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STUDIEN & ANALYSEN

Algorithmen im Alltag: Wie denken die Deutschen über Chancen und Risiken?

Jens T. Möller, Analyst, 26. Februar 2019
Bild: John Moeses-Bauan; CC0 - unsplash.com

Algorithmen bestimmen schon heute weite Teile unseres täglichen Lebens. So werden Sie unter anderem in der Medizin, auf Dating-Plattformen und im Bankenwesen eingesetzt. Auch für die Werbeindustrie sind Algorithmen mittlerweile zum unabdingbaren Hilfsmittel geworden, um Werbung zielgerecht auszusteuern. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass weite Teile der europäischen und deutschen Bevölkerung kaum etwas über die Berechnungsverfahren aus der Informatik und Mathematik wissen und ihnen sogar teilweise ein negatives Image anhaftet.

Algorithmen prägen unser tägliches Leben in einem noch nie dagewesen Ausmaß. Sie bewerten die Kreditwürdigkeit von Privatpersonen, helfen bei der Diagnose von Krankheiten und treffen in Bewerbungsverfahren eine gezielte Vorauswahl. Obwohl sie also in unserem Leben omnipräsent zu sein scheinen und für uns vielmals weitreichende Entscheidungen treffen, fehlt es häufig an einem gesellschaftlichen Diskurs. Zu diesem Zweck führte die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit Eupinions eine Studie über den Wissensstand und die Einstellung der europäischen Bevölkerung über Algorithmen durch. Dazu nahmen 10.060 Probanden aus allen 28 EU-Mitgliedsstaaten an einer Online-Befragung teil. Die Ergebnisse der Studie „Was Europa über Algorithmen weiß und denkt“ sind besonders für die Werbeindustrie von Relevanz, denn die öffentliche Wahrnehmung von Algorithmen entscheidet auch über die Akzeptanz von digitaler Werbung in der Bevölkerung.

Vorherrschende Unwissenheit

Auch wenn wir in vielen Bereichen des täglichen Lebens mit Algorithmen interagieren, kann die Bertelsmann-Studie immer noch vorherrschende Unwissenheit über die Berechnungsverfahren demonstrieren. 48 Prozent der europäischen Bevölkerung wissen demnach nicht einmal was ein Algorithmus ist, 44 Prozent können ein mangelndes Wissen aufweisen und lediglich 8 Prozent der Befragten kann angeben, viel über Algorithmen zu wissen. Fast die Hälfte aller Europäer sind somit unzureichend informiert. Deutschland schneidet beim Wissensstand im europäischen Vergleich am besten ab. 57 Prozent der Deutschen geben an zu mindestens ein bisschen was über Algorithmen zu wissen.

Werbung ist bekanntestes Anwendungsszenario

In Bezug auf die Anwendungsbereiche von Algorithmen zeigt sich ein ähnliches gesamteuropäisches Bild. Über alle in der Studie abgefragten Einsatzgebiete sind sich durchweg über die Hälfte der Befragten nicht im Klaren, dass Algorithmen in den spezifischen Bereichen eingesetzt werden. Den größten Wissensstand über den Einsatz von Algorithmen können die Befragten im Bereich der personalisierten Werbung aufweisen. 47 Prozent geben dabei an zu wissen, dass die Werbeindustrie künstliche Intelligenz verwendet, um gezielter Werbung auszuspielen. Die Nutzer sind sich also durchaus im klaren darüber, dass die von ihnen gesehene digitale Werbung auf computergestützten Berechnungsverfahren beruht und kein Zufall ist. Algorithmen erlauben durch das Sammeln von Nutzerdaten die methodische Ansteuerung von Zielgruppen. Wie die Befragung zeigt, wissen viele Nutzer darum.

Auch bei Dating-Plattformen und Rechtschreibprüfungen scheinen viele europäische Bürger sich dem Einsatz von Algorithmen durchaus bewusst zu sein. Das niedrigste Anwendungsbewusstsein besteht in der Medizin bei der Diagnose von Krankheiten. Lediglich 22 Prozent sind sich über den Einsatz künstlicher Intelligenz in diesem Bereich bewusst. Jeder fünfte Befragte ist sich über keinen einzelnen Anwendungsbereich im Klaren. Das Land mit dem besten Wissensstand ist Polen mit lediglich 10 Prozent Unwissenheitsrate, Deutschland liegt bei 18 Prozent. Großbritannien weist dagegen die größten Wissenslücken auf.

