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PROGRAMMATIC

Das Verschmelzen der Buy- und Sell-Side im Programmatic Advertising

Anton Priebe, 23. April 2024
Bild: Fortis Design – Adobe Stock, generiert mit KI

Der klassische programmatische Werbemarkt besteht aus zwei Lagern: Auf der einen Seite positionieren sich die Verkäufer von Werbeflächen mitsamt ihrer Sell-Side-Technologie und bieten ihren Supply feil. Auf der anderen Seite sind die Werbetreibenden zu finden, die mit ihrer Buy-Side-Technologie besagte Werbeflächen einkaufen wollen und den Demand repräsentieren. Heute ist die Grenze zwischen den beiden Adtech-Seiten jedoch nicht mehr so trennscharf, wie sie es vor einigen Jahren noch war. Ginette Lumbiarres, CPO und Mitgründerin vom Schweizer Unternehmen Gotom, stellt selbst Technologie für die Sell-Side bereit. Mit seinem sogenannten Order-Management-System unterstützt Gotom Vermarkter beim Verkauf digitaler Kampagnen. Im Interview spricht Lumbiarres über das Zusammenwachsen von Buy- und Sell-Side, den Mediahandel über offene und private Marktplätze sowie die tatsächlichen Profiteure des Wachstums im Programmatic Advertising.

Bild: Gotom Ginette Lumbiarres, Gotom

ADZINE: Programmatic Advertising teilt sich grundsätzlich in Buy- und Sell-Side auf. Doch die Adtech-Player stellen für ihre Kunden zunehmend direkte Zugriffe zur jeweils anderen Seite her. DSPs kaufen bei Publishern und nicht bei SSPs ein, SSPs wiederum bauen Interfaces für die Mediaeinkäufer. Woher kommt diese Entwicklung, Ginette?

Ginette Lumbiarres: Ein primärer Grund liegt wohl in dem Streben nach Kosteneffizienz. Denn sowohl Werbetreibende als auch Agenturen sind stetig auf der Suche nach der strategisch besten Möglichkeit, um Werbung zu schalten. Und direkte Zugriffe machen zuallererst Zwischenhändler überflüssig und reduzieren folglich Tech-Fees.

Zusätzlich bieten SSPs mittlerweile zunehmend Funktionen an, die traditionell den DSPs vorbehalten waren, und umgekehrt. Dies führt dazu, dass die Grenzen zwischen den beiden Seiten immer weiter verschwimmen. Beispielsweise bauen SSP-Anbieter eigene Sales-Teams auf und verkaufen ihr Inventar wie früher mal ein Ad-Network. Woher kommt dieser Trend? Man scheint gemerkt zu haben, dass man sich schlussendlich vor allem über direkte Kundenbeziehungen marktweit hervorhebt und weniger über die eigene State-of-the-Art-Technologie.

ADZINE: Siehst du die Entwicklung kritisch? Booten einige Player andere somit aus?

Lumbiarres: Wenn durch diese Entwicklung schlussendlich mehr Geld bei den Publishern landet, ist das zunächst einmal eine gute Sache. Zu befürchten ist allerdings, dass die Player ab einer gewissen Größe vor allem ihre Marge optimieren. Aus diesem Grund sagen wir schon lange: Es ist ungemein wichtig, dass die Vermarkter ihre Produkte und Dienstleistungen direkt bei den Werbetreibenden und Agenturen positionieren und verkaufen. Die direkte Kundenbeziehung ist essenziell und sollte nicht an externe Tech-Anbieter abgegeben werden.

ADZINE: Habt ihr selbst als Vermarkter-Tool Ambitionen auf der Buy-Side aktiv zu werden?

Lumbiarres: Unser Ziel ist es nicht, irgendwann einmal das Inventar unserer Kunden zu verkaufen. Allerdings können wir uns vorstellen, entsprechende technische Lösungen anzubieten, um die Prozesse sowie die Kommunikation mit den Werbetreibenden zu vereinfachen. Denn dort wird selbst heute in der Abwicklung immer noch viel zu viel via E-Mails, Excel-Sheets und das Telefon gehandhabt. Und an dieser Stelle sehen wir tatsächlich ein riesiges Potenzial: Wir glauben daran, die kaufmännischen Workflows optimieren und mit unserer Expertise sowie bestehenden Plattform unterstützen zu können.

ADZINE: Buy- und Sell-Side haben sich ja nicht ohne Grund gebildet. Kann der Mediahandel komplett aus einer Hand, über eine Plattform, überhaupt maximal effizient sein?

