Noch gut ein Jahr hat die Werbewelt, dann soll der Third-Party-Cookie als Identifikator verschwinden. Wie es dann weitergeht, ist noch recht offen. So hat Google wenige Tage vor Testbeginn seine Kohorten-Initiative für den Chrome-Browser FLoC für den europäischen Raum selbst einkassiert – es gab scheinbar Bedenken ob der DSGVO-Konformität. Andere Bestrebungen am Markt sind da schon deutlich weiter, darunter der Einsatz hochwertiger First-Party-Daten, die viele Unternehmen seit Jahren von Kunden und Websitebesuchern erheben. Um diese Daten mit anderen Playern zu vergleichen und die richtigen Schlüsse für das eigene Marketing zu ziehen, eignet sich das Konzept Data Clean Room (DCR). Aber ist die Technologie schon bereit – und ist es die Werbewirtschaft?
In Bezug auf die Werbewirtschaft gilt ein klares: Fast. Im Adtech-Markt können wir derzeit den Beginn des „Age of Collaboration“ beobachten, sowohl bei verschiedenen ID-Initiativen (die Prebid-Initiative Unified ID 2.0 und auch die deutsche Login-Allianz NetID verkünden stetig weitere Unterstützer) als auch im Umgang mit den eigenen Premiumdaten durchläuft die Branche gerade einen Paradigmenwechsel. Die Digitalverantwortlichen bei Advertisern und Publishern gleichermaßen erkennen nämlich den Wert und die Limitationen ihrer First-Party-Daten und streben individuelle Partnerschaften an, um ihr Targeting und die Werbewirkungsmessung künftig weiterhin umsetzen zu können. First-Party-Daten sind unheimlich wertvoll, aber sie entfalten ihre volle Kraft erst dann, wenn man gemeinschaftlich mit ihnen arbeitet. Der Haken: Dabei wollen sie keinesfalls an Datenschutz und -hoheit einbüßen. Und genau hier ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig, denn mit Data Clean Rooms ist das bereits möglich.
Funktionsweisen und Argumente für Data Owner
Zunächst einmal ist ein Data Clean Room nur eine technologische Infrastruktur, meist cloudbasiert, die zwei oder mehr Parteien nutzen können. Dabei verknüpfen sie unter Einhaltung von Verschlüsselungsmechanismen ihre Datensätze. Maschinen und Analysten suchen dann lediglich nach statistischen Überschneidungen und Mustern. Die Partner teilen dabei nicht ihre eigentlichen Daten, sondern nur die gewonnenen Erkenntnisse.
Dabei folgt die Infrastruktur strengen Prinzipien: Alle Datensätze werden komplett voneinander getrennt gelagert. Auf granularer Ebene sind sie nur für denjenigen einsehbar und einsetzbar, der sie auch hineingegeben hat. Die Datenhoheit bleibt also gewahrt. Zugleich sind DCR damit Enabler einer datenschutzkonformen Zusammenarbeit für das offene Internet. Am Ende erhält jeder Partner nur seine eingebrachten Datensätze, inklusive der aus den Gemeinsamkeiten gewonnenen Erkenntnisse – entweder als Insights Report oder als Modell für sein Targeting.
Auch technologisch ist der Markt bereit: Im vergangenen Jahr haben sich gerade im englischsprachigen Raum spannende Cases für die personalisierte Werbeansprache und Werbewirkungsmessung mit Data Clean Rooms herausgebildet.
Werbewirkung: Unilever löst Cross-Plattform-Messung in Walled Gardens
Unilever misst seine Werbeergebnisse über Google, Facebook und Twitter hinweg mittels Data Clean Rooms. Der FMCG-Gigant stellt seine First-Party-Daten zur Verfügung, die Plattformen wiederum Informationen über die Reichweite, die Häufigkeit, den Umsatz und den Markenwert der Ads. Diese Informationen gehen an Kantar und Nielsen. Die Marktforschungsspezialisten verarbeiten und anonymisieren die Datenströme als unabhängige Intermediäre in einem Data Clean Room, um zu ermitteln, wo Unilevers Werbegelder ineffizient eingesetzt sind. So können sie erkennen, ob dieselbe Person ungewollt auf den drei Plattformen mit denselben Anzeigen konfrontiert war. Auch TV-Daten sind in das Modell einbezogen.
Die Methodik ist zwar noch nicht perfektioniert: Die Marktforschungsunternehmen bilden Data Clean Rooms auf Basis ihrer Panelisten und damit anhand einer vergleichsweise kleinen Stichprobe ab. Aussagekräftiger wäre die übergreifende Verknüpfung von Walled-Garden-Kampagnendaten mithilfe eines reichweitenstarken Cross-Device-Networks. Doch erstmals Einblick in die eigenen Daten über Google & Co. zu erhalten und die Messbarkeit der eigenen Kampagnen selbst in die Hand zu nehmen, ist ein spannender Ansatz für viele Werbungtreibende.
