Die Außenwerbung wird zunehmend ein bedeutender Baustein des digitalen Werbekosmos. Die Digitalisierung sorgt einerseits dafür, dass Poster zu Bildschirmen werden, die Mediaeinkäufer über digitale Infrastrukturen ansteuern können. Andererseits bringen Smartphones reichlich Daten mit, die sich für die Planung und Wirkungsmessung verwenden lassen. Außenwerbeverbände arbeiten schon seit vielen Jahren daran, diese Datenschätze zu heben und für ihre Gattung nutzbar zu machen. Das Institute for Digital Out of Home Media (IDOOH) hat mit seiner Public & Private Screens-Studie nun laut eigener Aussage “einen Quantensprung” in Sachen Messbarkeit hingelegt. So helfen Massendaten dabei, dass die Anzahl der Kontakte nicht mehr rein über Stichproben berechnet werden müssen. Claudia Zayer, Managing Director von Goldbach DOOH, und Frank Goldberg, Geschäftsführer des IDOOH, erklären im Interview, wie das gelingen konnte und was dies für die Mediaplanung bedeutet.
ADZINE: Mögt ihr kurz den Hintergrund der Studie des IDOOH erläutern? Wie haben sich die DOOH-Leistungswerte im Laufe der Jahre entwickelt?
Frank Goldberg: In der Vergangenheit konnten wir, wie viele andere auch, zwangsläufig nur stichprobenartige Untersuchungen durchführen, die wir erst auf die Gesamtheit der Bevölkerung hochgerechnet und dann wieder auf die Einzelstandorte heruntergebrochen haben. Dabei haben wir bereits sehr große Stichproben gezogen und mit bevölkerungsrepräsentativen Datensätzen gearbeitet. Jetzt aber verfügen wir über Big Data.
Diese Massendaten, die aus großen Smartphone-Trackingpanels wie Placesense oder Adsquare stammen, sind nicht plötzlich da. Tatsächlich arbeiten wir in der Branchen schon seit ein paar Jahren damit. Doch mit der P&PS 3.0 werden sie erstmals integraler Bestandteil einer Leistungswertmessung für DOOH, indem wir zusätzlich die anonymisierten und DSGVO-konformen Daten von 10, 15 Millionen Smartphones nutzen. Wir wissen also, wie viele Smartphones am jeweiligen Standort erfasst werden. In Summe führt das dazu, dass wir Kontakte für jeden einzelnen Screen berechnen und dann aufsummieren können.
ADZINE: Die größte Veränderung ist also das neue „Bottom-Up“-Prinzip. Kannst du das weiter ausführen?
Goldberg: Indem wir „von unten nach oben“ messen, liefern wir die Nettoreichweiten auf Einzelstandortebene, und zwar auf Basis echter gemessener Daten. Durch diese neue Granularität lassen sich viel besser als bisher valide Querbeziehungen herstellen. Wie viele von denjenigen, die an der Tankstelle X waren, waren auch in der Shopping-Mall Y, und wie viele waren hinterher im Supermarkt Z? Wir bilden aber keine individuelle Customer Journey ab, sondern die jeweils individuellen Wahrscheinlichkeiten, mit denen Zielgruppen in Touchpoints beziehungsweise in der Nähe von Screens anzutreffen sind.
Die Nettoreichweite auf Einzelstandortebene bedeutet im Endeffekt für die Anbieter und die Mediaplaner viel mehr Flexibilität. Und: Damit haben wir auch schon den Grundstein für eine Nettoreichweitenberechnung für Programmatic-Kampagnen gelegt. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
ADZINE: Die Jahresdurchschnittswerte der Kontakte je Screen sollen perspektivisch durch eine “Jahresgangkurve” ersetzt werden. Was hat es damit auf sich?
Claudia Zayer: Das heißt, dass wir zukünftig in der Lage sein werden, nicht mehr nur einen statischen Durchschnittswert zu publizieren, der für das ganze Jahr gilt. Künftig wollen wir zusätzlich zum Jahresdurchschnittswert auf Basis historischer Daten einen monatlichen Indexwert festlegen. Ein Beispiel: Wenn im Januar ein Screen nur 80 Prozent der Wochenkontakte im Vergleich zum Jahresdurchschnitt erzielt, da die Menschen mehr zu Hause sind, dann erhält dieser einen Indexwert von 0,8. Im Mai, wenn Zielgruppen permanent unterwegs sind, hat der Screen vielleicht einen Indexwert von 1,4, weil er 140 Prozent der Wochenkontakte im Vergleich zum Jahresdurchschnitt erzielt. So können saisonale und Touchpoint-spezifische Schwankungen besser abgebildet werden.
ADZINE: Bleibt aber die Problematik der regionalen Frequenzeffekte – regional und zeitlich punktuell können Besucherfrequenzen durch bestimmte Ereignisse nach oben oder unten abweichen. Diese Effekte wird auch die Studie im Jahr 2025 nicht gänzlich abbilden können.
