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ADTECH - Interview mit Oliver Kampmeier, Fraud0

Agentic AI und Ad Fraud: Game-Changer oder Game Over?

Anton Priebe, 8. Oktober 2025

Interview mit Oliver Kampmeier, Fraud0

Bild: Emma Corti - Unsplash

Der Hype um Künstliche Intelligenz findet kein Ende. Gerade als Generative KI in Gartners Hype Cycle ins Tal der Enttäuschungen rückt, erklimmt eine neue Technologie den Gipfel der überzogenen Erwartungen: Agentic AI. In der Adtech-Branche sorgt das Konzept für Faszination und Sorge zugleich. KI-Agenten versprechen einerseits mehr Automatisierung und damit noch effizientere Werbekampagnen. Andererseits könnten sie bewährte Technologien und die Köpfe dahinter überflüssig machen – oder sogar Betrüger mit dem nötigen Rüstzeug ausstatten, um Ad Fraud auf ein neues Level zu heben. Oliver Kampmeier, Marketing Lead von Fraud0, ordnet im Interview die Entwicklungen rund um Agentic AI ein und klärt über Chancen, Risiken sowie Missverständnisse auf.

Oliver Kampmeier, Fraud0

ADZINE: Alle sprechen über Agentic AI. Doch kaum jemand kann den Begriff klar einordnen. Was steckt dahinter, und warum ist das gerade für Adtech relevant?

Oliver: Es gibt viele Definitionen, aber im Kern geht es darum, dass KI-Systeme eigenständig Ziele verfolgen und Entscheidungen treffen können. Früher hat man einer KI eine Aufgabe gegeben und wenn ein Problem auftrat, musste man nachsteuern. Agentic AI bedeutet, dass Systeme in einem gewissen Grad autonom handeln.

Gerade in Adtech ist das spannend. Theoretisch könnten Kampagnen komplett automatisiert gesteuert werden, inklusive Analyse, Targeting und Optimierung, 24/7. Das bringt Effizienzgewinne. Gleichzeitig entstehen aber neue Angriffsflächen. Denn auch KI-Agenten sehen Werbung, klicken und interagieren, ohne dass ein echter Mensch beteiligt ist. Werbung erreicht also nicht mehr nur Menschen, sondern zunehmend auch Maschinen.

Mit „Machine Customers“ kommt zudem eine neue Dimension hinzu. Agenten, die im Auftrag einkaufen, Produkte vergleichen oder Tickets kaufen. Für Adtech heißt das, dass man lernen muss, nicht nur Menschen, sondern auch maschinelle Entscheider anzusprechen. Agentic AI kann Game-Changer oder Game Over sein.

ADZINE: Welche Probleme entstehen dadurch konkret für die Werbeindustrie?

Oliver: Vieles ist nicht neu. Tickets oder Sneaker wurden schon von Sniper-Bots gekauft, um sie teurer wieder zu verkaufen. Aber Agentic AI beschleunigt die Entwicklung. Neu ist zum Beispiel, dass komplette Customer Journeys simuliert werden können, vom ersten Kontakt bis zur Conversion und inklusive der Interaktion mit Chatbots. Das macht die Unterscheidung zwischen Mensch und Bot schwieriger.

Außerdem ist die Technologie heute schon für die breite Masse zugänglich. Früher musste man wirklich programmieren können, jetzt reicht ein KI-System, das sich selbst weiterentwickelt.

ADZINE: Wie kann man sich so eine gefälschte Customer Journey vorstellen?

Oliver: Im Online-Marketing definieren wir Personen über Datenpunkte. Und genau diese Datenpunkte kann auch ein Agent aufbauen. Retargeting-Fraud gibt es seit Jahren. Bots sammeln Cookies, um dann gezielt Werbung ausgespielt zu bekommen. Neu ist, dass Agenten das viel glaubwürdiger tun können.

Sie bewegen sich über Publisher-Seiten mit Ad-Slots oder landen auf Cash-Out-Seiten, die voll mit Werbung sind. Damit Betrüger aber überhaupt Aufwand betreiben, muss es sich lohnen. Solange sie mit einfacheren Methoden erfolgreich sind, nutzen sie die. Agentic AI eröffnet viele Optionen, aber nicht jeder muss sie sofort ausschöpfen.

ADZINE: Klassischer Fraud geht Zahlen der Messdienstleister zufolge zurück, dafür steigt der Anteil von Crawler-Traffic. Im Gegensatz zu den “bösartigen” Bots geben sich die Crawler als Bots zu erkennen. Müsste der nicht dann leicht vom Publisher auszusortieren sein?

