CTV-Werbung bei Dazn: Der verloren geglaubte Lagerfeuermoment
André Gärisch, 20. Oktober 2025Vermarktungsstrategien der Streamingdienste

Der Streamingmarkt befindet sich im Umbruch. Nahezu alle Anbieter haben inzwischen günstigere Zugänge mit Werbung eingerichtet und damit Alternativen zu den teureren abobasierten Modellen geschaffen. Dazn hat in den vergangenen Jahren nicht nur sein Sportrechte-Portfolio kontinuierlich erweitert, sondern auch die Werbevermarktung professionalisiert. Patrick Kettenbach, Head of Business Planning Central EU, erklärt im Gespräch mit ADZINE, wie sich Reichweiten und Zielgruppen in Deutschland entwickeln, warum bei Dazn Emotionen mehr zählen als reine Conversions und welche technologischen Partnerschaften den programmatischen Ausbau vorantreiben.
ADZINE: Herr Kettenbach, welche Reichweiten erzielt Dazn aktuell in Deutschland und wie ist Ihr Angebot strukturiert?
Kettenbach: Wir kommunizieren keine Abonnentenzahlen, sind aber in mehreren Märkten an offizielle Messsysteme angeschlossen, in Deutschland an die AGF. Laut AGF erreichen wir monatlich rund fünf Millionen Zuschauer:innen über Streaming und unsere linearen Kanäle Dazn 1 und 2. Berücksichtigt man Co-Viewing im Streaming, liegt die tatsächliche Reichweite bei etwas über sechs Millionen. Bei großen Events, etwa Bundesliga-Topspielen oder Champions-League-Partien, erzielen einzelne Übertragungen deutlich über eine Million Zuschauer:innen. Unser Abo mit Bundesliga und Champions League ist das umfangreichste und exklusivste Paket. Das günstigere Abo bietet ebenfalls einen breiten Sport-Mix, inklusive der Bundesliga-Konferenz. Zusätzlich stellen wir frei verfügbare Inhalte bereit, etwa ausgewählte Spiele aus der Serie A oder La Liga.
ADZINE: Sie haben kürzlich die Fußball-Klub-Weltmeisterschaft frei empfangbar übertragen. Welche Effekte hatte das?
Kettenbach: Durch die Free-Ausstrahlung konnten wir eine deutlich jüngere Zielgruppe erreichen, obwohl wir ohnehin schon ein sehr junges Publikum haben im Vergleich zum linearen TV oder anderen Streamingdiensten. Viele, die diese Spiele gesehen haben, waren vorher noch nicht auf unserer Plattform aktiv. Ein Teil davon wurde im Anschluss zu zahlenden Kund:innen. Das zeigt: Frei zugängliche Events sind ein wirkungsvolles Mittel, um neue Nutzer:innen an Dazn heranzuführen.
ADZINE: Die Bundesliga-Konferenz dürfte aktuell den größten Reichweiteneffekt bringen?
Kettenbach: Absolut. Die Samstagskonferenz zu Dazn zu holen, war ein entscheidender Schritt. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir bislang rund 80 Prozent mehr Werbeeinnahmen erzielt. Beliebt ist auch unser On-Demand-Angebot rund um die Bundesliga: Alle Spiele sind im Re-Live verfügbar, Highlights gibt es in verschiedenen Längen, das rundet die Nutzungserfahrung ab.
ADZINE: Netflix, Amazon oder Disney investieren ebenfalls stark in Sportrechte. Spüren Sie wachsenden Druck?
Kettenbach: Natürlich beobachten wir das aufmerksam, sehen es aber eher als Bestätigung dessen, was wir bereits seit Jahren zeigen: dass Sport und Streaming zusammen funktionieren. Wir unterscheiden uns durch die Vielfalt an Rechten, unseren wiedererkennbaren journalistischen Stil und eine engagierte Zielgruppe, die sich mit unserem Produkt identifiziert. Diese Kombination ist unser Wettbewerbsvorteil gegenüber Anbietern, die meist nur einzelne Rechte erwerben.
ADZINE: Dazn wird meist automatisch mit Sport assoziiert. Wie gestalten Sie Ihre Content- und Geschäftsstrategie darüber hinaus?