Zayer: Mit unseren sehr granularen Massendaten können wir auch regionale Effekte abbilden, wie etwa das Oktoberfest oder den Hamburger Hafengeburtstag. Solche Ereignisse, die nur zeitlich und geographisch punktuell, aber wiederkehrend stattfinden, können wir auswerten, indem wir auf Basis von historischen Daten Kontakt-Prognosen erstellen. Diese komplexen Möglichkeiten führen wir aber erst nach und nach ein.
ADZINE: Welche Daten fließen noch in die Studie mit ein?
Goldberg: Im Kern sind dies vier große Datentöpfe. Die bereits erwähnten Massendaten geben uns eine sehr gute regionale und zeitliche Auflösung des Mobilitätsgeschehens, allerdings sind sie nicht bevölkerungsrepräsentativ und beinhalten keine Kontaktinformationen. Daher arbeiten wir mit zwei weiteren Datentöpfen, die mit jeweils mehreren 10.000 Interviews befüllt sind.
Der eine ist eine bevölkerungsrepräsentative Studie auf Stichprobenbasis, bei der wir in Wellen jedes Jahr 12.000 Menschen befragen, zu welchen Zeiten sie in welchen Touchpoint gegangen sind. Der andere Datentopf befüllt sich aus Vor-Ort Interviews, bei denen die Menschen befragt werden, wenn sie aus einem Touchpoint beziehungsweise POI herauskommen, wie zum Beispiel Tankstellen, Shopping-Malls oder Bahnhöfe. Dadurch können wir unsere Massendaten um Kontaktwahrscheinlichkeiten und Aufenthaltsdauern ergänzen.
ADZINE: Wie werden diese Informationen zusammengeführt?
Goldberg: Die Massendaten bilden ein virtuelles Panel mit einer Million – virtuellen – Teilnehmenden. Jedem Teilnehmenden ist ein reales, aber anonymisiertes Mobilitätsprofil aus den Smartphone-Trackingdaten zugeordnet. Aus dem Mobilitätsprofil erkennen wir, welche POI ein virtueller Panelist besucht. Unsere Stammdaten sagen uns, in welchem POI welche DOOH-Screens installiert sind, zum Beispiel im Supermarkt an der Kasse oder im Eingang. Und die Vor-Ort-Befragungen sagen uns, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Supermarktbesucher oder eine -besucherin Sichtkontakt mit einem Screen im Eingang oder an der Kasse hat – und wie lang die jeweilige Aufenthaltsdauer am Screen ist.
Das heißt, wir können alle Massendaten über ihre Mobilitätsprofile auf individuelle POI-Besuche matchen und aus den Interviews die Kontaktmengen für jeden einzelnen Screen in diesen besuchten POI errechnen. Ganz wichtig ist noch der vierte Topf, in dem die Stammdaten der Screens und der Objekte stecken. Diese liefern uns zu jedem Screen und zu jedem Touchpoint detaillierte Informationen wie Geoinformationen, Umfeld, Screen-Größe und Besuchsfrequenzen.
ADZINE: Stichwort Komplexität – können Agenturen und Kunden mit den Datensätzen arbeiten und wie viele Kampagnen werden tatsächlich in diesem Detailgrad geplant?
Zayer: Eine Planung in diesem Detailgrad ist ja die Aufgabe der Agenturen. Von daher mache ich mir keine Sorgen, dass wir hier zu tief ins Detail gehen. Insbesondere, da Kunden und Agenturen auch die OOH-Medien immer öfter über programmatische Tools einkaufen und crossmedial mit Online und Mobile verbinden, um eben von der Flexibilität und Effizienz auch bei kleineren Budgets zu profitieren.
ADZINE: Besteht nicht die Gefahr, dass durch die granulare Datenlage der Aspekt des Reichweitenmediums in den Hintergrund tritt und Agenturen sich im Mikromanagement verlieren?
Zayer: Natürlich besteht die Gefahr, dass man darüber die ganz große Stärke von DOOH und OOH als Ganzes vergisst, nämlich das letzte verbliebene Reichweitenmedium zu sein.
Die Frage ist, was das jeweilige Kampagnenziel ist: Will man in ganz Deutschland alle erreichen oder eine Zielgruppe in einer bestimmten Region? Dies sind zwei völlig unterschiedliche Kampagnenziele. Es ist Aufgabe der Agentur, eine entsprechende Empfehlung abzugeben.
ADZINE: Wie wird DOOH in zehn Jahren geplant werden?
Goldberg: Der ganze Bereich der Außenwerbung wird viel stärker von programmatischen Planungsmechanismen geprägt werden. Und natürlich wird es KI in der Planung geben, denn jede Agentur wird auf diesen Zug aufspringen. Klar ist aber auch, dass KI riesige Trainingsdatensätze benötigt. Offen ist die Frage, wo dieser Datensatz für die Planung herkommen soll. Dagegen sehe ich KI heute schon in der Kreation. Perspektivisch sinnvoll könnte ich mir KI auch beim Umgang und der Modellierung von Massendaten vorstellen. Man darf also gespannt sein.
ADZINE: Danke für das Gespräch!
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