Oliver: Schön wär’s. Viele Crawler, etwa von Google, halten sich an Regeln wie die Robots.txt. Aber das ist nur ein „Bitte nicht betreten“-Schild. Andere Crawler ignorieren das und sammeln trotzdem Daten. Für Publisher kann das ein Problem sein, weil dadurch Impressions entstehen, die keinen Mehrwert haben. Advertiser können dann entscheiden, ob sie eine Rückerstattung vom Publisher fordern, den Publisher wechseln oder eine Inclusion-List nutzen. Aber es bleibt ein komplexes Feld.

ADZINE: Wenn KI-Agenten menschliches Verhalten immer besser imitieren – führt das nicht zwangsläufig dazu, dass echte Menschen aussortiert werden, weil sie wie Bots wirken?

Oliver: Wir müssen weg vom Schwarz-Weiß-Denken. Der Traffic lässt sich nicht starr in Mensch oder Maschine einteilen und Bots sollten heute differenziert betrachtet werden. Moderne Detection-Systeme arbeiten ohnehin probabilistisch mit Tausenden Datenpunkten und klassifizieren in Abstufungen. Das minimiert zunächst einmal False Positives stark.

Diese Abstufungen sind jedoch auch notwendig, da nicht jeder Bot per se schlecht ist. Suchmaschinen-Crawler sind ein gutes Beispiel, auch KI-Agenten können nützlich sein. Natürlich imitieren bösartige Bots das Verhalten von Menschen und werden darin besser, aber auch das ist nichts Neues. Schon vor Jahren haben Bots Mausbewegungen oder Klicks nachgeahmt. Agentic AI ist nur eine Weiterentwicklung.

ADZINE: Welche Betrugsfälle werden für Advertiser durch Agentic AI besonders problematisch?

Oliver: Grundsätzlich dieselben wie bisher. Neu ist vor allem die niedrigere Eintrittshürde, denn jeder kann mit KI-Unterstützung Bots bauen. Noch sind Agentic-AI-Bots nicht unbedingt besser als die etablierten Systeme. Aber es kann kippen, wenn sie irgendwann massentauglich menschliches Verhalten nachbilden.

Das größte Problem bleibt aber im programmatischen Bereich, mit Junk Domains und Made-for-Advertising-Sites. Da braucht es gar keine Agentic AI. Fraudster können nach wie vor einfach Domain Spoofing nutzen, um sich als große Publisher auszugeben, oder Ad-Stacking, um ihre Einnahmen zu maximieren.

ADZINE: Das klingt nach einem endlosen Wettrüsten.

Oliver: Ja, aber Betrüger sind auch faul. Solange sie mit einfachen Methoden viel Geld verdienen, werden sie diese nutzen. Agentic AI macht vieles möglich, aber noch nutzen die meisten den altbekannten Werkzeugkasten.

ADZINE: Lass uns lieber positiv auf die Zukunft schauen: Wo können KI-Agenten im Werbeökosystem in Sachen Fraud Mehrwert bringen?

Oliver: Vor allem in der Automatisierung von Routineaufgaben. Ein KI-Agent könnte Datenreports permanent analysieren, Anomalien erkennen und Alarm schlagen. Schon heute ließen sich dadurch viele Bot-Muster in Analytics finden, nur sucht oft niemand danach.

KI-Agenten könnten natürlich auch für Advertiser Daten auswerten und Kampagnen optimieren. Wenn Android-Kampagnen beispielsweise stärker von Fraud betroffen sind, könnte man Budgets automatisch Richtung iOS verschieben. Die Frage ist nur, wie viel Autonomie man abgeben will.

ADZINE: Manchmal wirkt es so, wollen Advertiser Fraud gar nicht so genau untersuchen. CMOs freuen sich über gute Ergebnisse und schauen auf Reichweite oder Klickraten. Wie die zustande kommen, ist am Ende egal. Täuscht der Eindruck?

Oliver: Es ist zwiegespalten. Im Performance-Bereich schaut man genau auf ROAS und Optimierungspotenziale und da spielt Traffic-Qualität eine Rolle. In Branding-Kampagnen hingegen zählt oft nur Reichweite, manchmal ohne zwischen Mensch und Bot zu unterscheiden.

Letztlich regelt es der Markt. Wer auf echte KPIs schaut, wird langfristig erfolgreicher sein. Wer Bots mitrechnet, wird irgendwann merken, dass das Branding-Ziel verfehlt wurde.

ADZINE: Tut der Hype um Agentic AI der Diskussion über Fraud-Risiken eher gut oder lenkt er ab?

Oliver: Ich würde sagen, dass er guttut. Viele Menschen konnten sich früher nicht vorstellen, was Bots alles können. Durch den aktuellen KI-Hype ist das Thema greifbarer geworden. Leute sehen jetzt, dass autonome Systeme tatsächlich möglich sind und sie verstehen besser, warum wir seit Jahren vor diesen Risiken warnen.

ADZINE: Danke für das Interview, Oliver!

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