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DATA

Einsatz von Daten im Mediageschäft

Sascha Jansen, 27. Februar 2018
Foto: Kevin Ku - Pexels.com

„Dataismus: Neues Weltbild aus dem Datenmeer“ ist die Überschrift eines Artikels, den das Zukunftsinstitut (www.zukunftsinstitut.de) bereits 2011 herausbrachte. Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Weltbilder sind aber etwas für Jahrzehnte und Jahrhunderte und die Branche der kommerziellen Nutzung von Daten findet sich erst noch. In jeder Hinsicht: technisch, wirtschaftlich und natürlich auch in Hinblick auf zeitgemäße (Datenschutz-)Spielregeln.

Die Spreu trennt sich vom Weizen

Der Markt ist jung, dynamisch, komplex und schwierig zu durchdringen. Die Ware ist alles andere als plastisch, sondern hochgradig virtuell. Was Spreu ist und was Weizen, ist noch nicht hinlänglich bekannt. Selbst die Preise für Daten sind heute noch längst nicht Allgemeinwissen unter den Marketeers, geschweige denn ihr tatsächliche Wert. Lediglich eine kleine Anzahl von Profis, die bereits auf einige Jahre Programmatic-Erfahrung zurückgreifen können, ist aktuell in der Lage, den Wert von Daten differenziert zu betrachten und Datenprovidern die richtigen Fragen zu stellen. Aber das ändert sich gerade rasant. Der Markt professionalisiert sich.

Manche Enttäuschung steht noch bevor

Entsprechend des Modells des Gartner Hype Cycle ist die aktuelle Phase des Data-Business im Marketing unseres Erachtens noch vor dem Tal der Enttäuschungen zu verorten. Mit der Professionalisierung auf breiter Ebene fällt immer mehr aufklärendes Licht auf die Datenquellen, Verarbeitungs- und Anwendungsmechaniken. Selbstverständlich wird manches dadurch entzaubert und manches verspätet richtig wertgeschätzt.

Transparenz wird für Daten das entscheidende Qualitätskriterium

Es gibt kaum ein Zielgruppenattribut, für das keine Targeting-Pools zur Verfügung stünden: Personen mit Kaufabsicht für SUVs, an Grippesymptomen Leidende, Sport-Enthusiasten usw. Vielleicht ist es die schiere Masse an zur Verfügung stehenden und plausibel klingenden (3rd-Party) Segmenten, die dazu führt, dass die konkrete Herkunft, die genaue Definition des Segments und das Modell zum Matching von Attributen auf Browser nur unzureichend hinterfragt bzw. überprüft wird. Das soll keineswegs bedeuten, dass es Daten am Markt per se an Qualität mangelt. Aber wenn kaum zwischen weichen und harten Daten unterschieden wird bzw. unterschieden werden kann (mangels Transparenz), motiviert das Datenlieferanten nicht, Wert auf Qualität zu legen.

Wer Qualität für sich reklamiert, muss selbstverständlich auch diese Qualität nachvollziehbar machen – indem er transparent macht, was die Herkunft der Datensignale betrifft (welche Publisher lieferten die Signale für das Datensegment?), wie ein Segment definiert wurde (reichte der länger zurückliegende Aufruf einer entsprechenden Webpage, auf der über SUVs berichtet wurde, um als SUV-Interessierter zu gelten, oder hat der Datenlieferant härtere Kriterien angewandt?) und wie Browser einem Datensignal zugeordnet wurden (wurde Twinning angewendet und wenn ja, wie intensiv?).

Wir brauchen „Nutrition Facts“ für das Datengeschäft und eine Aufsicht

Momentan ist es unmöglich, das Targeting eines Anbieters mit dem eines anderen Anbieters zu vergleichen. Man möchte meinen, das Targeting auf das Attribut „männlich“ ist eindeutig, somit überall identisch. Aber während der eine Datenlieferant es sehr ernst nimmt mit der Qualität und lediglich verifizierte Logins männlicher Nutzer (auf z.B. Freemailer) in dieses Segment definiert, ist ein anderer Datenlieferant großzügiger in der Definition und entscheidet, dass allen Besuchern einer Seite über den „Männersport“ Fußball das Attribut „männlich“ verpasst werden kann.

Es braucht Regeln, Nomenklaturen und kontrollierte, offene Standards. So wie die Ernährungsangaben auf Nahrungsmitteln (engl. Nutrition Facts) brauchen wir einfache, strukturierte Angaben zu Targeting-Segmenten, die für die notwendige Vergleichbarkeit sorgen. Zur Kontrolle der Einhaltung bedarf es eines Councils, ähnlich dem Media Rating Council (MRC). Wir brauchen ein Data Rating Council (DRC) unter dem Dach eines Joint Industry Committees (JIC). Dafür bietet sich der BVDW an.

Erst die Aktivierbarkeit macht den Datenwert aus

Im Elfenbeinturm haben Daten keinen Wert. Der Wert der Daten bemisst sich daran, wie sie Kampagnen bereichern, wenn diese adressierbar angelegt sind. Das hängt an zwei Faktoren: die Qualität der Daten als solche, aber – und das wird oft vergessen – auch deren Aktivierbarkeit. Mit anderen Worten: Der Fähigkeit, die Daten in Kampagnen zur Anwendung kommen zu lassen.

In den Millisekunden, in denen ein Werbemittel auf der Seite eines Publishers lädt, müssen die Advertising Systeme die Entscheidung treffen können, ob ein gewünschtes Attribut aus einer Datenquelle auf diese spezifische Option, ein Werbemittel auszuspielen, zutrifft oder nicht. Im Fachjargon spricht man von Matching. Matching-Raten von nur wenigen Prozenten machen die wertvollsten Daten quasi nutz- also wertlos. Die Branche ist also an hohen Matching-Raten interessiert.

