollen. Zur Aktivierung werden sie später nur so exportiert, wie sie vorher dem jeweils Berechtigten zur Verfügung standen. Zu keinem Zeitpunkt wird dafür ein Mapping Table bei uns aufgebaut.
Lass mich das anhand eines Beispiels erklären: Zwischen zwei Datensätzen liegt ein gemeinsames Merkmal, also eine übereinstimmende ID wie die NetID, vor. Kommt nun ein dritter dazu, der nicht mit dem ersten, aber mit dem zweiten eine Übereinstimmung vorweist – etwa anhand von E-Mails –, kann das zu einer Gesamtreichweite erweitert werden. Diese Daten werden dann bei der Aktivierung nicht für alle in Form eines übergreifenden, angereicherten Segments mit einem gemeinsamen, einheitlichen Identifier exportiert, sondern bleiben innerhalb der vorliegenden Permissions. Wir ermöglichen also die Nutzung verschiedener Identifier, ohne dass sie in einem zentralen Mapping Table zusammengeführt werden müssen, und verhindern damit mögliche Probleme, die sich daraus ergeben. Somit müssen sich die Marktteilnehmer noch nicht entscheiden, auf wen sie setzen, selbst wenn sich ein bestimmter Identifier für einzelne Segmente durchsetzt.
ADZINE: Was schlägst du den Marktteilnehmern vor, um sich auf diese Zukunft vorzubereiten? Ich entnehme deiner Antwort, dass man sich nicht auf einen einzelnen ID-Anbieter versteifen sollte?
Hegge: Meine Empfehlung zum jetzigen Zeitpunkt lautet zu definieren, welche Beziehung man mit seinen Kunden haben möchte und was das in der Datenwelt, die ich verwenden kann und will, bedeutet. Welche Art von Login, welche Art von First-Party-Daten oder Cookies will ich verwenden und welche Use Cases ergeben sich daraus? Mit wem will ich zusammenarbeiten, also wer sind meine wichtigen Partner, und bekomme ich diese Kette geschlossen im Sinne der Personen, die meine Dienste nutzen?
Mein Tipp ist es, ausgehend von der Erwartungshaltung der Kunden und nicht nur der anderen Marktteilnehmer, den nächsten Schritt zu planen und zu eruieren, was rechtlich einwandfrei abbildbar ist und damit zukunftssicher. Und sich dann zu entscheiden, mit welchen Partnern ich arbeiten will.
ADZINE: Danke für das Interview, Uli!
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