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PROGRAMMATIC

Jedem sein eigenes Reich

Karsten Zunke, 28. April 2011

Realtime Bidding ist auf dem Vormarsch und Yield-Optimierer bieten Publishern wie Vermarktern ihre Dienste an. Sie bündeln und versteigern automatisiert überschüssiges Website-Inventar und versprechen ihren Auftraggebern maximale Preise. Doch im Grunde ihres Wesens sind Online-Medien kontrollverliebt, wenn es um ihr werblich nutzbares Inventar geht. Wenn fremde Maschinen sich gegenseitig Werbeflächen verkaufen, ist dies so manchem Website-Betreiber suspekt.

Da liegt es nahe, diese Hochtechnologie für die eigenen Zwecke zu domestizieren. In den USA nehmen erste Publisher und ihre Vermarkter die Yield-Optimierung des kleinteiligen noch verfügbaren Inventars in die eigene Hand. Möglich machen dies sogenannte Private Ad Exchanges.

Ähnliche Ansätze sind aber auch bereits „made in Germany“ zu haben. Auf dem Werbemarktplatz Adcloud können sich Publisher ihre eigene Cloud anlegen, in der nach ihren Regeln gespielt wird. „Manche würden das als eine Art Private Exchange bezeichnen“, sagt Oliver Thylmann, Gründer und Chef der Plattform und macht damit bereits auf ein Problem aufmerksam: Die Begriffsdefinition. Wer mit acht verschiedenen Marktteilnehmern spricht, erhält mindestens neun verschiedene Ansichten, was unter einem Private Ad Exchange zu verstehen sei. Vom Selbstbuchungstool für bestimmte Nutzergruppen über Whitelabel-Realtime-Technologie bis hin zu besonders ausgeklügelten Supply-Side-Platform-Einstellungen. Sicher scheint nur eines: Privat ist das Gegenteil von öffentlich.

O. Thylmann

„Jeder Nutzer kann seinen eigenen Ad Exchange in seiner kleinen Wolke aufbauen“, erläutert Thylmann das Adcloud-Prinzip. Der Marktplatzbetreiber nennt seine Nutzer daher auch Cloud Owner. Diese können dort Kampagnen schalten, Platzierungen anlegen oder Arbitrage-Geschäfte machen. Als Inhaber einer Wolke kann man selbst entscheiden, ob eine Platzierung nur durch Kampagnen aus der eigenen Wolke oder aus Kampagnen aus dem gesamten Adcloud-Marktplatz befüllt werden darf.

Cloud Owner können beispielsweise einerseits für die Homepage nur eine ganz bestimmte Performance-Kampagne zulassen und andererseits erlauben, dass sich in ihrer Unterkategorie die Teilnehmer des gesamten Marktplatzes einbuchen. Ebenso können die Nutzer entscheiden, ob in ihrer Cloud Display-, Flash- oder nur Textwerbung läuft. „Das Design ist endlos flexibel“, sagt Thylmann. In einem öffentlichen Marktlatz können Publisher hier ihr privates Revier definieren, ohne sich den Zugang zum öffentlichen Marktplatz zu verbauen.

Endlich was Eigenes

Auch auf Ad Exchanges wie dem Right Media Exchange von Yahoo können sich Publisher eine eigene kleine Welt schaffen. Wer darf welches Inventar kaufen, zu welchen Preisen, auf CPC- oder TKP-Basis; erhält der Geschäftspartner Zugriff auf das gesamte Inventar oder nur auf einen Teil? Dies alles können Publisher auf dem Right Media Exchange selbst festlegen.

Regeln zu definieren, folgt hier einem ähnlichen Prinzip wie in sozialen Netzwerken, zum Beispiel in XING. „Außer einem Account ist am Anfang nichts vorhanden. Erst dann beginnt man Kontakte zu knüpfen, versucht gemeinsam Geschäfte zu machen und definiert Zugriffsrechte für andere“, erläutert Steffen Hopf, Sales Director Yahoo Deutschland.