Kettenbach: Live-Sport bleibt unser Kern. Wir sehen Dazn aber zunehmend als „One-Stop-Shop“ für Sportfans. Es gibt viele interessante Touchpoints um den Sport herum: Betting, Statistiken, Merchandise, Ticketing, Gamification. Mit der Fanzone haben wir beispielsweise eine Interaktionsplattform geschaffen. Fans können sich per QR-Code auf dem Big Screen anmelden und während des Spiels auf dem Second Screen diskutieren oder an Votings wie „Man of the Match“ teilnehmen. Viele Fans wollen eben nicht nur zuschauen, sondern aktiv mitmachen.
ADZINE: Welche Rolle spielt die Fanzone für Werbepartner?
Kettenbach: Eine große. Marken können etwa Branded Votings einbauen oder direkt mit Fans interagieren. Das ist ein anderer Kontakt als ein klassischer Spot, näher an der Community und emotionaler eingebettet.
ADZINE: Wie handhaben Sie die Werbelast in den verschiedenen Abo-Modellen?
Kettenbach: Free-Nutzer:innen sehen natürlich mehr Werbung, zum Beispiel zusätzliche Pre-Rolls. In den Abo-Stufen wird die Werbelast deutlich reduziert. Ganz ohne Werbung geht es im Live-Sport allerdings nicht, da sie ein zentraler Bestandteil der Refinanzierung ist. Anders als in anderen Formaten empfinden Zuschauer sie hier jedoch weniger störend, da Werbung und Sport seit Jahrzehnten eng miteinander verwoben sind.
ADZINE: Wie gestalten Sie die Platzierung von Spots und die Länge der Werbeblöcke?
Kettenbach: Im Sport sind die Werbeplätze meist vorgegeben: vor dem Spiel, in Spielunterbrechungen und nach dem Abpfiff. Wir achten darauf, die Blöcke kürzer zu halten als im linearen TV. Kürzere Unterbrechungen erhöhen die Akzeptanz bei den Zuschauer:innen und lassen Marken stärker wirken.
ADZINE: Bieten Sie Frequency Capping an, insbesondere auch über externe Kanäle hinweg?
Kettenbach: Innerhalb unserer Plattform ist Frequency Capping relativ einfach, weil wir ausschließlich eingeloggte Nutzer:innen haben. Diese können wir geräteübergreifend identifizieren und gezielt ein Frequency Capping im Adserver setzen. Für Kampagnen über Dazn hinaus funktioniert das nur, wenn die eingesetzte DSP die Nutzer:innen korrekt erkennt. Ein Beispiel war eine Kampagne, die wir parallel auf unserer Plattform und auf den Dazn-Youtube-Kanälen umgesetzt haben, über DV360 mit einheitlichem Frequency Capping. Entscheidende Grundlage sind Identifier wie Ramp ID, die eine konsistente Steuerung über verschiedene Kanäle hinweg ermöglichen. Ramp ID und die EU ID sind inzwischen integriert, und wir sprechen mit weiteren Partnern – lokal wie global –, um diese Möglichkeiten weiter auszubauen.
ADZINE: Interaktive Ads mit Shopping-Option werden immer wichtiger. Bieten Sie solche Formate an?
Kettenbach: Mit der Fanzone schaffen wir ein interaktives Umfeld, in dem Marken direkt mit Fans in Kontakt treten können, auch produktbezogen, etwa über Verlinkungen. Natürlich ist das keine nahtlose „One-Click“-Einkaufserfahrung, aber eine gute Möglichkeit, um Kunden im Moment der Emotion anzusprechen. Unser Schwerpunkt liegt generell eher auf emotionaler Markenwirkung und Awareness, nicht auf direkter Conversion. Live-Sport erzeugt kollektive Begeisterung, den immer seltener gewordenen „Lagerfeuermoment“. Marken können diese Emotion nutzen, um eine tiefere Verbindung zur Zielgruppe aufzubauen.
ADZINE: Welche Targeting-Optionen haben Ihre Werbekunden und wie nutzen Sie programmatische Technologien?
