Neue Maßstäbe im Adtech: Das IAB Tech Lab in Mission für ein offenes Netz
Anton Priebe, 23. September 2019Die Tech-Landschaft der digitalen Werbebranche ist fragmentiert. Fast jeder Adtech-Anbieter bringt seine eigenen Formate, Metriken oder Systeme mit in den Markt. Dennis Buchheim, Executive Vice President & General Manager des IAB Tech Labs, will Ordnung in die Adtech-Welt bringen. Im Interview spricht er über die Aufgaben des Tech Labs, die Bedeutung von Deutschland und Europa in der Organisation und erklärt, welche Rolle die großen Player wie Google, Amazon und Facebook in der Standardisierung der Adtech-Welt spielen.
ADZINE: Hallo Herr Buchheim, das Consent Framework, neue Identity Tokens … in letzter Zeit hört man immer wieder vom IAB Tech Lab. Doch was genau ist das Tech Lab überhaupt? Woran arbeiten Sie und für wen bieten Sie Lösungen?
Dennis Buchheim: Das IAB Tech Lab ist eine gemeinnützige Organisation, die sich global mit hunderten Unternehmen auseinandersetzt, um Standards, Software und Services für die Werbeindustrie zu entwickeln. Sie sollen dabei helfen, allgemeingültige technische Lösungen zu bieten. Unsere Kernbereiche umfassen dabei folgende Themenbereiche: Brand Safety und Ad Fraud; Identity, Daten und Consumer Privacy; Werbeerfahrung und Measurement sowie Effektivität von Programmatic Advertising. Man kann sich unsere Rolle für die Werbung in etwa so vorstellen wie die Organisationen hinter Wi-Fi und Bluetooth. Ohne sie würde es Nutzern nicht möglich sein, sich zuverlässig kabellos mit dem Internet und anderen Geräten zu verbinden. Die vom Tech Lab entwickelten Standards umfassen unter anderem OpenRTB, ads.txt, DigiTrust, Open Measurement und VAST. Hinzukommen noch etwa 20 weitere Standards, die das Engagement und die Entwicklung aller Marktteilnehmer vorantreiben sollen.
ADZINE: Für das IAB Tech Lab ist die Entwicklung einer – im besten Fall geräteübergreifenden – Identity-Lösung schon seit einiger Zeit ein heißes Thema. In Deutschland scheint es diesbezüglich, zumindest von Verbandsseite, keinen Fortschritt zu geben. Die Lösungen kommen mit NetID und Verimi eher aus dem Markt. Wie sieht eine Identity-Lösung aus Sicht des Tech Lab aus?
Buchheim: Geräteübergreifende Consumer-IDs blieben bisher bei vielen Unternehmen proprietäre Bemühungen. Einige arbeiteten zusammen, um ihre Lösungen zu rationalisieren oder zu integrieren – manchmal über Konsortien. Die Kombination aus Komplexität und Datenschutzempfindlichkeit beim Erstellen und Verwalten von geräteübergreifenden Identity-Graphen hat verhindert, dass diese offener verfügbar sind, und dafür gesorgt, dass die Zusammenarbeit eingeschränkt ist. Das Tech Lab hat einige Richtlinien für diese Anbieter und diejenigen, die ihre Dienste nutzen, entwickelt. Wir haben uns jedoch verstärkt auf die geräteinterne Identität konzentriert, und zwar mithilfe unseres DigiTrust-Dienstes. Wir glauben, dass Browser und mobile Betriebssysteme die Kontrolle innehaben. Deshalb möchten wir mit ihnen zusammenarbeiten, um ein werbefinanziertes, freies und offenes Internet aufrechtzuerhalten.
ADZINE: Sind deutsche Lösungen wie die NetID oder Verimi in den USA bekannt? Was halten Sie von den Ansätzen?
Buchheim: Wir sind mit diesen Allianzen einigermaßen vertraut und bemühen uns, gegebenenfalls enger mit ihnen zusammenzuarbeiten. Je mehr die Allianzen und Konsortien, einschließlich unserer DigiTrust-Arbeitsgruppe, weltweit zusammenarbeiten, desto wahrscheinlicher ist es unserer Meinung nach, dass die Branche effektive, datenschutzkonforme Werbung unterstützen wird.
ADZINE: Glauben Sie, dass die Allianzen die Chance haben, die Dominanz von Walled Gardens aufzubrechen? Oder ist das IAB die einzige Institution, die in so großem Umfang einen Standard etablieren kann? Beteiligen sich lokale Märkte wie Deutschland überhaupt an der Entwicklung dieser globalen Standards?