Was denkt Europa und Deutschland über Algorithmen?

Das europäische Meinungsbild ist durchaus gemischt. So finden sich sowohl negativ konnotierte Assoziationen wie „bedrohlich“ und „beängstigend“, als auch positive Assoziationen wie „effiziente Entscheidungen“ und „faire Entscheidungen“ in den Ergebnissen der Studie. 34 Prozent der Europäer verbinden mit Algorithmen eine verstärkte Machtposition für Programmierer und sehen dies eher negativ, 29 Prozent sieht hingegen den positiven Faktor der Zeitersparnis.

In der grundsätzlichen Haltung sehen die Europäer insgesamt deutlich mehr Vorteile als Nachteile in der Nutzung algorithmischer Systeme. Deutschland zeigt sich mit seinem Stimmungsbild als durchaus unentschieden. Mit 35 Prozent sehen die Deutschen die gesteigerte Macht für Programmierer ähnlich negativ wie Gesamteuropa. 16 Prozent empfinden Algorithmen sogar als Beängstigend und liegen damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Auf der anderen Seite verbinden 32 Prozent mit Algorithmen effiziente Entscheidungen, lediglich 8 Prozent der Deutschen assoziiert jedoch faire Entscheidungen mit ihrem Einsatz. Das deutsche Meinungsbild kann somit als recht ausgeglichen bezeichnet werden. Die Franzosen hingegen stehen Algorithmen deutlich negativ gegenüber.

Viele Europäer wünschen sich darüber hinaus deutlich mehr Kontrolle beim Einsatz von Algorithmen. 74 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass der Gebrauch von künstlicher Intelligenz stärker kontrolliert werden sollte. Kritisch sind hierbei solche Algorithmeneinsätze, die menschliche Individuen direkt betreffen. Besonders bei der Krankheitsdiagnostik, dem Bewerbungsverfahren oder der Kreditvergabe wünschen sich die Befragten in allen EU-Ländern menschliche Eingriffsmöglichkeiten. Die Menschen erkennen also durchaus die mögliche Macht, die Algorithmen über unser Leben haben können.

Die Einstellung zu Algorithmen variiert mit Geschlecht und Bildung

Die Wahrnehmung und Einstellung von algorithmischen Systemen variiert stark nach Geschlechtern, Alter und Bildungsstand. Die Bertelsmann-Studie kann dabei aufzeigen, dass besonders ältere Männer einen hohen Wissensstand bezüglich Algorithmen haben. In den jüngeren Altersgruppen wiederum fehlt es häufig an Wissen um künstliche Intelligenz. Ein Fakt, der besonders überraschen mag. Gerade im Alltag junger Menschen sind Algorithmen nicht mehr wegzudenken. Ob nun Musik auf Spotify oder Videos auf Youtube, Algorithmen beeinflussen die Lebenswelt dieser Bevölkerungsgruppe enorm. Bezogen auf die Einstellung begünstigt ein höheres Bildungsniveau und ein fundiertes Wissen eine positive Grundeinstellung gegenüber Algorithmen. Frauen zeigen sich darüber hinaus beim Umgang mit Algorithmen als ängstlicher und deutlich negativer gestimmt als Männer.

Gesellschaftlicher Diskurs ist dringend notwendig und bereits im Gange

Das Stimmungsbild Algorithmen gegenüber ist zwar durchmischt, scheint aber generell eher positiv auszufallen. Für die digitale Werbeindustrie sind diese unabdingbar geworden, um Anzeigen effizient und wirkungsvoll zu schalten. Besonders hier ist der Bevölkerung der Einsatz durchaus bewusst, wodurch die Akzeptanz steigt. Ein aktiver gesellschaftsrechtlicher Diskurs ist dennoch notwendig und erscheint in Anbetracht der Studienergebnisse mehr als angebracht. In Deutschland scheint dieser bereits im Gange zu sein. Eine Anfang 2018 veröffentliche Studie zeigte für Deutschland deutlich schlechtere Akzeptanzwerte bezüglich der Algorithmusnutzung.

Takeaways
Personalisierte Werbung wird am stärksten mit Algorithmen in Verbindung gebracht.

Innerhalb der europäischen und deutschen Bevölkerung besteht großes Unwissen bezüglich Algorithmen.

57 Prozent der Deutschen geben an, den Begriff thematisch einordnen zu können.

Nur 16 Prozent der Deutschen empfinden Algorithmen als beängstigend.

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