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Achtung vor der Big-Tech-Falle!

Daniel Neuhaus, 11. September 2025
Bild: Trophy Technology – Unsplash

In der Tech- und Werbewelt gibt es ein bekanntes Bonmot: „Wenn du nicht für das Produkt zahlst, bist du das Produkt.“ Heißt: Wer einen Dienst kostenlos nutzt, bringt auf andere Weise Wert – etwa durch seine Aufmerksamkeit, sein Verhalten oder durch die Daten, die sein digitales Handeln erzeugt. Was früher vor allem auf Verbraucher zutraf, gilt heute auch im B2B-Bereich: Denn auch Unternehmen nutzen kostenlose Tools und zahlen dafür nicht immer mit Geld, sondern oft mit erhöhter Abhängigkeit oder Einblicken ins eigene Business.

Gerade im Advertising bekommt das aktuell eine ganz neue Dimension. Denn die Tech-Giganten agieren immer aggressiver, um ihre Walled Gardens auszubauen – und zwar mit unübersehbaren Konsequenzen. Im Laufe der Jahre haben diese Unternehmen auf Praktiken zurückgegriffen, die viele als wettbewerbswidrig bezeichnen, und ihren eigenen Vorteil über die Transparenz gestellt.
Obwohl die EU-Regulierungsbehörden als primäres Mittel zur Bekämpfung wettbewerbswidrigen Verhaltens auf Geldbußen setzen, hat sich dadurch an der Einstellung und am Verhalten offenbar bisher wenig verändert. So wurde beispielsweise Googles Mutterkonzern Alphabet zu Milliardenstrafen verurteilt. Es gibt jedoch Bedenken, ob das ausreicht, um künftige Verstöße zu verhindern. Und während die Aufsichtsbehörden über geeignete Gegenmaßnahmen beraten, greifen einige Big-Tech-Unternehmen weiterhin auf fragwürdige Praktiken zurück, um sich Marktvorteile zu verschaffen.

„Gratis-DSPs“ mit versteckten Kosten

Die neueste Big-Tech-Taktik: Damit Agenturen und Werbetreibende auf ihre Plattform wechseln, verschenken die Big Techs im Prinzip ihre DSP-Technologie. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn statt am Ende zu sparen, zahlen Marken und Media-Agenturen meist auf eine andere Weise: durch versteckte Kosten, eingeschränkte Transparenz, hohe Abhängigkeit, Priorisierung der Big-Tech-Inventare, Risiken für das Markenimage, Datenweitergabe und eine Überflutung der Verbraucher mit Werbeausspielungen – also mit allem, was die Effektivität einer Kampagne zerstört.

Die Situation erinnert an ein weit aufgerissenes Haifischmaul, in das diverse Marktteilnehmer so entspannt ihren Kopf legen, dass es den Hai manchmal schon selbst überrascht. Und auch der nächste Schritt, dass nämlich ein Agentic-Modell die Agenturen und deren Trader weitestgehend aus dem Spiel nimmt, wird unter Experten bereits heftig diskutiert.

Bevor Budgets freigegeben werden, sollten Werbetreibende die Preisstrukturen und Nutzungsbedingungen der Big Techs auf jeden Fall sehr genau prüfen, um das Gesamtbild wirklich zu verstehen. Kontrolle und Transparenz sind unverzichtbar – nur wer weiß, wo seine Anzeigen ausgespielt werden, wie oft sie gezeigt werden und welchen tatsächlichen Wert jede Impression hat, kann fundierte Entscheidungen treffen.

Und für Retailer und Brands steht sogar noch mehr auf dem Spiel. Wenn eine große Adtech-Plattform gleichzeitig Publisher ist, die Anzeigenpreise festlegt, Verkaufsmargen bestimmt, die Erfolgsmessung liefert, die gewonnenen Daten für eigene Zwecke nutzt und den Marktplatz betreibt, auf dem die Produkte verkauft werden, ist die tatsächliche Kosten-Nutzen-Rechnung weitaus komplexer als die als Köder ausgelegte Mini-DSP-Gebühr – und verdient daher ebenfalls eine sorgfältige Prüfung.

Letztlich treiben solche Praktiken die Kosten für Werbetreibende in die Höhe und schmälern zugleich die Einnahmechancen der Publisher. Die großen Tech-Unternehmen, ausgestattet mit riesigen finanziellen Mitteln, sind auf diesem Markt also praktisch Ankläger und Richter in einer Person. Diese Konstellation erlaubt es ihnen, den eigenen Profit über die Performance ihrer Kunden zu stellen.

Doch trotz dieses Ungleichgewichts sind Marketer nicht machtlos. Unabhängig von verschärften Kontrollen durch die Aufsichtsbehörden, insbesondere in den USA und der EU, müssen sie weiterhin Transparenz einfordern: Wo und wie werden meine Daten genutzt? Welchen konkreten Mehrwert liefert welcher Partner in der Supply Chain?

Datengesteuerte Werbung statt Budget-Kürzungen

In diesen unsicheren Zeiten steigt der Druck auf CMOs, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen. Doch einfach die Budgets zu kürzen, birgt die Gefahr, komplett aus dem Tritt zu geraten. Die deutlich bessere Antwort ist die Nutzung von datengesteuerter Werbung im offenen Premium-Internet.

Geschlossene Systeme hingegen funktionieren am besten für diejenigen, die sie kontrollieren – und meist auf Kosten aller anderen. Die Einbußen sind real. Scheinbare Vorteile oder vermeintliche Einsparungen sollten nicht auf Kosten der Kontrolle gehen. Smarte Marken, Agenturen und Werbetreibende wissen das. Sie fordern Transparenz, Unabhängigkeit und eine messbare Performance ihrer Werbespendings. Das sind keine „Nice-to-haves“, sondern die Grundlage für langfristigen Markenerfolg – und für ein dauerhaft erfolgreiches, werbegestütztes Premium-Internet.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Daniel Neuhaus Über den Autor/die Autorin:

Daniel Neuhaus leitet seit Februar 2024 das DACH-Geschäft von The Trade Desk. Bereits seit zwei Jahrzehnten gehört Daniel Neuhaus zu den einflussreichsten Köpfen der deutschen Data- und Programmatic-Branche: Mit Emetriq gründete er den führenden deutschen Datenpool (heute Teil der Deutschen Telekom).  Die Karriere des Hamburgers begann 1994 bei der Axel Springer AG. Daniel Neuhaus verantwortete dort maßgeblich den ersten Launch von Bild.de und war Mitglied der ersten Geschäftsleitung der Website. Danach wirkte er als Director of Ecommerce und Managing Director bei Eventim, bevor er als General Manager die Online- und Marketingbereiche der Computer-Bild-Gruppe leitete. Zudem gründete er den Targeting-Anbieter Xplosion Interactive und spielte als CEO eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Adtech-Gruppe mrge. Als anerkannter Digitalexperte und Pionier im offenen Internet ist Daniel Neuhaus ein gefragter Redner zu den Themen Programmatic, Plattform-Ökonomie und Data Driven Advertising.

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