Lange Zeit drehte sich im Online-Advertising alles um personalisierte Werbung. Ein Profil-Targeting galt als der heilige Gral der Nutzeransprache: je persönlicher, desto wirkungsvoller. Doch DSGVO und die drohende Abkehr vom Cookie lassen Werbetreibende nun umdenken. Schnell wird dabei klar, Targeting funktioniert auch ohne personenbezogene Daten. Und das besser als vermutet.
„Durch die Auswahl der richtigen Datenquellen und der passenden Umfelder lassen sich ähnlich gute Kampagnen-Ergebnisse erzielen, wie bei einem personenbezogenen Retargeting“, ist Markus Plank, Managing Director Austria bei Adverserve – einer Digital-Marketing-Agentur mit dem Fokus auf Adtech – überzeugt. Die Daten, die Plank meint, scheinen auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich, entfalten ihr Potenzial aber dann, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Orten und Umfeldern kombiniert werden. Allerdings muss bedacht werden: je mehr Daten in eine Kampagne einfließen, desto stärker muss sich dies auch im Kampagnenerfolg widerspiegeln. Die gute Nachricht: Manche Daten sind öffentlich zugänglich und können sogar kostenfrei genutzt werden.
Wetterdaten: Mehr Kundschaft für Möbelhäuser
Beispiel Wetterdaten: Von seinen Kunden aus den Bereichen Möbel und Retail weiß Adverserve, dass deren Ladengeschäfte bei schlechtem Wetter besser besucht werden und auch die Umsätze entsprechend anziehen. Also ist es sinnvoll, für Regionen mit schlechtem Wetter spezielle Kampagnen auszuliefern, mit denen Nutzer dazu eingeladen werden, ins Möbelhaus zu kommen. „Als besonders wirkungsvoll hat sich die Forceast-Funktion erwiesen. Das war auch für uns ein Learning“, sagt Plank. Es zeigte sich, dass Kampagnen besonders gut funktionieren, wenn sie schon ein paar Tage vor dem Wetterumschwung ausgespielt werden. Motto: „Das Wochenende wird verregnet, haben Sie schon etwas vor?“ Auf diese Weise wird eine aktuelle Information mit der Werbebotschaft verknüpft und der Nutzer inspiriert.
Selbst das Werbemittel kann wetterabhängig wechseln. Für einen Dachfensterhersteller lieferte die Agentur eine dynamische Kampagne aus, die sich rund 1600 verschiedener Werbemittel bediente. Auf Bundesland-Ebene wurden Wetterdaten für die deutsche Zielgruppe gezogen und die Kampagne entsprechend ausgesteuert. Wo es sonnig war, lag der Kampagnen-Tenor auf Verschattung, in bewölkten Regionen wurde das Thema Lüftung betont.
Ermöglicht wird diese nicht personenbezogene, aber trotzdem datenbasierte Aussteuerung durch eine Middleware, die Adverserve entwickelt hat und die offen für Daten-Anknüpfungen ist. Es können nahezu alle Datenquellen integriert werden. Die Middleware kann sich an DSPs andocken und die Kampagne entsprechend der mitgelieferten Daten regeln und aussteuern – all das im Millisekunden-Bereich.
Google Trends und Verkehrsdaten: Chance für Versicherer und Raststätten-Betreiber
Auch Google Trends wird von Adverserve genutzt, um Kampagnen ohne personenbezogene Daten in der Zielgruppe zu platzieren. So können Versicherer zum Beispiel gezielt Menschen in Hochwasserregionen ansprechen, sobald sich ein entsprechender Trend abzeichnet. Auch mit Verkehrsdaten hat die Agentur in Österreich bereits gute Erfahrungen gesammelt. Bei hohem Verkehrsaufkommen in einem bestimmten Gebiet wurden auf Mobilgeräten nahegelegene Raststätten verstärkt beworben.
Gesundheitsdaten: Neue Werbeoptionen für Pharma & Co.
Wetterdaten sind besonders vielfältig einsetzbar. Sie lassen sich beispielsweise auch mit Allergiker-Daten kombinieren. Entsprechend können in pollenbelasteten Regionen mit Online-Kampagnen gezielt Heuschnupfen-Medikamente beworben werden. Adverserve hat seine Middleware seit Kurzem mit den Daten für „Bluthochdruck-Wetter“ angereichert und damit den Anwendungsbereich erweitert. Stellt sich eine bestimmte Wetterlage ein, können zum Beispiel Pharmaunternehmen oder Krankenkassen entsprechende Arzneimittel oder Gesundheitsratgeber bewerben, die den betroffenen Menschen in diesen Regionen helfen. Für die DACH-Region und Italien hat die Agentur diese Daten bereits integriert. Und es gibt weitere Ansätze, um auch ohne personenbezogene Daten seine Zielgruppen zu erreichen. Ein wichtiger Aspekt ist das kontextuelle Targeting. Spannend zu beobachten ist dabei, wie sich die Technologien weiterentwickelt haben.