Targeting: So werben Advertiser auf Channel 4s Streaming-Plattform
Werfen wir nun einen Blick auf das Targeting – ein neuer Anwendungsfall für Data Clean Rooms, der bereits im Connected TV einige spannende Cases hervorbrachte. In England setzt der Fernsehsender Channel 4 auf den Einsatz von DCR, seitdem er die Targeting-Möglichkeiten auf seiner Streaming-Plattform All 4 erweitert hat. Der Data Clean Room soll dem TV-Sender dabei helfen, etwaige Befürchtungen vorsichtiger Werbetreibender hinsichtlich des Datenschutzes zu zerstreuen, wenn sie ihre eigenen First-Party-Daten mit denen des Senders matchen und so targeten wollen.
Dafür stellt Channel 4 über das Tool Brandmatch die Reichweite seiner 23 Millionen First-Party-Daten für Werbetreibende in einem virtuellen Reinraum zur Verfügung. Advertiser können ihre Zielgruppe über ein Dashboard suchen, indem sie ihre eigenen Kundendaten eingeben, diese mit denen des Senders abgleichen und dann zielgenau bewerben können. Werbetreibende können so ihre Zielgruppen im Connected TV völlig datenschutzkonform identifizieren.
TV ist als wichtigster Werbekanal in puncto Datenzugänglichkeit noch immer Neuland. Dabei könnten sich gerade Erkenntnisse, die zur Optimierung der TV-Maßnahmen führen, als größter Hebel im Marketing-Mix vieler Advertiser herausstellen.
Warmlaufen statt Kaltstart
Einige notwendige Grundlagen für Datenpartnerschaften mit Data Clean Rooms dürften somit schon feststehen, allen voran: Ein Unternehmen besitzt First-Party-Daten. Zu diesen muss der Advertiser zunächst Zugang im eigenen Unternehmen und eine Übersicht über die Qualität und den Umfang gewinnen. Auch an der Taxonomie wird der Werbetreibende noch arbeiten müssen. Einen Teil der Datennormalisierung nehmen Clean Rooms dem Werbenden zwar ab, dennoch müssen beide Datensätze grundlegend für den Einsatz im DCR vorbereitet werden. Für diese Aufbereitung und die spätere Pflege braucht es Fachpersonal. Erst dann kann die Suche nach einem geeigneten Datenpartner und einem Anbieter für Data Clean Rooms so richtig beginnen. Kriterien für die Entscheidung, ob und mit wem man eine Partnerschaft eingeht, sollten anhand der Zielsetzungen festgelegt werden: Möchte ich mit den Erkenntnissen unsere Produkte oder Services verbessern? Ziele ich auf die Optimierung meiner Mediapläne ab? Oder will ich meine Werbeansprache personalisieren und die Ausgaben auf die verschiedenen Kanäle attribuieren?
Den richtigen Datenpartner und die passende Technologie finden
Den richtigen Datenpartner zu finden ist wichtig, denn der Nutzen, den der Marketer durch die Zusammenarbeit generiert, steht und fällt bereits mit den Daten des anderen. Deswegen sollte der künftige Datenpartner – und auch das eigene Unternehmen – eine Reihe von Kriterien erfüllen. Zu diesen gehören der Mehrwert, der aus der Partnerschaft für beide Seite gezogen wird, ein eindeutiges Verständnis der Bedürfnisse beider Partner, gepflegte, DSGVO-konform erhobene, granulare First-Party-Daten sowie eine Schnittmenge in Bezug auf die Kunden oder die Produkte.
Bei der Auswahl der passenden Technologie sind ebenfalls einige Punkte zu beachten. Der Technologiepartner, der die Infrastruktur für den Datenaustausch bereitstellt, sollte nicht nur eine makellose Reputation als Treuhänder von Daten haben. Agiert er als unabhängiger Dritter am Markt, sichert der technologische „Vermittler“ damit auch eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe ab, wie beide Cases bereits zeigen. Viele verschiedene Machtgefälle, sei es im Verhältnis Kunde-Dienstleister oder Marke-GAFA, machen diese Neutralität erforderlich. Die Implementierung der Prozesse sollte angemessen schnell erfolgen. Und nicht zuletzt sollte der Technologiepartner von Haus aus bereits ein sehr gutes Know-how mitbringen, um das Unternehmen auch bei der Wahl des Datenpartners kompetent beraten zu können.
Data Clean Rooms stellen nicht nur für die Zukunft ein erfolgversprechendes Konzept für Premiumpartnerschaften unter Advertisern, Publishern und Werbenetzwerken dar. Bereits jetzt können alle Marktteilnehmer von ihnen profitieren und aus eigenen Anwendungsfällen lernen. Wer diese Aufwärmphase versäumt, wird später einen Kaltstart hinlegen müssen.
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