Im eigenen Universum können sich Websites mit anderen Publishern zusammenschließen und nur bestimmten Agenturen den Zugriff auf ein gemeinsames Inventar zu einem bestimmten Mindestpreis gewähren. „Aber wir bezweifeln, dass eine Abschottung im Sinne einer Yield-Optimierung zielführend ist“, sagt Hopf. Schließlich würde man damit Marktteilnehmer ausschließen, was dem Verständnis von einem offenen Marktplatz widerspricht.

Ähnlich sieht es auch Thylmann: „Wenn sich Publisher wieder eine eigene abgeschottete Welt schaffen, konterkariert das den ursprünglichen offenen Marktplatz-Gedanken.“ Nach seiner Ansicht machen solche Modelle nur Sinn, wenn sie Teil eines großen Ganzen sind, auf das die Publisher bei Bedarf zurückgreifen können.

US-Medienhäuser preschen vor

Doch mitunter ist der vermeintliche Teil an sich bereits so riesig, dass er das große Ganze nicht mehr braucht. Zumindest im Land der unbegrenzten Möglichkeiten scheint dies der Fall zu sein. The Weather Channel, CBS Interactive, das IDG TechNetwork und QuandrantOne haben bereits Private Ad Exchanges gegründet.

QuandrantOne ist beispielsweise ein Joint Venture von vier großen US-Medienunternehmen: Tribune Company, Gannett, Hearst Corporation und The New York Times Company haben sich zusammengeschlossen, um über den „Q-Exchange“ das Nichtpremium-Inventar von 300 Websites regionaler Nachrichtenanbieter gemeinsam zu vermarkten – direkt, ohne dritte Partei zwischen Käufer und Verkäufer. Rund 75 Millionen Unique User werden pro Monat erreicht. Die Technologie stammt in all diesen Beispielen vom Yield-Spezialisten Admeld. „Eine Privat Ad Exchange ist für uns immer eine Mischung aus Technologie und Service. Das Ausmaß der Integration des Publishers in die Gestaltung der Privat Ad Exchange und in den Verkauf der Medialeistung kann stark differieren“, sagt Thomas Mendrina, Country Manager DACH, Admeld.

Bei Admeld ist der Marktplatz sehr individuell skalierbar, je nachdem, wie sehr sich der Publisher einbringen möchte. „Der wichtigste Unterschied zur herkömmlichen Yield-Optimierung ist aus unserer Sicht, dass ein Private Ad Exchange in seinem Wesen von einer Dienstleister-Publisher-Beziehung abrückt“, sagt Mendrina. Während bei einer Yield-Optimierung die Nachfrage von einem Dienstleister monetarisiert wird, gründet ein Publisher nun selbst Teams oder Tochterfirmen, die mit dieser Technologie direkt die Nachfrager ansprechen.

Nur was für Dickschiffe

Wichtigste Annahme bei diesem Vorgehen: Die Marktposition des Publishers muss stark genug sein, um mit einem eigenen Realtime-Angebot sein Inventar jenseits der Premiumplatzierungen in Eigenregie besser zu verkaufen. „Wichtig ist es, den Realtime-Bidding-Nachfragedruck für die eigene Ad Exchange herstellen zu können“, sagt Mendrina. Ansonsten würde sich der Mehrwert nicht einstellen. Der Publisher muss also sicher sein, dass es genügend Nachfrage gibt, wenn er innerhalb des Realtime Bidding eigene Regeln aufstellt. „Zum jetzigen Zeitpunkt wären in Deutschland höchstens ein gutes Dutzend Vermarkter in der Lage, ihre eigenen Regeln im Realtime-Bidding-Markt durchzusetzen“, so Mendrina.

Solche Regeln können bei Admeld sehr kleinteilig sein. Neben den herkömmlichen Einstellungen auf Supply-Side-Plattformen wie zum Beispiel Mindestpreisen, ist es hier sogar möglich, in die Bietlogik einzugreifen. Ein Vorteil, wenn man beispielsweise bestehende Geschäftsbeziehungen im Realtime-Bidding-Geschäft berücksichtigen möchte. So kann ein Publisher bei Admeld Nachfragesysteme definieren, welche den Zuschlag bekommen, obwohl sie nicht die höchstbietenden auf eine bestimmte Impression sind. „Unsere Private Ad Exchange macht es möglich, die bestehende Nachfrage in das Geschäftsmodell zu integrieren und Realtime Bidding in die Verhandlungen mit potenziellen Werbekunden aufzunehmen“, erläutert Mendrina.  

