Offener Dialog und IDs sollen das digitale Werbe-Ökosystem retten
Anton Priebe, 11. December 2020Es gibt aktuell kaum ein heißeres Thema als Identity im Programmatic Advertising. Personalisierung von Werbung – die große Stärke des programmatischen Ansatzes – klappt nur, wenn User identifiziert werden können. Doch das Ökosystem abseits der Walled Gardens basiert seit Jahren auf dem Einsatz von Third-Party-Cookies, mit denen die Marktteilnehmer Profile zuordnen können. Und die Cookies haben schon bald ausgedient. Liveramp rüstet zurzeit stark auf und gilt als einer der größten, globalen Player unter den ID-Anbietern. Im Interview erklärt Kolja Brosche, Head of Strategic Growth bei Liveramp, wie die ID-Lösung arbeitet, worin der Unterschied zwischen Login und Authentifizierung besteht und wie er sich die Zukunft vorstellt.
ADZINE: Hallo Kolja, die Werbeindustrie sucht händeringend nach einer Möglichkeit, User auch ohne Cookies online identifizieren zu können – und das mit der entsprechenden Skalierung. Ihr glaubt mithilfe eures ID-Graphen eine solche Lösung entwickelt zu haben. Erkläre doch bitte kurz und in einfachen Worten, wie die Identifikation der User bei Liveramp funktioniert.
Kolja Brosche: Der erste Schritt ist immer, dass der User seinen Consent zur Nutzung seiner Daten gibt, üblicherweise über eine Consent-Management-Plattform beim Besuch einer Publisherwebsite. Daraufhin müssen sich die Nutzer ebenfalls auf der Seite des Publishers authentifizieren. Das kann durch einen Login geschehen, ist aber auch mit der Übergabe einer einzelnen, eindeutigen Information wie der E-Mail-Adresse oder Telefonnummer möglich.
Die E-Mail-Adresse wird auf Publisher-Seite gehasht, also codiert. Liveramp schlägt im nächsten Schritt im ID-Graph nach, ob der User bereits in der Datenbank existiert. Wenn das der Fall ist, spielen wir diese Information in den First-Party-Cookie des Publishers beziehungsweise an den Local Storage zurück. Falls wir den User nicht kennen, wird eine neue ID für ihn erstellt. Die gehashte E-Mail-Adresse wird nach der Verknüpfung wieder gelöscht.
ADZINE: Wo ist der Unterschied zwischen einem Login und der Übergabe einer E-Mail-Adresse?
Brosche: Ein Login setzt die Erstellung eines Accounts voraus. Bei uns geht es nur darum, dass der Publisher den User identifizieren kann. Das simpelste Beispiel für diese Übergabe der E-Mail-Adresse ist ein Fenster, das sich öffnet, um die Anmeldung für einen Newsletter oder eine Push-Notification abzufragen. An dieser Stelle kann von Liveramp direkt eine ID gebildet werden.
Das ist insofern wichtig, als ein News-Anbieter oder ein Wetter-Feature es schwer haben werden, einen User davon zu überzeugen, sich einen Account anzulegen. Eine niedrigere Hürde ist es, nur die E-Mail einzugeben.
ADZINE: Also wird eurer Meinung nach jeder Publisher bald eine eigene Schranke vor seinen Content bauen? Ist das praktikabel?
Brosche: Ich glaube nicht, dass es Logins sein werden, aber irgendeine eine Form der Authentifizierung, ja. Das mag ein marginaler Unterschied sein, aber psychologisch ein sehr großer.
Und ich glaube, dass wir uns daran gewöhnen werden. Momentan versuchen viele Systeme, die zum Beispiel auf Publisher-Seiten zum Einsatz kommen, den User in ein ‘Korsett’ zu pressen, um so unter allen Umständen zu einem Login zu kommen. Dabei geht es vielmehr um eine eindeutige Kommunikation der Vorteile: Welche Benefits bekommt der User durch die Authentifizierung? Ein positives Beispiel gibt uns die Arbeit der Streaming-Anbieter vor, die eine Personalisierung des Contents bereitstellen. Ein anderes ist die nahtlose Verknüpfung mit weiteren Diensten, wie es Anbieter als ‘Walled Garden’ durchführen. Freie Inhalte oder das Kuratieren von Content können ebenfalls gute Anreize sein.
Eine Bezahlschranke heißt immer ‘Stopp’. Doch Publisher haben oftmals eine sehr starke Brand und wenn sie ihren Benefit richtig kommunizieren können, dann verfügen sie über ein starkes ‘Gateway’, durch das ein Nutzer gehen möchte.
ADZINE: Wie überzeugt man denn den Nutzer, sich bei jedem einzelnen Publisher anzumelden, obwohl er freien Content gewohnt ist?
