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CONNECT

ADZINE CONNECT – Die Branche entdeckt ihr Gewissen

Anton Priebe, 10. Juni 2024
Bild: Katharina Meirich / ADZINE Stephan Noller, Ubirch, spricht bei seiner Keynote auf der ADZINE CONNECT über Frösche

Die Adtrader Conference fand dieses Jahr erstmals in neuer Gestalt als ADZINE CONNECT in Berlin statt. 450 Teilnehmer:innen stießen auf über 60 Referent:innen, die ihr Fachwissen auf zwei Bühnen teilten und die wichtigsten Fragestellungen im digitalen Mediageschäft diskutierten. Diese waren teils neu und teils altbekannt, so bleibt etwa Cookieless ein heißes Thema. Doch scheint sich die digitale Werbeindustrie zunehmend selbst zu hinterfragen und sich ihrer ökologischen sowie gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu werden. Dabei steht vor allem die Frage im Raum, wie viel Technologie tatsächlich nötig ist, um effektiv und effizient zu werben. Ironischerweise könnte gerade neue Technologie dabei helfen, den immensen Technologieeinsatz zu reduzieren. Denn die nächste Evolutionsstufe der Digitalwerbung wird in KI gesehen.

Der effektive Einsatz von Daten im Marketing wurde in den vergangenen Jahren arg beschnitten und das Niveau wird auch in Zukunft nicht an Prä-DSGVO-Zeiten heranreichen. Auf der Conference Stage weist Timo Schulte von Oscar Bravo, der Inhouse-Agentur der Lufthansa, bereits in seiner Pre-Note darauf hin, dass die Performance von Kampagnen schlechter wird, wobei er insbesondere den Mid Funnel in Gefahr sieht. Die Werbebudgets werden ihm zufolge entweder in den Upper Funnel hinauf- oder in den Lower Funnel hinabrutschen, denn hier seien die Maßnahmen besser messbar. Algorithmen können zwar andernorts dabei helfen, sich von einem zum nächsten Zwischenziel zu hangeln, aber Schulte plädiert für einen genaueren Blick auf die Kreation, anstatt sich auf die Targeting-Möglichkeiten und die reine Asset-Optimierung zu versteifen. “Kreativität ist das neue Targeting”, so der Agenturfachmann. In Kombination mit KI sieht er einen Silberstreifen am Horizont.

Die Advertiser sind im Panel derweil noch immer auf der Suche nach mehr Relevanz und Kundennähe. Die Personalisierung darf künftig gerne die KI übernehmen, doch in erster Linie gilt es zunächst einmal, die vorherrschenden Technologien zu verstehen und die unternehmenseigenen Prozesse auf deren Einsatz auszurichten. Eines ist klar: Der Job der CMOs wird vielfältiger.

Überforderung durch Cookieless-Flut

Die Masterclasses-Bühne hielt neben operativen Insights für das Tagesgeschäft auch tiefergehende Diskussionen in Gesprächsrunden bereit. Hier trafen sich unter anderem Marken, um über die vielschichtigen Herausforderungen zu diskutieren, vor die sie der Abschied der Third-Party-Cookies stellt. So arbeiten Brands wie Pandora beispielsweise mit einem globalen Tech-Stack, der die Tests der lokal entwickelten Cookieless-Lösungen gar nicht erst zulässt. Auch bei der Deutschen Bahn kommt man nicht dazu, die unzähligen Lösungen zu testen, die vehement ins Postfach flattern. Trotzdem lernt man nur, wenn man ausprobiert, heißt es vonseiten Singapur Airlines.

Die Marken sehen unter anderem noch mehr Potenzial in First-Party-Daten. Bei Singapur Airlines werden auch mal CPC-Kampagnen geschaltet, um mehr Traffic auf die Website zu schaufeln, die den First-Party-Datensatz nähren. Gleichzeitig betonen die Advertiser, dass man die eigentliche Aufgabe des Marketings nicht aus dem Blick verlieren sollte. Diese lautet bei einer Airline beispielsweise mehr Tickets zu verkaufen und nicht irgendwelche konstruierten KPIs zu verbessern. Auch das Modehaus Unger weist darauf hin, dass die Lösungsanbieter mit den Marken auf Augenhöhe sprechen und verstehen sollten, worum es ihnen am Ende geht.

Der Weiterentwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz wird positiv entgegengeblickt, auch wenn Transparenz verloren geht, sobald die Maschine übernimmt. Falls der ROI stimmt, nimmt man dies jedoch scheinbar in Kauf. Die Hoffnung liegt darauf, dass KI das Targeting und die Messbarkeit reparieren kann.

Privacy Sandbox unter der Lupe

Eine der Cookieless-Lösungen für Chrome kommt von Google selbst. Die Privacy Sandbox ist seit Jahren als Heilsbringer für Targeting und Messbarkeit im Gespräch und wurde auf der CONNECT vorgestellt. Die Effektivität der Lösungen ist jedoch strittig.

So stellte United Internet Media klar, dass der Vermarkter aktuell 25 Prozent seiner Erlöse mit dem entsprechenden Inventar verliert, wenn er die Sandbox auf dem heutigen Stand aktiviert. Das läge auch an den damit verbundenen Einbußen hinsichtlich der Latenzzeit. Hier bekommt UIM Unterstützung vom IAB Tech Lab. Der Verband hatte sich gerade erst einen Schlagabtausch mit dem Chrome-Team hinsichtlich der technischen Funktionalitäten der Lösungen geleistet und arbeitet seitdem mit Google gemeinsam weiter. Der Tag X für die Cookies wird kommen, da ist man sich einig. Es bleibt zu hoffen, dass die Advertiser dann nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen – das wären wiederum die Walled Gardens.

