Vom TV zum datengetriebenen Total-Video-Ansatz
Karsten Zunke, 18. November 2025Interview mit Frank Sültmann, Samba TV
Der TV- und Bewegtbildwerbemarkt in der DACH-Region befindet sich im Wandel. Während lineares Fernsehen noch immer hohe Reichweiten erzielt, verlagert sich die Aufmerksamkeit der Konsumenten zunehmend auf digitale TV-Plattformen. Für Werbetreibende bedeutet das: Erfolg misst sich nicht mehr allein an Bruttoreichweite, sondern an der Fähigkeit, Zielgruppen plattformübergreifend anzusprechen. Im Interview mit ADZINE erklärt Frank Sültmann, Business Development Director für DACH bei Samba TV, welche Rolle datengesteuerte Strategien aktuell spielen und wie man es schafft, in einem fragmentierten Bewegtbild-Markt die Nutzerpfade über Geräte hinweg zu verbinden.
ADZINE: Frank, wie entwickelt sich der Markt für TV- und Bewegtbildwerbung im deutschsprachigen Raum aktuell – und welche Rolle spielen dabei datengesteuerte Strategien?
Frank Sültmann: Der TV- und Videowerbemarkt in der DACH-Region befindet sich mitten in einer tiefgreifenden Umbruchphase. Klassisches lineares Fernsehen erzielt zwar nach wie vor beachtliche Reichweiten, verliert aber kontinuierlich an Dominanz – insbesondere, da Streaming, On-Demand-Angebote und digitale Videonutzung weiter zunehmen. Vor allem jüngere Zielgruppen konsumieren Bewegtbild längst plattformübergreifend. Insgesamt beobachten wir eine Entwicklung weg vom TV als reinem Reichweitenmedium hin zu Total Video als leistungs- und datengetriebenem Kanal.
ADZINE: Was bedeutet das für Werbetreibende. Welche Herausforderungen kommen auf sie zu?
Sültmann: Zu den größten Herausforderungen, die Werbetreibende aktuell lösen wollen, gehört es, plattformübergreifende Sichtbarkeit zu schaffen und Zielgruppen präziser und datenbasiert anzusprechen. Es ist auch wichtig, die zusätzliche Reichweite über das lineare TV hinaus zu messen und den Beitrag von Kampagnen zu Geschäftsergebnissen wie Website-Besuchen, App-Nutzung oder Abverkauf eindeutig zu belegen.
ADZINE: … und wie stellen sich Advertiser diesen Herausforderungen?
Sültmann: Wir sehen eine starke Nachfrage seitens Medienhäusern, Agenturen und Marken nach umsetzbaren Insights, die lineare und digitale Welten miteinander verbinden und dabei Verhalten und Intention zusammenführen. Viele kämpfen mit begrenzten Datenquellen und wollen neue Signale nutzen, um ihre Zielgruppen besser zu verstehen und gezielter zu aktivieren. Wir unterstützen Werbetreibende genau dabei.
ADZINE: In einem fragmentierten Markt habt ihr eure Positionierung geschärft und agiert nun als reiner Datenanbieter. Warum ist diese klare Differenzierung so wichtig?
Sültmann: Unser Ziel war es schon immer, Fragmentierung zu überwinden und Werbetreibenden eine ganzheitliche Sicht auf das Konsumentenverhalten zu ermöglichen. In einer zunehmend komplexen und automatisierten Medienlandschaft wollen wir Marken helfen, bessere Ergebnisse zu erzielen und dadurch Wettbewerbsvorteile zu sichern. Dazu gehört, die Verzerrungen und Grenzen einzelner Datenquellen zu überwinden – denn sie sind häufig unvollständig, teuer oder schlicht unzuverlässig.
Der deutsche Markt kennt unsere ACR-Technologie, die Automatic Content Recognition. Inzwischen sind wir jedoch darüber hinausgegangen: Wir kombinieren unsere First-Party-TV-Daten mit Web-Signalen und validierten Drittanbieter-Informationen, um ein präzises und vollständiges Bild der Zielgruppen zu liefern – sowohl darüber, wer sie sind als auch, wo sie sich im Marketing-Funnel befinden.
ADZINE: Welche Arten von Datensignalen sind derzeit entscheidend, um Zielgruppen präzise zu identifizieren und anzusprechen? Und auf welche Signale setzt ihr?
Sültmann: Unsere eigene ACR-Technologie erfasst sämtliche Inhalte auf dem Bildschirm – ob linear, gestreamt, Gaming oder andere Formate. Wir arbeiten mit First-Party-Daten aus 48 Millionen TVs und über einer Milliarde Webnutzern weltweit, ergänzt um validierte Drittanbieter-Signale. All diese Daten liefern Erkenntnisse über Interessen und kontextuelles Verhalten, auch in deutscher Sprache. Besonders spannend wird es an der Schnittstelle zwischen TV-Viewership und Web-Verhalten: Dort können wir Aufmerksamkeit mit Intention verknüpfen. So lassen sich zum Beispiel Zielgruppen identifizieren, die eine TV-Weihnachtskampagne noch nicht gesehen haben, aber online bereits aktiv nach Produkten der betreffenden Marke suchen.
