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Kann die NetID das Identifier-Problem der Advertising-Branche lösen?

Anton Priebe, 18. Oktober 2019
Bild: Alex Iby - Unsplash, CC0

Die NetID Foundation will der Werbeindustrie einen einheitlichen Identifier abseits von Facebook und Google liefern, der die Verwendung von Cookies überflüssig machen und auch geräteübergreifend funktionieren soll. Dafür konnte die Stiftung bereits 70 Partner akquirieren und arbeitet derzeit gemeinsam mit ihnen im Rahmen der Plattform an neuen Produkten für die Werbewelt. Der nächste große Schritt ist die Akquise der Nutzer. Mit United Internet, ProSiebenSat.1 und der RTL-Gruppe als Mitgliedern, die ihre Accounts einfach mitbringen, ist bereits ein Fundament vorhanden, das es jedoch weiter auszubauen gilt. Sven Bornemann, Vorstandsvorsitzender der European NetID Foundation, verrät ADZINE, was für 2020 auf der Agenda steht.

Die Adtech-Welt beschäftigt sich zurzeit intensiv mit dem Thema ID. Einerseits steht der Cookie, der bislang die Identifikation von Nutzern übernommen hat, von der Legislative unter Beschuss (Stichwort DSGVO/ePrivacy). Andererseits verhindern Browser-Hersteller zunehmend die Nutzung von Drittanbieter-Cookies, die zum Matching im Adtech unbedingt benötigt werden. In der App-Umgebung spielen die Textdateien schon lange keine Rolle mehr und auch Adblocker tragen ihren Teil zur Debatte bei. Während sich Facebook und Google in ihren Walled Gardens bereits seit langem loginbasierte ID-Lösungen geschaffen haben, die auch ohne Cookies funktionieren, steht der Rest der Werbewelt vor einem Problem. Die NetID versucht dieses Problem zu lösen und gleichzeitig dem Nutzer das Leben im Netz einfacher zu machen – so jedenfalls das Versprechen.

Single Sign-On der NetID als unabhängiger Identifier

Bild: NetID Presse Sven Bornemann, NetID

Im Rahmen des NetID-Logins können sich Nutzer mit ihren bei einem NetID-Accountanbieter (zum Beispiel Web.de, GMX.de, 7Pass) hinterlegten Daten bei jedem Partner, der ein entsprechendes Login eingebaut hat, anmelden – mit ihrem bereits registrierten Benutzernamen und Passwort. Dieses Prinzip nennt sich “Single Sign-on” (SSO) und wurde von Google & Co. schon vorher im Netz etabliert. Es ermöglicht die serverseitige Identifikation des Nutzers, egal ob auf Desktop oder Mobile. Allerdings steht in diesem Fall kein US-amerikanisches, geschlossenes System dahinter, sondern eine Stiftung, wie Sven Bornemann betont: “Wir sind bewusst als Stiftung und nicht als Joint Venture gestartet, um unabhängig von den individuellen Interessen der Initiatoren zu sein. Alle NetID-Partner werden gleich behandelt.”

Im Zentrum der Bemühungen soll aber der Nutzer stehen. Er entscheidet nach dem Login, welche Daten er mit welchem Partner teilen möchte. Im Gegensatz zu Facebook & Co. bleiben die Daten bei den jeweiligen Unternehmen. Die NetID stellt lediglich einen einheitlichen ID-Standard zur Verfügung, schafft die Basis für die Einhaltung der rechtskonformen Nutzung und entwickelt das Produkt weiter. Es ist aber an den Unternehmen, auf die Infrastruktur föderal ein Daten-Ökosystem für die Werbung aufzubauen.

Dafür wurden Fachbeiräte eingerichtet, in denen Kunden aus den verschiedensten Bereichen Features und Funktionalitäten diskutieren, um das Produktangebot der Stiftung weiterentwickeln. Hier feilen beispielsweise Pubmatic aus dem Tech-Lager, Otto aus dem E-Commerce oder die Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit ihren Wettbewerbern an Lösungen fürs Advertising oder neuen Payment-Integrationen. Vor einem Jahr lag die Zahl der Partner zwischen 30 und 40, heute sind es über 70. Aktuelle Entwicklungen kommen der NetID zusätzlich zugute: “Auf das Thema Datenschutz richtet sich gerade extrem viel Aufmerksamkeit und die Bereitschaft steigt, sich damit auseinanderzusetzen. Aktivitäten wie das Third-Party-Blocking von Firefox zeigen dem Markt, dass der Cookie nicht die Zukunft ist und man sich jetzt neu orientieren muss”, meint Bornemann.