Buchheim: Die Zusammenarbeit hinsichtlich Identität und Daten unter Wahrung des Datenschutzes sollte im Allgemeinen dazu beitragen, die Interessen eines breiteren Spektrums von Unternehmen in Einklang zu bringen. Es sind immer mehr Walled Gardens entstanden mit dem Ziel, den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten. Wir möchten, dass möglichst viele dieser Unternehmen mit uns und unseren Mitgliedsunternehmen zusammenarbeiten. So wollen wir gemeinsame Standards entwickeln und im Idealfall auch umsetzen, die die Branche insgesamt stärken und konsequent die Privatsphäre der Verbraucher schützen.
ADZINE: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu den Big Playern aus dem Silicon Valley beschreiben? Treiben GAFA die Innovation im IAB Tech Lab voran? Oder verlangsamen sie eher den Fortschritt?
Buchheim: Die meisten der größten Akteure der Branche engagieren sich bei uns. Google und Facebook sind im Vorstand vom Tech Lab. Einige der großen Unternehmen sind eher passiv dabei, aber viele tragen erheblich zur Innovation bei der Entwicklung neuer oder erweiterter Standards bei. Sie können die Übernahme neuer Standards, für die sie sich entscheiden, teils viel schneller vorantreiben. Zum Beispiel führte die Integration von ads.txt von Google in die eigenen Plattformen ab Ende 2017 zu einer unglaublich schnellen Bereitstellung von ads.txt durch Publisher und Tech-Anbieter.
ADZINE: Was sind heute die größten Herausforderungen für die digitale Werbung?
Buchheim: Dies ist ein entscheidender Moment für unsere Branche: Die Änderungen, die Regierungen und Browser vorschreiben, werden die Funktionsweise unserer Branche grundlegend verändern. Es ist an der Zeit, die Privatsphäre der Verbraucher zu schützen und zusammenzuarbeiten, wo immer wir können. Wir müssen ein gesundes Wachstum der Digitalbranche unterstützen und die Entwicklung von Inhalten und Diensten fördern, auf die die Verbraucher zunehmend angewiesen sind. Parallel zu den Veränderungen in Bezug auf Datenschutz, Verbraucheridentität und Daten wird die Buy Side immer stärker inhouse abgebildet, wobei Markensicherheit, Messung und Effizienz im Vordergrund stehen. Die Entwicklung des Videokonsums und des damit verbundenen Wettbewerbs ist die letzte Herausforderung, die ich hervorheben möchte. Sie führt dazu, dass mehr Mauern zum Schutz des eigenen Umsatzes hochgezogen werden. Die steht im Konflikt zu den Vorteilen, die eine Zusammenarbeit zum Beispiel bei der Entwicklung von Standards bietet.
ADZINE: Gibt es global Unterschiede zwischen den Märkten? Welche Rolle spielt Deutschland bzw. Europa?
Buchheim: Die grundlegende Infrastruktur und die Herausforderungen der Branche sind weltweit ziemlich ähnlich. Allerdings gibt es nicht wenige Bereiche, die sich unterscheiden. So gibt es Schwankungen in der Marktreife und lokale Unterschiede bei den Datenschutzerwartungen, dem Mobilfunk, der Videoentwicklung, der Toleranz gegenüber Anzeigenformaten und vielem mehr. Europa hat bei der Umsetzung der Datenschutzbestimmungen die Nase vorn. Das Tech Lab hat die Gelegenheit genutzt, mit dem IAB Europe und Mitgliedsunternehmen zusammenzuarbeiten, um das Transparency and Consent Framework für die DSGVO zu entwickeln. Wir haben in den letzten Jahren die Repräsentation Europas und Deutschlands im Tech Lab ausgebaut und würden eine noch stärkere Beteiligung an den Arbeitsgruppen, die unsere Standards definieren, begrüßen. Dadurch könnten wir sicherstellen, dass unsere Standards den Anforderungen des deutschen und des breiteren europäischen Marktes in vollem Umfang gerecht werden. Wir sind eine von Mitgliedern angetriebene Organisation. Je mehr Unternehmen weltweit an unserer Arbeit teilnehmen, desto nützlicher wird unsere Arbeit für die globale Industrie.
ADZINE: Danke, Dennis Buchheim, für das Gespräch. Wir sehen uns auf der Adtrader Conference 2020!
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