Kontextdaten: der Schlüssel zur Zielgruppe
Heutzutage wird nicht auf Kategorien oder Themen-Channel getargetet, sondern man ist in der Lage den Kontext einer Seite semantisch zu erkennen. Ein Beispiel dafür liefert Semasio: Kontinuierlich werden werberelevante URLs gecrawlt, die dem Anbieter von den DSPs zugespielt werden. Dabei identifiziert die Semasio-Technologie für diese URLs relevante Keywords, Phrasen und Themen und zieht daraus Rückschlüsse auf die Zielgruppe. Wenn der Targeting-Anbieter nun ein Pre-Bid-Request einer DSP erhält, ist darin auch eine URL-Information erhalten. Semasio überprüft in Echtzeit, für welche Zielgruppen diese URL relevant ist und spielt diese Information zurück. Dies funktioniert ohne Personenbezug und ohne Cookie. Statt Nutzerprofile anzureichern, werden bei der kontextuellen-Lösung von Semasio URL-Profile erstellt, die quasi als ein Identifikationsmerkmal für die Zielgruppen dienen.
Die semantische Analyse der Seiten geht dabei sehr tief. So kann Semasio erkennen, in welchem Zusammenhang Wörter vorkommen und somit ein Thema beschrieben wird. Anstatt beispielsweise alle Seiten von einer Kampagne auszuschließen, auf denen das Wort „Corona“ relevant ist, erkennt Semasio den Kontext. So kann das Thema „Corona“ aus Sicht eines Werbetreibenden auch positiv besetzt sein, zum Beispiel wenn es um Home-Office, Zusammenarbeit oder Videokonferenzen geht.
„Wir sehen eine URL nicht als Themen-Umfeld, sondern als einen nicht-personenbezogenen Identifier, der für eine bestimmte Zielgruppe steht“, sagt Anna Schenk, Managing Director EMEA bei Semasio. Was häufig noch als Veredlung von Kampagnen eingesetzt wird, kann auch als alleiniges Targeting-Kriterium eingesetzt werden. Ein Problem ist aktuell noch die Messbarkeit. Ohne Personenbezug und ohne Cookie ist es schwer, die Kampagnenperformance zu analysieren.
Den Kontext von Orten verstehen
Auch Adsquare nutzt den Kontext für seine Targeting-Lösung. Allerdings wird hier nicht der Kontext eines Inhaltes für die Zielgruppenansprache herangezogen, sondern der Kontext eines Ortes. Das Prinzip: Viele Apps erheben die Standortinformation eines Nutzers, die von der SSP als Teil eines Bid-Requests an eine DSP weitergegeben wird. Die Adsquare-Technologie erkennt die Geo-Koordinate und kann sie in Echtzeit mit einem auf der Karte hinterlegten Kontext anreichern. Der Kontext eines Raumes kann zum Beispiel durch POI-Informationen (Tankstelle, Restaurant, Fitnessstudio), Informationen zum Haushaltseinkommen einer Region, Wetter oder auch aktuell stattfindenden Events beschrieben werden. Passen Kontext und Zielgruppe zusammen, kann ein entsprechendes Werbemittel ausgespielt werden.
Dieses sogenannte Proximity Targeting funktioniert ohne Cookie und ohne Mobile Advertising ID. „Wenn Advertiser keine Cookies mehr benutzen können und die Reichweiten der Werbe-IDs weiter sinken, wird der Kontext eines Raumes an Bedeutung gewinnen“, prognostiziert Tom Laband, CEO & Co-Founder von Adsquare. Es sei für Werbetreibende zunehmend wichtig, nicht nur den Kontext eines Website-Inhaltes zu verstehen, sondern auch den Kontext von Orten, an denen sich Nutzer aufhalten, ist der Experte überzeugt. Für diese Entwicklung hat man sich gut aufgestellt: Der Technologieanbieter kennt die Standorte und die genauen Umrisse von mehr als 70 Millionen „Points of Interest“ und verfügt über entsprechende Kontext-Daten, die global über sogenannte Pre-bid Integrationen mit DSPs aktiviert werden können.
Selbstbestimmung statt Datensegment
Eine völlig anderen Weg geht man bei Welect. Der Softwareanbieter hat eine Lösung für Videowerbung entwickelt, bei dem die Nutzer das Targeting weitgehend selbst übernehmen. Das Prinzip: Möchte jemand auf einer Website ein Video anschauen, erscheint statt des üblichen Pre-Rolls ein Auswahlfenster. Dort kann sich der Nutzer aus 4 bis 6 verschiedenen Werbespots zu unterschiedlichen Themen aus unterschiedlichen Branchen einen Spot auswählen. „Werbetreibende möchten ihre Spots passgenau an ihre Zielgruppe ausspielen. Wir machen hier einen großen Sprung, weil sich die Menschen selbst die Kampagne aussuchen können, die für sie interessant ist“, sagt Philipp Dommers, Co-Gründer und Geschäftsführer von Welect. Da Nutzer dadurch bereits vorqualifiziert sind, seien vergleichsweise hohe Klickraten zu beobachten, so Dommers.
Damit dieses Prinzip möglichst optimal funktioniert, schafft der Anbieter im Vorfeld mit einem Geotargeting und einer Umfeld-Segmentierung die Rahmenbedingungen. Das Geotargeting stellt sicher, dass die Werbeangebote für den Nutzer auch in seiner Region relevant und verfügbar sind. Zusätzlich clustert der Dienstleister die verfügbaren Umfelder thematisch. Das erhöht die Chance, dass die ausgespielte Werbung wirklich zum Interesse des jeweiligen Nutzers passt, was sich wiederum positiv auf die Performance der Kampagnen auswirkt. Auch hier ist es die clevere Kombination von nicht-personenbezogenen Daten, die zum gewünschten Erfolg führt. Die genannten Beispiele zeigen: Es gibt nicht nur ein Leben nach dem Cookie, sondern auch Alternativen zur personenbezogenen Werbung im Web. Vielfalt hat noch nie geschadet.
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