Phase zwei: User an Bord holen

Damit der Plan überhaupt aufgeht, müssen noch die User dazu gebracht werden, das Angebot des Single Sign-on wahrzunehmen. Auch wenn die Vorteile für die Initiatoren auf der Hand liegen – Anmeldung bei unterschiedlichen Websites bei Wahrung der Datenhoheit ohne erneute Registrierung – ist das von außen betrachtet der kritische Punkt. Denn das Thema ist sehr komplex, daher schwierig zu erklären und der Nutzer hat im ersten Moment wenig Interesse daran, seine Daten überhaupt im Netz an Advertiser preiszugeben.

“Wir besitzen in Deutschland eine potenzielle Reichweite von zirka 38 Millionen Nutzer, das sind etwa 60 Prozent der Onliner, die sich mit ihren Accounts bei uns einloggen können,” so Bornemann. Auf die Frage, ob sie dies denn schon tun, weicht er allerdings aus: “Der Marktlaunch und die dazugehörige Kommunikation sind zweistufig ausgelegt. Phase eins ist die Akquise der Partner, um die Logins auf die Seiten zu bringen. Die Ansprache der Nutzer passiert bisher nur implizit und wesentlich durch die Accountanbieter Web.de, GMX, 7Pass und RTL.” Die dort hinterlegten Accounts sind automatisch auch NetID-Accounts – allein United Internet stellt momentan drei Viertel der User.

Eine entsprechende Werbe-Kampagne wird im Frühjahr 2020 starten, insbesondere die UIM-Plattformen Web.de und GMX verstehen sich als Aufklärer. Auf der Website wird aktuell schon für NetID geworben, doch es wird sicherlich auch eine E-Mail-Kommunikation und Interstitials geben, wie Jan Oetjen, Geschäftsführer der United Internet AG und gleichzeitig Vorsitzender des Stiftungsrates der NetID Foundation, verrät. Das stärkste Werbeformat wäre eine Seite zwischen Login und Postfach zu schalten.

In den kommenden Monaten sollen jedoch schon einige Consent-Produkte fürs Advertising auf den Markt kommen, die von den Fachbeiräten entwickelt wurden. Beispielsweise verspricht eine davon das Problem im E-Commerce lösen, dass die Website erst nach dem Login personalisiert werden kann, doch die Anmeldung oftmals erst am Ende des Shopping-Besuchs erfolgt. Wie genau diese aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Herrscht in Deutschland Wettbewerb unter Datenallianzen?

Die NetID wird in der Diskussion um deutsche Datenallianzen oftmals mit Verimi in einem Atemzug genannt. Bornemann macht sich über Wettbewerb aber wenig Gedanken: “Die Positionierung der beiden Angebote unterscheidet sich doch inzwischen deutlich.” Er kann sich sogar eine Zusammenarbeit vorstellen: “Die Zweifaktor-Autorisierung, die für Verimi zentral ist, kann auch für unsere Partner ein zusätzlicher Nutzen sein.” Das sei eine Win-win-Situation für alle.

Eine Expansion nach Übersee sieht Bornemann derweil noch nicht. Der Fokus liegt klar auf Europa. “Wir sprechen mit weiteren europäischen Märkten, denn die DSGVO ist ein europäisches Thema. Das schwappt erst langsam in die USA über,” so der NetID-Vorstand.

Kommt Zeit, kommt Rat

Das kommende Jahr wird zeigen, ob die User beim großen Plan der NetID mitmachen und so tatsächlich einen neuen Identifier etablieren. Ganz ohne Cookies wird es voraussichtlich ohnehin nicht funktionieren. Des Weiteren muss die Werbebranche die Produkte der Stiftung zunächst annehmen, damit sie als eine relevante Alternative zu den jetzigen gelten können. Doch bis dahin spitzt sich die Lage für Third-Party-Cookies sicherlich noch weiter zu, was auf die NetID nur positiv auswirken dürfte.

Sven Bornemann, Vorstandsvorsitzender der NetID Foundation, ist auch auf der Bühne der ATS Berlin 2019 am 5. November zu sehen. Gemeinsam mit Vertretern der Tech- und Agenturseite diskutiert er dort im Identity-Panel, wie eine Welt ohne Tracking durch Third-Party-Cookies aussehen könnte und welche Rolle First-Party-Daten dabei spielen. Bei unserer Verlosung können Sie jetzt Tickets für die ATS gewinnen!

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