Brosche: Content gab es noch nie umsonst, er wurde schon immer mit Werbung finanziert. Das wurde dem User aber leider nur nie so klar gesagt. Die meisten Konsumenten wissen einfach noch nicht, dass sich viele Websites mit Werbung finanzieren und dass davon beispielsweise im Falle eines News-Publishers Journalisten bezahlt werden müssen.
Daher muss nun ein offener Dialog stattfinden, der den Konsumenten erklärt, dass der User entweder für ein monatliches Abo bezahlt, oder dass personalisierte Werbung auf Basis der individuellen Nutzungsinteressen ermöglicht wird, damit Werbung in der größtmöglichen Relevanz ausgeliefert werden kann und ein Publisher das entsprechend monetarisieren kann. Das ist eine klare Ansage und dann geben sie auch den Consent. Ganz wichtig ist, dass dabei immer Transparenz und Vertrauen im Mittelpunkt stehen. Denn das Konsumentenvertrauen ist teilweise verloren gegangen.
ADZINE: Zurück zu eurer Technologie – ein ID-Graph ist deiner Beschreibung nach eine Sammlung von Schlüsseln beziehungsweise Kennzahlen, die einander zugeordnet werden können. Darüber hinaus werden keine Daten geliefert. Woher stammt das Wissen, das über die Nutzer zusammenkommt?
Brosche: Liveramp stellt nur die Verbindung her, das Wissen stammt vom Markt selbst. Die Marktteilnehmer, die sich die ID teilen, können Informationen daran koppeln und diese teilen. Zum Beispiel speichert ein Advertiser die Information, dass es sich bei dem User um einen Bestandskunden handelt. Eine Supply-Side-Plattform speichert die Information über die Sichtkontakte, die eine Nutzerin oder ein Nutzer in den letzten 24 Stunden durch die Auslieferung der Werbung hatte.
Der Publisher wiederum speichert die Information, dass die Nutzer in den letzten sieben Tagen zwanzigmal auf der Seite waren und sich für Sport, Finanzen und Kochen interessiert haben. Jeder Marktteilnehmer besitzt anderes Wissen über die Nutzer, die er an die ID knüpft. Und wenn jetzt etwa Focus diese Information teilen möchte mit zum Beispiel einer Sportmarke, dann kann wesentlich granulareres Targeting und Personalisierung umgesetzt werden.
ADZINE: Wie schafft ihr die Verknüpfung zwischen den einzelnen Kanälen? Beim Smart-TV beispielsweise meldet man sich doch nicht mit seiner E-Mail-Adresse an? Wie kommt dann etwa die Verbindung zum Smartphone oder zum PC zustande?
Brosche: Das geht noch sehr viel weiter, da spielt auch das Thema IoT mit hinein, zum Beispiel Smart Speaker oder Connected Car. Eines haben alle Lösungen gemeinsam: Die damit zusammenhängenden Features benötigen alle eine Authentifizierung vom User, damit das Gerät personalisiert Content oder Services zur Verfügung stellen kann. Und die können wir wie auf dem Desktop zuordnen.
Der Nutzer und die Nutzerin werden von Publisher-Seite aus auf allen Geräten eine Entwicklung feststellen, dass sie sich in irgendeiner Form authentifizieren müssen. Es klingt zwar komplex, einen Account anzulegen, aber die Authentifizierung wird immer einfacher. Die Technologie entwickelt sich weiter und übernimmt die Verknüpfung zum User. Aktuell ist meist die Eingabe der E-Mail-Adresse Standard – auch auf dem Smart-TV wie bei Walled-Garden-Systemen.
ADZINE: Damit eure Lösung funktioniert, benötigt ihr die entsprechende Reichweite bei allen Marktteilnehmern. Ihr seid in den USA schon recht gut in das programmatische Ökosystem eingebunden – das dient sicher als Argument für Advertiser die Liveramp-ID beim Bieten zu nutzen. Aber wie weit seid ihr mit der Integration in Deutschland? Und wie sieht das mit der Reichweite auf Publisherseite aus?
Brosche: Unsere Heimat ist San Francisco, daher besteht eine enge Verbindung zu allen Plattformen aus der Region. Wir sind mit Social-Plattformen wie Twitter, Snapchat, Instagram oder Facebook integriert und auch mit vielen internationalen Publishern sowie Adtech-Anbietern. Dazu zählen unter anderem Mediamath, Index Exchange, Dataxu oder Criteo. Daher sind wir für Advertiser interessant, die global skalieren wollen.
Lokal beginnt Liveramp immer damit, Kontakt zu den dort ansässigen Anbietern Verbindung aufzubauen. So haben wir in Deutschland als Erstes mit Virtual Minds eine Partnerschaft geschlossen. Burda war der erste auf Publisher-Seite, der dabei war, und wir sind gerade bei der Implementierung mit einigen Publishern, die aber noch nicht abgeschlossen ist.
ADZINE: Vielen Dank für das Interview, Kolja!
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