Auslieferungslogistik und Messmethoden stecken im Generationenkonflikt

Während die werbungtreibende Wirtschaft die Chancen des user-zentrischen Marketings bereits intensiv nutzt, muss sie in Bezug auf die Validierung von Kampagnen noch mit Instrumenten auskommen, die aus dem medienzentrischen Zeitalter stammen. Hyper-Targeting zu betreiben und dieses mit einem Panel zu kontrollieren, das lediglich grobe Zielgruppen-Cluster abzubilden vermag, kann nur zur Missverständnissen führen. Ein bislang ungelöstes Problem der Branche.

Herkömmliche Validierungsansätze stoßen rasch an Grenzen, wenn es darum geht, andere als die früher üblichen sozio-demographischen Zielgruppen abzubilden. Zum einen sind bis dato übliche Panelgrößen von einigen Tausend Panelisten nicht für die Granularität ausgelegt, die Behavioral Advertising erfordert. Zum anderen macht die Evaluierung von Kampagnen auf spezifischen Datensätzen nur dann Sinn, wenn Zielgruppenattribute in der Datenquelle und dem Evaluierungsinstrument exakt gleich definiert sind.

Dazu braucht es die bereits genannte Transparenz und Normierung bei den Datenquellen und einen völlig neuen Ansatz in der Online-Forschung, die der Markt erarbeiten muss.

Renaissance der Haushaltsdaten

Die Möglichkeit, Werbung „addressable“ zu gestalten, wächst kontinuierlich. Was zunächst in Search, Social und Displaywerbung begann, findet mit zunehmender Digitalisierung aller Mediengattungen auch Einzug in TV, Radio und Out-of-Home. Mit dem Unterschied, dass man hinsichtlich der Nutzungssituationen in TV, Radio und Out-of-Home – tatsächlich ungefähr auch in dieser Reihenfolge – nicht von einer 1:1-Beziehung ausgehen kann.

Das legt nahe, dass mit zunehmender Programmatisierung von Media in diese Gattungen hinein Cluster von Personengruppen eine größere Rolle spielen werden. Während Haushaltsdaten im Direktmarketing von jeher die zentrale Rolle gespielt haben, ist eine zusätzliche Anwendung nun auch in die adressierbaren Medien hinein wahrscheinlich. Technik sorgt in vielerlei Hinsicht dafür, dass das Marketing (wieder) zusammenwächst.

Hohe Datenschutzstandards sind gut für das Ökosystem

Das Ökosystem Werbung basiert auf einer gesunden Balance zwischen Medienanbietern, Mediennutzern und Werbungtreibenden. Letztere ermöglichen es den Nutzern, Medien zu einem vertretbaren Preis, meist sogar gratis, konsumieren zu können. Dafür fordern sie eine effektive Form der werblichen Kommunikation und Leistungsnachweise für ihr Investment.

Mediennutzer – das zeigt die Praxis der letzten Jahre und Jahrzehnte – präferieren werbefinanzierte Medienangebote vor Pay-Modellen, wollen aber selbstverständlich ihre Privatsphäre geschützt wissen. Wenn das Modell aus dem Gleichgewicht kommt, mag das kurzfristige Vorteile für einzelne Player bedeuten, langfristig gefährdet es das Ökosystem.

Den Schutz der persönlichen Daten nicht zu respektieren, führt unweigerlich dazu, dass das Ökosystem aus der Balance gerät. Ebenso verhält es sich mit einem weit über das Ziel hinausschießenden, falschen Schutzverständnis, das die Interessen derjenigen vollständig ignoriert, die dem Nutzer die Gratisnutzung von Medienangeboten ermöglichen. Hohe Datenschutzstandards, sichergestellt durch die EU-Datenschutzverordnung und eine vernünftige E-Privacy, wirken stabilisierend auf das Ökosystem.

Der Dataismus verändert Unternehmensstrukturen

Wenn man zurückblickt auf die in der Mitte des letzten Jahrhunderts beginnende Entwicklung der IT in Unternehmen, so gibt das einen guten Eindruck, wie die Entwicklung des Dataismus Unternehmen zukünftig verändern wird. Zunächst fand EDV isoliert in einer kleinen Spezialabteilung statt. Heute ist der vernetzte PC am Arbeitsplatz bzw. der Laptop im VPN Alltag. Ähnlich muss man sich die Entwicklung der Datenökonomie vorstellen. Data Driven Advertising sollte bereits heute nicht als Instrument, sondern vielmehr als planungsphilosophischer Ansatz verstanden werden. Ein Ansatz, dem die Zukunft gehört.

Bild Sascha Jansen Über den Autor/die Autorin:

Sascha Jansen ist Chief Digital Officer der Omnicom Media Group Germany und damit verantwortlich für die strategische Weiterentwicklung des gesamten Digitalgeschäfts der Mediaagentur-Holding. Der diplomierte Betriebswirt treibt seit 2009 in unterschiedlichen Funktionen die digitale Entwicklung der Omnicom Media Group Germany voran. Zuletzt lag sein Fokus als Geschäftsführer der Digital-Spezialagenturen Annalect Group Germany auf dem Aufbau von datenbasierten und programmatischen Onlinemarketing-Dienstleistungen. Jansen ist seit 20 Jahren im Digital- und Mediageschäft tätig. Bevor er zur Omnicom Media Group Germany kam, verantwortete er das Online-Media-und Performance-Business der Vivaki (PublicisGroupeMedia). Sascha Jansen ist außerdem im BVDW Sprecher und stellvertretender Vorsitzender des Fachkreises Online-Mediaagenturen (FOMA).

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