Lumbiarres: Effizient wäre dieser Weg sicherlich, allerdings wird eine einzige Plattform oder ein alleinstehender Anbieter niemals die Bedürfnisse aller Marktteilnehmer bedienen können. Wichtig ist vielmehr, dass Buy- und Sell-Side besser miteinander interagieren. Programmatic Advertising über das OpenRTB-Protokoll ist ein Weg, der diese Interaktion teilweise ermöglicht. Allerdings ist auch das – mit Blick auf die bekannten Problemfelder wie hohe Fees, einem enormen Energieverbrauch, Brand Safety et cetera – nicht die ultimative Lösung.
Ein anderer, sicherlich ressourcenschonender, Ansatz wäre darüber hinaus die Entwicklung einer eigenen Programmatic-Plattform der Vermarkter oder API-Integrationen in die kaufmännischen Abwicklungssysteme der Agenturen und Publisher.

ADZINE: Glaubt man den Zahlen, wächst der Programmatic-Markt unaufhaltsam. Bei genauerem Hinsehen werden in den Erhebungen doch Player wie Google, Facebook und Amazon hinzugenommen. Dass die wachsen, verwundert nicht. Bleibt da noch etwas für den offenen Programmatic-Markt, sogenanntes Open Programmatic, übrig?

Lumbiarres: Wenn wir uns die Marktzahlen zur Entwicklung von Open Programmatic in den letzten Jahren anschauen, sieht man, dass sich das Wachstum insbesondere in den angelsächsischen Märkten merklich abgekühlt hat. Der Fokus liegt mittlerweile vielmehr auf dem Bereich Programmatic Direct und Private Marketplaces. Zudem ist klar: Mit dem Wegfall der Third-Party-Cookies wird sich diese Entwicklung fortsetzen, da First Party-Daten an Relevanz gewinnen.

ADZINE: Die wachsenden Private Market Places hören sich modern an, im Endeffekt werden dort aber wie zu I/O-Zeiten noch immer reichlich Telefonate geführt und händisch Marktplätze erstellt. Müsste das heutzutage nicht besser und vor allem automatisierter gehen?

Lumbiarres: Es ist durchaus noch so, dass für die Verwaltung von PMPs manuelle Prozesse notwendig sind. Das liegt daran, dass hier wieder die direkte Kommunikation zwischen der Buy- und Sell-Side gefragt ist – was ja grundsätzlich keine schlechte Sache ist.

Wir glauben aber, dass hier heute wie in Zukunft ein großes Optimierungspotential besteht. Ein Beispiel: Sämtliche Deals könnten über eine in den bestehenden Prozess integrierte Plattform angefragt und eingerichtet werden. Außerdem wäre wichtig, dass die Sales-Teams parallel involviert sind und via Alert benachrichtigt werden, wenn ein Deal nicht optimal, oder aber unerwartet gut performt.

Wir unterstützen unsere Kunden mit eben jenen teamübergreifenden Workflows und entsprechend cleveren Automatisierungen zur Effizienzsteigerung. Gut möglich, dass wir in Zukunft also auch Tools entwickeln, die die Zusammenarbeit mit der Buy-Side vereinfachen.

ADZINE: Sind exklusive Zugänge nicht das Gegenteil vom ursprünglichen Open-Programmatic-Gedanken?

Lumbiarres: Ja, das ist so. Allerdings kaufen Werbetreibende dort ein, wo ihre Werbung funktioniert und es die entsprechende Reichweite gibt. Am Ende zählt bei der Entscheidung zusätzlich eine gewisse Convenience. Das Werbegeld fließt zu den Anbietern, die diese drei Faktoren am besten vereinen.

ADZINE: Ist die Idee von Open Programmatic also gescheitert? Wird es wieder zur “Resterampe” statt wie anvisiert zum Instrument für Premiuminventare?

Lumbiarres: Ich habe gelernt, diese Themen im Allgemeinen nicht einfach als schwarz oder weiß zu betrachten. Meistens liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Open Programmatic hat selbstverständlich auch in Zukunft seine Daseinsberechtigung und wird für gewisse Advertiser und Kampagnenziele ein sinnvoller Kanal sein, um Online-Werbeplätze einzukaufen. Zum heilbringenden Umsatz-Booster für die wertvollen Inventare der großen Publisher wird der Kanal aber definitiv nicht mehr avancieren.

ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch, Ginette!

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