ADZINE: Wie gut gelingt es derzeit, Nutzerpfade über verschiedene Screens und Plattformen hinweg konsistent zu messen – und wo liegen die größten Hürden?
Sültmann: Konsument:innen wechseln heute mühelos zwischen Fernseher, Smartphone, Tablet und PC. Die Messsysteme dagegen sind oft noch in Silos organisiert – das führt zu fragmentierten Erkenntnissen und verhindert eine effiziente Steuerung von Reichweite, Frequenz und Attribution.
Ein zentrales Problem ist das Fehlen standardisierter Identifier, die plattformübergreifend funktionieren und gleichzeitig den Datenschutzvorgaben – etwa der DSGVO – entsprechen. Hinzu kommen die sogenannten Walled Gardens großer Plattformen, die Datenaustausch und Interoperabilität erschweren. Dennoch gibt es Fortschritte: Technologien wie ACR und Household Identity Graphing ermöglichen zunehmend, Nutzerpfade über Geräte hinweg zu verbinden, ohne die Privatsphäre zu gefährden. Wir setzen hierbei auf deterministische Signale und probabilistische Modelle, um Sehverhalten auf Haushaltsebene zu verknüpfen und Reichweite, Frequenz sowie inkrementellen Effekt präziser zu messen.
ADZINE: Künstliche Intelligenz spielt auch in der Kampagnenplanung eine immer größere Rolle. Welche Chancen siehst du, mithilfe von KI genauere Prognosen für Reichweite, Inkrementalität und Konversionen zu erstellen?
Sültmann: KI hat das Potenzial, jede Phase des Media-Lifecycles zu transformieren – von der Planung über die Optimierung bis hin zur Wirkungsmessung. Wir nutzen schon seit Längerem Machine-Learning-Modelle, um Reichweiten vorherzusagen, Kampagnenleistungen zu prognostizieren und Zielgruppensegmente anhand historischer Seh- und Interaktionsmuster zu identifizieren. Ein aktuelles Beispiel ist unsere Kooperation mit Media Tek, dem weltweit größten Hersteller von Smart-TV-Chipsätzen: Gemeinsam haben wir eine Edge-basierte KI-Lösung entwickelt, die kontextuelle Intelligenz in Echtzeit direkt auf den Fernseher bringt. Die Technologie erkennt Szenen, Objekte, Marken, Interaktionen und sogar Stimmungen, ohne Daten in die Cloud zu senden. So entsteht kontextuelles Echtzeit-Targeting, das markensichere Werbung, KI-generierte Metadaten und inhaltsbewusste Nutzererlebnisse ermöglicht.
ADZINE: Könntest du bitte ein Beispiel nennen, wie das in der Praxis aussehen könnte?
Sültmann: Wenn beispielsweise während eines Fußballspiels ein Tor fällt, kann die Smart-TV-Anwendung in Echtzeit interaktive Angebote oder Sponsoring-Momente aktivieren. Zeigt eine Serie ein Café, wird der Inhalt automatisch mit Labels wie „Kaffee“, „Starbucks“ oder „Brunch“ versehen – und relevante Markenplatzierungen können direkt ausgelöst werden. Ebenso erkennt das System sensible Inhalte, mit denen Marken nicht in Verbindung gebracht werden möchten. Diese Form der kontextuellen Werbung basiert vollständig auf dem Inhalt, nicht auf Cookies oder User-IDs.
ADZINE: Welche Entwicklungen erwartest du in den kommenden zwei Jahren für den deutschsprachigen Markt?
Sültmann: In den nächsten zwei Jahren wird sich die Nutzung von Connected TVs in der DACH-Region massiv beschleunigen, begleitet von steigenden Werbeinvestitionen. Gleichzeitig werden Werbetreibende den Fokus stärker auf ergebnisorientierte KPIs wie Inkrementalität, Aufmerksamkeit und Abverkauf legen. Parallel dazu wird die Bedeutung von Privacy-first-Ansätzen in Targeting und Messung weiter zunehmen.
ADZINE: Und welchen Rat gibst du Marken und Agenturen mit auf den Weg, die stärker auf datengesteuerte TV- und Videostrategien setzen wollen?
Sültmann: Besonders wichtig wird die Verzahnung von linearen und digitalen Buchungsplattformen, um nahtlose, plattformübergreifende Strategien umzusetzen. Denn das Mediennutzungsverhalten wird immer komplexer. Wer hier mithalten will, muss schon heute die richtigen Datenfundamente schaffen. Mein Rat an Marken und Agenturen lautet daher: Jetzt experimentieren, testen, lernen. Offenheit für KI-gestützte Datenanalysen und neue Messansätze ist entscheidend, um in einem dynamischen Markt langfristig erfolgreich zu bleiben.
ADZINE: Vielen Dank für das Interview, Frank!
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