Lokale Medien vs. Big Tech

Damit der Mediaplan nicht einseitig wird, sondern bunt bleibt, muss die heimische Mediabranche an Produkten und Lösungen feilen. Big Tech ist so groß geworden, weil die Produkte sehr einfach zu bedienen sind und globale Skalierbarkeit bieten. Daran lässt sich schwierig rütteln, auch wenn sich die Werbetreibenden einen ähnlich einfachen Zugang zur deutschen Medien- und Technologielandschaft wünschen.

Dennoch glauben die Adtech-Anbieter an die Innovationskraft der Deutschen und sind der Meinung, dass es auch ohne die US-Konzerne geht. Auf Publisher-Seite sieht man die Chancen eher in der Konsolidierung der Publisher- und Tech-Landschaft. Die Antwort auf die US-Silos seien deutsche Silos gewesen, daran müsse man arbeiten, ist sich die Runde auf der Bühne einig. ID-Anbieter wie Utiq glauben bei der Skalierbarkeit helfen zu können. Einer der wesentlichen Punkte ist die Bedeutung des Markenaufbaus, die in den vergangenen Jahren beim Fokus auf Performance aus den Augen verloren gegangen sei. Außerdem müsse die Werbeindustrie an ihrer Einstellung ändern und sich bewusst machen, dass die Investitionen in die heimischen Medien auch die Demokratie erhalte.

Ein potenzielles Wachstumsfeld für den lokalen Werbemarkt ist Retail Media. Auf der Conference-Bühne verdeutlichte Moritz Hoffmann von Pilot, dass die Chancen vor allem im Offsite-Geschäft liegen. Die wertvollen Transaktionsdaten der Händler sollen also künftig stärker dazu genutzt werden, um auf externen Websites zu werben. Dieser Bereich des Retail Media macht in Deutschland aktuell ca. 12 Prozent des Markts aus und soll sich bis 2027 verdoppeln. Hoffmann fordert die Marktteilnehmer besonders dazu auf, mehr Produkte zu schaffen, um das Potenzial der Werbegattung heben zu können. Daran hapere es zurzeit noch.

Eine weitere Gattung, die Potenziale bereithält, ist die digitale Außenwerbung. In einer Gesprächsrunde auf der Masterclasses-Bühne veranschaulichte der Dachverband IDOOH gemeinsam mit weiteren großen Playern die Möglichkeiten, die die Werbegattung bietet. Auch hier sind natürlich noch Herausforderungen zu lösen, so feilt man unter anderem an einer ordentlichen Abrechnungsgrundlage für die Advertiser. Die Datengrundlage für Targeting und Messbarkeit wird zwar nicht mehr so granular werden wie beispielsweise in China, wo man es mit dem Datenschutz nicht so genau nimmt. Doch die dort genutzte sogenannte Sensorik ist auch in Deutschland ein Thema. Einer der hervorzuhebenden Vorteile der relativ jungen digitalen Gattung: Es gibt keine Probleme mit Brand Safety oder Fraud.

Insbesondere der Werbebetrug durch Bots ist in der hiesigen Digitalwerbung ein größeres Thema als angenommen. So misst Jana Krahforst von Fraud0 auf deutschen Websites einen deutlich höheren Anteil an Invalid Traffic als die bisherigen Qualitätssicherer: 20 Prozent. Es lohnt sich ein tieferer Blick in die Daten, denn Bots sind heute schlauer denn je.

Die Werbeindustrie entwickelt ein Gewissen

Auf der ADZINE CONNECT ließ sich beobachten, dass die Branche nicht so gewissenlos ist, wie sie anfangs gestartet ist. Deutlich machte dies bereits Stephan Noller von Ubirch am Morgen. Er hat in den Anfangszeiten des Programmatic Advertising mit dem Targeting-Anbieter Nugg.ad mit dafür gesorgt, dass der heutige Technologieeinsatz so ausufern konnte. Um die Latenz seiner Targeting-Lösung möglichst gering zu halten, wurden zahlreiche Datenzentren ohne Rücksicht auf Ressourcenverschwendung oder Stromverbrauch errichtet. Das Bewusstsein für die Folgen war damals in der Technologiebranche einfach nicht vorhanden.

Heute trommelt Noller, der früher Frösche bei der Straßenüberquerung geholfen hat, mit Ubirch für grünere Werbung und erwägt mit einem Augenzwinkern sogar die Rückkehr zur reinen Festplatzierung der Anzeigen. Das Adtech-Urgestein ruft die Branche darüber hinaus dazu auf, die Emissionswerte der beworbenen Produkte zu hinterfragen und zu überlegen, welche Trends die Werbung in der Gesellschaft prägen möchte. Dass die Werbeindustrie das Thema Nachhaltigkeit durchaus auf dem Schirm hat, zeigen nicht nur die Diskussionen auf der Conference-Bühne, sondern auch die vielfältigen Bemühungen auf Agenturseite, die bei den Masterclasses vorgestellt wurden.

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