Kettenbach: Bei unseren Werbekunden ist kontextuelles Targeting am beliebtesten, etwa Spots vor dem Anstoß, in den Halbzeiten oder bei besonderen Spielsituationen wie Auswechslungen. Zusätzlich ermöglichen wir Geotargeting über alle Geräte hinweg. Künftig wollen wir auch weitere Datenpunkte wie Alter und Geschlecht stärker nutzbar machen. Der Großteil unseres Inventars ist programmatisch buchbar; In-Game-Formate noch nicht – hier steht ein nächster großer Schritt an. Ein weiteres zentrales Thema sind Data Clean Rooms: Marken können dort eigene Segmente einbringen oder Kampagnen nachträglich analysieren, zum Beispiel hinsichtlich inkrementeller Reichweite oder Markenwirkung im Vergleich zu linearem TV. Diese Möglichkeiten wollen wir weiter ausbauen. Seit September arbeiten wir zudem mit Open Path in Kooperation mit The Trade Desk und nutzen IDs für die programmatische Aussteuerung. Gleichzeitig sammeln wir kontinuierlich Feedback von Partnern, um das System fortlaufend zu optimieren.
ADZINE: Wäre der Aufbau einer eigenen DSP mittelfristig eine Option oder ist das aktuelle Set-up mit Partnern wie Google oder The Trade Desk so effektiv, dass eine eigene Lösung weder praktikabel noch notwendig erscheint?
Kettenbach: Wir vermarkten auch Content von Dazn, der außerhalb unserer eigenen Plattform läuft, beispielsweise auf Kicker, Pluto oder Youtube. Dieses Set-up ist mit einer eigenen Plattform schwer abzubilden. Daher sind wir mit der Partnerschaft mit Google und anderen bisher sehr gut gefahren. Einzelne Teile der Strecke wie das Kampagnenplanungs- und Forecasting-Tool haben wir bereits selbst entwickelt.
ADZINE: An welchen Stellen setzen Sie KI zur Kampagnenoptimierung ein?
Kettenbach: Eine KI-basierte Aussteuerung ist nur dann sinnvoll, wenn das Inventar gleichmäßig verteilt werden kann, was beim Live-Sport durch starke Zuschauer-Peaks eingeschränkt ist. Zuschauer sind nur zu bestimmten Zeitpunkten aktiv, etwa während des Spiels oder in der Halbzeit. Entscheidend ist, diese Peaks vorherzusagen, um Reichweiten und Verfügbarkeit genau zu planen. Hier setzen wir Machine Learning ein, um dynamisch zu prognostizieren, welche Reichweiten zu welchem Zeitpunkt, in welchem Land und auf welchen Geräten zu erwarten sind. Das hilft uns, Kampagnen gezielt zu steuern, das Pacing anzupassen und Werbebotschaften trotz der Live-Dynamik effektiv auszuspielen.
ADZINE: Welche KPIs liefern Sie Werbekunden?
Kettenbach: Über den Google Ad Manager können wir sehr detaillierte Kennzahlen bereitstellen. Die wichtigsten sind die View-Through-Rate, die bei Live-Sport durch die engagierte Audience besonders hoch ausfällt, und die Netto-Reichweite. Zusätzlich bieten wir Messungen über externe Partner wie Nielsen an, etwa Brand-Lift-Studien, um Awareness und emotionalen Brand Impact zu quantifizieren. Auch die inkrementelle Reichweite im Vergleich zu linearem TV oder anderen Medien lässt sich analysieren. Zusammen bilden View-Through-Rate, Brand Lift und inkrementelle Reichweite die zentralen Kennzahlen, um den Erfolg von Kampagnen messbar und transparent zu machen.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel ist Teil einer Interviewserie mit Verantwortlichen bei Streamingdiensten.
Bisher erschienen sind:
- Aktueller Überblick: Wie Streamingdienste ihr Werbegeschäft ausrichten
- CTV-Werbung bei RTL+ mit unabhängiger Adtech
- CTV-Werbung bei Amazon nach einem Jahr Prime Video Ads
- CTV-Werbung bei Joyn als Content- und Channel-Aggregator
- CTV-Werbung bei Paramount+: Content-Strategie, Technologie, Daten
- CTV-Werbung und die Rolle der KI bei Youtube
- CTV-Werbung bei Disney+: Status quo und Ausblick auf KI-Zukunft
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