Dass hierfür das Realtime Bidding prädestiniert ist, liegt daran, dass bei jedem Ad Request eine Information über den Werbekunden mitgeliefert wird. So kann ein Publisher sehr genau festlegen, welcher Werbungtreibende eine Ad Impression erhält und wer nicht. Wenn ein Publisher zum Beispiel eine Premium-Kampagne für BMW auf seinen Seiten liefert, kann er Werbung konkurrierender Automobilhersteller für diesen Zeitraum blocken. Oder er erlaubt in einer bestimmten Kategorie an einem bestimmten Tag keine Reklame eines Mitbewerbers. „Premium-Publisher müssen Channel-Konflikte vermeiden. Das ist mit Realtime Bidding problemlos möglich“, so Mendrina.

N. Taubenreuther

Totale Kontrolle

Auch für den Yield-Optimierungs-Spezialisten Rubicon Project rücken die Private Ad Exchanges in den Fokus. „Wir definieren Private Ad Exchange als eine Technologie, die es dem Publisher erlaubt, seinen eigenen Marktplatz für eine sehr spezifische Nachfrage im Realtime-Bidding-Umfeld zu kreieren“, erläutert Nina Taubenreuther, Director Publisher Development Germany von The Rubicon Project. Der Exchange-Aspekt bezieht sich auch bei Rubicon auf die Nutzung eines existierenden Realtime-Bidding-Systems oder einer RTB-Plattform. „Mit ‚Private’ ist gemeint, dass der Publisher die Nachfrage durch verschiedene Kontrollmechanismen und Reportings, die in der RTB-Plattform eingebettet sind, sehr spezifisch steuern kann und selbst bestimmt, wer welchen Zugriff auf das Inventar bekommt“, so Taubenreuther.

Jeder Publisher, der Rubicons Yield-Optimierungs-Plattform zur Monetarisierung unverkauften Inventars einsetzt und das Produkt „Protected RTB“ nutzt, kann seine eigenen Regeln und Settings sehr genau für das Bieten auf sein Inventar anwenden, anlegen und einstellen. So kann er zum Beispiel Mindestpreise pro Advertiser/Kampagne/Käufer oder Channel setzen, kann kontrollieren, wer Zugriff auf welchen Inventarteil erhält, oder sogar einzelne Partner vom Bietprozess ausschließen.

Rubicon nennt es „Private Marketplaces“

Noch privater wird es bei Rubicon dann mit den sogenannten Private Marketplaces, hier wird die Kontrolle und die Möglichkeit der Zugriffssteuerung noch spezifischer. Einzelnen Partnern kann nun zum Beispiel auch exklusiver oder bevorzugter Zugriff auf bestimmte Platzierungen oder Inventarteile gewährt werden.

Bei dem Begriff „Private“ geht es immer um Kontrolle. „Aus der reinen Yield-Sicht würde der Publisher immer dann mehr Umsatz generieren, je mehr Partnern und Nachfragern er erlaubt, Gebote für sein Inventar zu platzieren. Dies muss aber nicht zwangsläufig für alle Publisher das beste Konzept sein“, sagt Taubenreuther. Sehr strenge und restriktive Anforderungen an die Qualität der Ads, die Vermeidung von Channel-Konflikten bei der eigenen Salesaktivität im Premiumbereich und ganz einfach der Wunsch und die Strategie, das Höchstmaß an Kontrolle zu behalten, könnten nach ihren Aussagen Gründe sein, den Zugriff auf das Inventar über Private Marketplaces zu erlauben.

„Wir glauben, dass zukünftig immer mehr Werbebudgets – vor allem die Brandingtöpfe – in Richtung ‚Programmatic Buying’ geshiftet werden“, sagt Taubenreuther. Erste Private Marketplaces hat Rubicon in den USA und UK gelauncht.

Bild Karsten Zunke Über den Autor/die Autorin:

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